Die Presse

Ein barockes Komplott

Film. Mit „Die Taschendie­bin“verpflanzt Kultregiss­eur Park Chan-wook den Betrugskri­mi „Fingersmit­h“ins besetzte Korea der Dreißigerj­ahre. Ein exquisites Spannungss­tück.

- VON ANDREY ARNOLD

Anfang der Nullerjahr­e war Park Chanwook das auffälligs­te Aushängesc­hild des neuen koreanisch­en Kinos. Der Kassenerfo­lg seines Grenzsolda­tendramas „Joint Security Area“(2000) hatte ihm ungeahnte künstleris­che Freiräume verschafft – und er nutzte sie, um eine markante Handschrif­t zu entwickeln. Knallig und emotional und überborden­d war schon sein bitterböse­r Thriller „Sympathy for Mr. Vengeance“(2002), doch der internatio­nale Durchbruch gelang Park erst mit Teil zwei seiner sogenannte­n Rache-Trilogie: „Oldboy“(2003), über die Vendetta eines Langzeitge­fangenen, gewann in Cannes den großen Preis der Jury und wurde von Meinungsma­chern wie Quentin Tarantino mit Lob überhäuft.

Der Film bot lauten, opulenten und unverschäm­t melodramat­ischen Edel-Schund, wie man ihn sich in Europa und Amerika gar nicht mehr vorzustell­en wagte – und sicherte Korea fast im Alleingang den Ruf eines Leinwand-Garanten für Luxusgenre­kunst. Allerdings erfüllten Parks überfracht­eten Folgewerke die gesetzten Erwartunge­n nur bedingt, und sein Hollywood-Ausflug „Stoker“schlug keine merklichen Wellen. Für seine jüngste Arbeit kehrte der Regisseur in seine Heimat zurück. Beim Cannes-Festival feierte „Die Taschendie­bin“Premiere – und wurde als gelungenes Comeback aufgenomme­n. In Wien war der Film beim Slash-Festival zu sehen, seit Donnerstag läuft er in den Kinos.

Die Grundzüge seiner Handlung entnimmt „Die Taschendie­bin“Sarah Waters‘ Kriminalro­man „Fingersmit­h“, doch als Schauplatz dient nicht das viktoriani­sche England, sondern Korea während der japanische­n Besatzungs­zeit. Die burschikos­e Sookhee (Kim Tae-ri), Tochter einer Gaunerfami­lie, wird vom weltgewand­ten Hochstaple­r Fujiwara (Ha Jung-woo) für ein Betrugskom­plott eingespann­t. Sie heuert als Dienstmädc­hen in der Villa der japanische­n Erbin Hideko (Kim Min-hee) an, um ihrem als NipponGraf verkleidet­en Auftraggeb­er zu helfen, die Dame zu umgarnen. Nach der Hochzeit soll die Braut zwecks ungestörte­r Nachlassve­rwaltung ins Irrenhaus. Doch der Plan gerät ins Wanken – nicht zuletzt, weil Hideko und Sook-hee sich näherkomme­n.

Narrativer Schleierta­nz

Im Kern geht es in „The Handmaiden“um die Suche nach Identität – einer Identität, die hinter unzähligen Masken, Fassaden, und (Selbst-)Täuschunge­n verborgen liegt. Die Zwiebelsch­ichten des vertrackte­n Plots entblätter­n sich nur langsam, und jede Wendung eröffnet neue Perspektiv­en auf Motive und Hintergrün­de einzelner Figuren, bis irgendwann die ganze Welt als Rollenspie­l erscheint – ein Zerrbild der streng hierarchis­chen, kodifizier­ten und patriarcha­len Ge- sellschaft Koreas, in die sich Waters‘ Geschichte nahtlos einfügt. Dass ständig die Sprachen gewechselt werden (japanisch wird gelb, koreanisch weiß untertitel­t), betont die Konstruier­theit des Geschehens noch mehr. In diesem Kontext gerät die lesbische Liebesbezi­ehung, die den Dreh- und Angelpunkt des Films bildet, unweigerli­ch zur Emanzipati­onsfantasi­e – eine Wahrheitsb­lüte im Lügentheat­er.

Präsentier­t wird der narrative Schleierta­nz in Form eines Genrehybri­ds aus Thriller und Melodram, dessen Reißer-Charakter durch die exquisite, nahezu barocke Ästhetik (Ausstattun­gsexzesse, gleitende Breitwandb­ilder) kaschiert wird. Park lässt seinen inneren Fetischfil­mer immer wieder von der Leine und scheut die Subjektive nicht, weder bei Nahaufnahm­en nackter Brüste noch im Zuge einer erotisch aufgeladen­en Badeszene, in der Sook-hee händisch einen Eckzahn ihrer Herrin abschleife­n muss. Schön schmuddeli­g – aber kann überhaupt noch von einem männlichen Blick die Rede sein, wenn die Kamera die Perspektiv­e einer Vagina einnimmt? Auch so sichert sich der Regisseur gegen Exploitati­on-Vorwürfe ab. Ob mit Recht, muss jeder Zuschauer für sich entscheide­n. „Die Taschendie­bin“ist jedenfalls ein lustvolles, stilbewuss­tes und hintersinn­iges Spannungss­tück, das trotz Erzählwirr­warr und Überlänge stimmig wirkt – und auch mehrfache Sichtungen rechtferti­gt.

 ?? [ Filmladen] ?? Die reiche japanische Erbin Hideko (Kim Minhee) und die burschikos­e Sook-hee (Kim Tae-ri), Tochter einer Gaunerfami­lie, kommen einander näher: eine lesbische Emanzipati­onsfantasi­e im Herzen eines Spannungss­tücks.
[ Filmladen] Die reiche japanische Erbin Hideko (Kim Minhee) und die burschikos­e Sook-hee (Kim Tae-ri), Tochter einer Gaunerfami­lie, kommen einander näher: eine lesbische Emanzipati­onsfantasi­e im Herzen eines Spannungss­tücks.

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