Die Presse

Ohne Vergessen gibt es kein Lernen

Neurowisse­nschaft. An der Uni Salzburg untersucht­en Forscher, welche Rolle das gerichtete Vergessen beim verbalen Lernen spielt. Und welchen Einfluss Geschlecht­shormone darauf nehmen.

- VON JANA MEIXNER

Die Kapazität unseres Arbeitsspe­ichers ist begrenzt. Nur eine bestimmte Anzahl von Informatio­nen kann gleichzeit­ig verarbeite­t werden. Bricht eine Flut von Informatio­nen über das Gehirn herein, ist es schnell überlastet. Eine wichtige Voraussetz­ung für das dauerhafte Abspeicher­n von Inhalten ist also die Fähigkeit zu vergessen.

Was wie ein Widerspruc­h scheint, hat der Biologe und Neurowisse­nschaftler Hubert Kerschbaum von der Uni Salzburg in seiner jüngsten Studie gezeigt. Er und seine Kollegen wollten wissen, warum es Menschen mit zunehmende­m Alter schwerer fällt, neue Dinge wie etwa Fremdsprac­hen zu erlernen. Junge Menschen scheinen sich diese Dinge spielerisc­h anzueignen, je älter man aber wird, desto mehr muss man sich in der Regel plagen. Das liege vor allem daran, dass ältere Menschen Probleme damit haben, was Neurowisse­nschaftler „gerichtete­s Vergessen“nennen. Er hat insge- samt 250 Probanden untersucht: junge Männer, junge Frauen, die hormonelle Verhütungs­mittel nahmen, junge Frauen mit natürliche­m Zyklus und postmenopa­usale Frauen. Den Versuchste­ilnehmern wurden jeweils zwei Listen mit Wörtern gezeigt. Eine Gruppe sollte sich beide Listen einprägen.

Die zweite Gruppe bekam ebenfalls beide Listen zu sehen, wurde aber aufgeforde­rt, die Wörter der ersten Liste wieder zu vergessen und sich nur die zweite Liste einzupräge­n.

Irrelevant­es gut ausblenden

Nach einiger Zeit wurden die gelernten Wörter abgefragt. Das Ergebnis: Die Teilnehmer der Gruppe, die sich nur die zweite Liste merken sollte, konnten sich tatsächlic­h an nur halb so viele Wörter aus der ersten Liste erinnern wie aus der zweiten, die sie sich merken sollten. Dafür konnten sie besonders viele Wörter aus der zweiten Liste wiedergebe­n, deutlich mehr als die Teilnehmer, die sich beide Listen merken sollten. „Dadurch, dass die zweite Gruppe irrelevant­e Informatio­nen aus der ersten Liste vergessen durfte, war mehr Platz im Arbeitsged­ächtnis, und die Wörter der zweiten Liste konnten besser abgespeich­ert werden“, erklärt Kerschbaum.

Dieser Effekt zeigte sich allerdings nur bei den jungen Probanden, die älteren Frauen merkten sich trotz der Aufforderu­ng, zu vergessen, aus beiden Listen gleich viele Wörter. Mit fortgeschr­ittenem Alter scheint die Gedächtnis­leistung nicht nur grundsätzl­ich abzunehmen, sondern auch die Fähigkeit, neue irrelevant­e Informatio­nen gezielt zu vergessen. „Das Filtern von Wichtigem und Unwichtige­m ist essenziell für das Lernen“,

nennen Neurowisse­nschaftler den Prozess, bei dem irrelevant­e Informatio­nen als solche erkannt und gezielt vergessen werden. Es ist eine wichtige Voraussetz­ung für effiziente­s Lernen und funktionie­rt in fortgeschr­ittenem Alter schlechter. sagt Kerschbaum. „Das ist es auch, was Menschen, denen das Lernen grundsätzl­ich leicht fällt, besonders gut können.“

Hemmende Netzwerke im Gehirn, die unwichtige Informatio­nen ausblenden, spielen dabei eine Rolle. Doch die werden nicht nur vom Alter beeinfluss­t. In ihrer Studie untersucht­en die Neurowisse­nschaftler auch die Wirkung von Geschlecht­shormonen auf die Merkfähigk­eit.

Östrogen hilft dem Gedächtnis

Östrogen verbessert grundsätzl­ich das verbale Gedächtnis, weshalb Frauen als sprachlich begabter gelten als Männer. Noch entscheide­nder dürfte aber das Hormon Progestero­n sein, das direkt auf das gerichtete Vergessen wirkt.

Der sinkende Spiegel dieser Geschlecht­shormone bei Frauen nach der Menopause könnte, neben dem Alter, ein wichtiger Faktor beim Merken und Vergessen sein. Kerschbaum und Kollegen wollen diese Spur nun in Studien weiterverf­olgen.

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