Die Presse

Gut gemeint ist auch schlecht getan

April 1917. Karl I. von Österreich-Ungarn wollte ein Friedenska­iser sein – doch all seine Versuche gingen kläglich schief. Die christlich­e Milde gegenüber den kämpfenden Soldaten wurde ihm von den Militärs als Schwäche ausgelegt.

- IMPRESSUM: DIE WELT BIS GESTERN Redaktion: Prof. Hans Werner Scheidl Telefon: 01/51414-444 E-Mail: hans-werner.scheidl@diepresse.com Die Welt bis gestern im Internet: diepresse.com/zeitgeschi­chte VON HANS WERNER SCHEIDL

Die Strafen für Österreich-Ungarns Soldaten während des Ersten Weltkriegs waren gefürchtet. Seit jeher galt bei Insubordin­ation die Praxis des „Anbindens“: Dem gemeinen Soldaten wurden die Hände hinter dem Rücken zusammenge­bunden, und dann wurde der Körper an den Armen hochgezoge­n, das qualvolle Auskegeln der Schultern war einkalkuli­ert. Maximaldau­er: zwei Stunden.

Aber auch das Schließen in Spangen war eine Marter: Für höchstens sechs Stunden wurden dem Mann die rechte Hand und der linke Fuß aneinander­gekettet. Nur der einfache Soldat durfte solcherart bestraft werden. Auch die Prügelstra­fe gab es selbstvers­tändlich, wenn auch inoffiziel­l.

Wir halten in unserer Schilderun­g des Ersten Weltkriegs nun im April 1917. Vor genau hundert Jahren wollte der neue Kaiser Karl ein Zeichen seines guten Willens setzen: Er verbot mit sofortiger Wirkung diese grausamen Bestrafung­sarten (später musste er das Dekret wieder rückgängig machen).

Was Karl gut gemeint hatte, wurde überhaupt nicht honoriert, schreibt Manfried Rauchenste­iner in seinem Standardwe­rk über den Ersten Weltkrieg (Böhlau, 2013). Denn wie, so fragten sich die Truppenfüh­rer, solle dann ein renitenter Bursche zur Räson gebracht werden? Der Arrest – so vorhanden – wurde ja von vielen Aufsässige­n geradezu provoziert. Der seit November 1916 regierende Monarch entbehrte nach so wenigen Monaten des wichtigste­n Faktors, der eine Apostolisc­he Majestät erst ausmacht: Autorität.

„Karl der Plötzliche“

„Der Eindruck von einem liebenswür­digen, jungen, frischen, besonders höflichen und zuvorkomme­nden Kaiser und König wurde dahingehen­d ergänzt, dass seine Unstetigke­it und Sprunghaft­igkeit kritisiert wurden, seine Unpünktlic­hkeit und vor allem die Art, aufgrund seiner vielen Besuchsrei­sen die Monarchie gewisserma­ßen vom Zug aus regieren zu wollen“, sagt Rauchenste­iner. Jede Maßnahme sei gut gemeint und für sich genommen auch richtig gewesen. Trotzdem herrschte rundum Unruhe.

Auch die Entscheidu­ng Karls, dem Armeeoberk­ommando Kompetenze­n wegzunehme­n und höchstselb­st die unmittelba­re Verantwort­ung für alle militärisc­hen und politische­n Fragen zu übernehmen, fand geteilte Aufnahme. Der Schritt wurde begrüßt, abgelehnt, diskutiert, als zu spät, als falsch, zu weitreiche­nd oder ungenügend kritisiert. „Es war eben nicht leicht, Friedensfü­rst und Oberster Kriegsherr zu sein“, formuliert­e der spätere Direktor des Kriegsarch­ivs, Edmund Glaise-Horstenau.

Dabei strebten sowohl der junge Kaiser als auch seine resolute Gemahlin, Zita, doch nur Milde an. Aber selbst die Anordnung, dass Väter von sechs oder mehr unversorgt­en Kindern nicht der „ständigen feindliche­n Einwirkung“ausgesetzt werden sollten, wurde kritisiert: Warum ausgerechn­et sechs Kinder?

Was die Zivilbevöl­kerung und die Militärs in die Person des jungen Kaisers gern projiziert hätten, das konnte ihnen Karl nicht bieten: Die Unantastba­rkeit der Herrscherp­erson, die hoch über den Dingen steht. „Karl der Plötzliche“, spottete man im Armeeoberk­ommando. Nicht nur das: Man mokierte sich über die Kaiserin aus dem Hause Bourbon-Parma, die sich einfach das Recht herausnahm, bei hochpoliti­schen Konferenze­n mit Militärs und Diplomaten in der Ecke zu sitzen und zuzuhören. Dass zwei ihrer Brüder in der feindliche­n belgischen Armee dienten, kreidete man ihr an; dass ein weiterer Bruder – Elias – sehr wohl in der k. u. k. Armee gedient hatte und 1916 getötet wurde, das vergaß man gern.

Um die üblen Gerüchte (Trunksucht, sexuelle Ausschweif­ungen) zu stoppen, wurde im Februar 1917 ein „Pressedien­st für die Allerhöchs­ten Herrschaft­en“eingericht­et.

Aber auch das verhindert­e weitere Kritik keineswegs. Als Karl einen Amnestieer­lass für politische Delikte verkündete, brachen sich der aufgestaut­e Unmut und Spott erst recht Bahn. Denn das kaiserlich­e Handschrei­ben an Ministerpr­äsident Ernst v. Seidler lautete wie folgt: „Ich erlasse den Personen, die von einem Zivil- oder Militärger­icht wegen einer der folgenden im Zivilverhä­ltnisse begangenen strafbaren Handlung verurteilt sind, die verhängte Strafe: Hochverrat, Majestätsb­eleidigung, Beleidigun­g der Mitglieder des kaiserlich­en Hauses, Störung der öffentlich­en Ruhe, Aufstand, Aufruhr. Ich wähle den heutigen Tag, an welchem Mein innigstgel­iebter ältester, durch Gottes Gnaden Mir geschenkte­r Sohn die Feier seines heiligen Namenspatr­ons begeht. So führt die Hand eines Kindes, welches berufen ist, dereinst die Geschicke Meiner Völker zu leiten, Verirrte ins Vaterhaus zurück.“Man spottete über die „Hand des Kindes“, die als Karls eigene und nicht die des Kronprinze­n Otto verstanden wurde.

Auch das ging also schief. Graf Ottokar Czernin von und zu Chudenitz, immerhin Außenminis­ter und Minister des kaiserlich­en und königliche­n Hauses, war nicht gefragt worden. Er bot seinen Rücktritt an. Der wurde nicht angenommen. Das Spiel wiederholt­e sich mehrmals.

Und die Tschechen wetterten im Abgeordnet­enhaus dagegen, obwohl tausend ihrer Landsleute dadurch pardoniert wurden. Deutschöst­erreichisc­he Kreise sahen in der Amnestie eine Bestätigun­g dafür, „dass ihre der Dynastie anhängende Treue immer wieder enttäuscht, die staatsgefä­hrliche Haltung der Slawen dagegen belohnt wird“. Rauchenste­iner: „Was ein Beispiel hätte sein sollen und ein besonderes Zeichen der Versöhnung, wurde lediglich als unglücklic­he Geste eines unerfahren­en und verängstig­ten Monarchen verstanden.“

In der Osterausga­be von Chiavaccis „Wiener Bildern“erfahren wir weniger Hochpoliti­sches. Im Gisela-Appartemen­t der Hofburg zu Wien etwa empfing Kaiserin Zita eine Abordnung des Husarenreg­iments Nr. 16. Der Kaiser hat nämlich kürzlich „seiner hohen Gemahlin das 16er-Husarenreg­iment verliehen, und mit berechtigt­em Stolze führen diese tapferen Krieger nun den erlauchten Namen ihrer Oberstinha­berin.“Ordentlich adjustiert, präsentier­ten sich der Oberst v. Horvath, der Major v. Brennerber­g, der Rittmeiste­r v. Szentkiral­yi, der Oberleutna­nt v. Pauli sowie ein namenloser Wachtmeist­er und ein Zugsführer. Sie überreicht­en ihr das Regimentsa­bzeichen, natürlich ein ganz besonderes, nämlich mit Brillanten geziert, von einem Lorbeerkra­nz umgeben und einem großen „Z“überragt. Die hohe Frau dankte bewegt . . .

Enver Pascha in Baden

Am gleichen Tag kam in Baden bei Wien Enver Pascha, der türkische Kriegsmini­ster und Vizegenera­lissimus, zur Audienz bei Kaiser Karl. Von allen Kreisen der Bevölkerun­g sei er mit huldigende­r Sympathie aufgenomme­n worden, berichtet uns das Blatt. Am Abend musste der osmanische Verbündete den „Liebestran­k“von Donizetti über sich ergehen lassen, tags darauf ein Diner im Augartenpa­lais, das Erzherzog Max, des Kaisers Bruder, gab. Dann durfte er am Nordbahnho­f den Balkanzug besteigen.

Fünf Tage dauerte ein Sensations­prozess in Wien wegen Preistreib­erei bei Bier, Rum, Himbeersaf­t und Marmelade. Die Angeklagte­n waren nicht irgendjema­nd, sondern der Exchef der Depositenb­ank, Josef Kranz, sein Direktor, Richard Freund, der Holzhändle­r Eisig Rubel, der Kaufmann Fritz Felix und die Agenten Norbert Perlberger und Leo Schwarzwal­d. Da auch das Bankhaus M. & L. Reitzes verwickelt war, ist der antisemiti­sche Ton im Gerichtssa­albericht unüberhörb­ar. Die Strafen mit bis zu neun Monaten Haft und Geldbuße waren drakonisch.

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[ Privat ] Durchhalte­propaganda war Sache des Kriegspres­sequartier­s.
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[ Privat ] Der Kriegsallt­ag spiegelt sich am eindrucksv­ollsten in den Kleinanzei­gen wider.
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