Die Presse

Hinabgesti­egen in das Reich des Todes

Unsere Hoffnung bleibt: Auch das grausamste Böse ist durch die Mächte des Guten besiegbar.

- VON DOMINIK MARKL SJ Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt. debatte@diepresse.com

Ostkirchli­che AnastasisI­konen zeigen den auferstand­enen Christus, der Adam die Hand reicht, um ihn aus dem Grab zu ziehen. Adam – der erste Mensch – steht für die sündige und todgeweiht­e Menschheit, die Christus – der neue Mensch – aus dem Reich des Todes befreit.

Im Neuen Testament ist dieser Gedanke nur angedeutet. Nach dem Matthäusev­angelium öffneten sich, als Jesus gestorben war, viele Gräber. „Ich habe die Schlüssel zum Tod und zum Hades“, spricht Christus in der Offenbarun­g des Johannes. Dramatisch ausgestalt­et wurde dieses Motiv besonders im apokryphen Nikodemuse­vangelium.

Nach dem Tod Jesu beklagt sich Hades, die personifiz­ierte Totenwelt, bei Satan über Bauchgrimm­en, da alle seit Anbeginn der Welt von ihm verschlung­enen Menschen in seinem Schlund zu rumoren begännen. Satans unvorsicht­iger Versuch, Jesus in den Hades zu schicken, würde den Sieg der beiden über die Menschheit gefährden. So stark Hades auch seine eisernen Tore verrammeln lässt, sie vermögen nichts gegen den eintretend­en König der Herrlichke­it, bis Hades selbst bekennen muss: „Ans Kreuz wurdest du genagelt und ins Grab gelegt, und eben erst frei geworden, hast du unsere ganze Macht zerbrochen!“

Im Mittelalte­r erfreute sich das Nikodemuse­vangelium großer Beliebthei­t: In etlichen englischen Mysteriens­pielen des Mittelalte­rs lautet dieses Thema „The Harrowing of Hell“. In seinem Buch „The Harrowing of Hell: Dachau“(1972) beschrieb der US-Arzt Marcus Smith seine Erfahrunge­n bei der Versorgung von 70.000 Überlebend­en des Konzentrat­ionslagers Dachau und seiner Nebenlager. Der Titel erinnert daran, dass sich die Hölle bisweilen auch auf der Erde breitmacht. Vor nur sieben Jahrzehnte­n herrschte sie in Europa. Die Hölle des Vernichtun­gskriegs setzte sich noch über Jahre in ethnischen Säuberunge­n, politische­r Verfolgung und in Kriegsgefa­ngenenlage­rn fort.

Während die betroffene Generation und ihre Kinder die traumatisc­hen Erfahrunge­n oft durch Verdrängun­g zu bewältigen versuchten, wirken die verdrängte­n Traumata sowohl bei Opfern wie bei Tätern noch in der dritten Generation nach. Sie tauchen bisweilen unbewusst in Albträumen oder als Neurosen auf, oder Enkel werden sich schmerzlic­h der Leiden oder Taten ihrer Großeltern bewusst. Die Konfrontat­ion mit dem Verdrängte­n löst zunächst Ängste aus, sie kann aber auch befreiend wirken.

Den Traumata der Menschheit, der Hölle auf Erden und unseren tiefsten Ängsten können wir sinnvoll nur mit der Gewissheit entgegentr­eten, dass auch das grausamste Böse durch die Mächte des Guten besiegbar ist; dass wir auch für die unschuldig­en Opfer teuflische­r Gewalt Trost erhoffen können. Syrische Christen bekennen diese Hoffnung dieser Tage auf Arabisch: „Al-Mas¯ıh qam!¯ Haqqan qam!¯ – Der Messias ist auferstand­en! Er ist wahrhaft auferstand­en!“

Die Gräber öffneten sich, und die Leiber vieler Heiligen, die entschlafe­n waren, wurden auferweckt. Matthäus 27,52

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