Kaum je zuvor steckten alle Parteien gleichzeitig in der Krise
Ungeklärte Führungs- oder Politikfragen im Regierungs- und Oppositionslager brechen simultan auf. Das ist einmalig – und keine Empfehlung für Neuwahlen.
Woran liegt es, dass in der heimischen Politik Dinge selten schlüssig ablaufen und manche Handlungen und Entwicklungen einfach keinen Sinn ergeben? Vielleicht daran, dass die meisten, wenn nicht sogar alle, Hauptverantwortlichen immer auf dem Sprung nach dem nächsten taktischen Vorteil statt der nächsten sinnvollen und notwendigen Entscheidung sind.
So reden seit Monaten alle nur noch von vorzeitigen Neuwahlen. ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka & Co. sehen sie hinter jeder Ecke lauern, um die irgendein SPÖ-Politiker biegt. Dabei dürften er und andere verdrängen, dass ein Abbruch der Legislaturperiode – aus der Vogelperspektive betrachtet – für keine der fünf Parteien mit Chancen auf Wiederwahl ratsam, geschweige denn günstig wäre.
Alle fünf Parteien stecken in Führungskrisen. So weit die Erinnerung reicht, war das so bisher nicht der Fall – jedenfalls nicht so klar erkennbar. Auch SPÖ und FPÖ, zwei Parteien, in denen sich viele auf der sicheren Seite wähnen, sollten sich keiner Illusion hingeben.
Die SPÖ glaubte zwar vor einem Jahr, ihre Führungskrise mit Werner Faymann in einem Akt beispielloser Illoyalität beim Mai-Aufmarsch gelöst zu haben. Zwölf Monate später muss sein Nachfolger, Christian Kern, erkennen, dass es so nicht funktioniert hat und jetzt der Bazillus der Führungskrise in der Wiener SPÖ langsam auch sein Immunsystem gegen einen Absturz bei einer vorgezogenen Neuwahl schwächt. Die Wiener SPÖ muss sich erst wieder fangen, bevor Kern zu den Urnen rufen kann.
Die seit Monaten schwelende Führungskrise bei der ÖVP zu beschreiben, wäre ungefähr so spannend wie eine Aufzählung aller bisherigen Obmann-Massaker in der Partei seit 1945. Die Vorgangsweise war und ist immer die gleiche. Der einzige Unterschied: Es gibt mit Sebastian Kurz einen aktiven Schattenobmann, der als solcher aber das Licht scheut. Den einen ÖVP-Chef sieht man, den im Dunkeln nicht. Wo die ÖVP als Partei steht, bleibt verborgen. So weit, so banal und alltäglich bei der ÖVP.
Überraschender ist schon die Situation bei FPÖ und Grünen, vor allem wegen ihrer Parallelen. Auf den ersten Blick sind sie nicht sofort erkennbar, weil Heinz-Christian Strache als FPÖ-Chef öffentlich noch keine Rückzugsaufforderung aus der Partei erhalten hat.
Unübersehbar aber ist, dass beide Langzeitspitzenleute verbraucht wirken; dass ihr bisheriges Markenzeichen – Brüllen bei Strache, Sehnsucht nach Mitregieren bei Eva Glawischnig – nach zu häufigem Gebrauch verblasst ist. Glawischnig stolperte jüngst in die Krise mit den Jungen Grünen und agierte für jemanden im neunten Jahr als Obfrau erstaunlich unprofessionell. Immerhin konnte man sehen, wie wenig krisenfest Glawischnig war.
Bei Strache ist es noch nicht gewiss, wie er eine Krise in der eigenen Partei im zwölften Jahr seiner Obmannschaft bewältigen würde. Die FPÖ gibt sich – zuletzt mit Generalsekretär Herbert Kickl in einem Interview – mit Vorliebe geschlossen.
Doch der Schein trügt. Plötzlich wird über Straches verändertes Aussehen gerätselt – mehr als über das ständige Abtauchen der Partei aus der Öffentlichkeit. Kickl oder andere in der Partei könnten zur Ansicht gelangen, Straches Zeit als Vote-getter sei abgelaufen und Norbert Hofers gekommen.
Bleiben die Neos. Auch Matthias Strolz macht plötzlich einen unschlüssigen Eindruck und ähnliche Fehler wie einst Heide Schmidt: Für einen Zentralstaat Europa und eine eigene EU-Armee einzutreten, mag für die Zukunft Europas ein Anstoß sein, nicht aber für die der Neos als Parlamentspartei. Auch die Themen des Liberalen Forums waren 1999 für die Zeit falsch. Bei den Neos ist vielleicht die Führung (noch nicht) in der Krise, aber die Partei als Ganzes.
In dieser Gesamtsituation ist eine Neuwahl höchstens für die FPÖ sinnvoll – zur Vermeidung einer Strache-Debatte. Das ist aber nicht im Sinn der anderen.