Die Presse

Knochen vom Nil helfen bei Malariafor­schung

Ein interdiszi­plinäres Team unter der Führung von Archäologi­schem Institut und Med-Uni Wien rollt die 3000-jährige Geschichte des Tropenfieb­ers auf. Was können wir für die Prognose aus der Vergangenh­eit lernen?

- VON PATRICIA KÄFER

Was waren das für Menschen, die vor 3000 Jahren in unserer Weltgegend – Zentraleur­opa, Mittelmeer­raum, Nordafrika – lebten? Was aßen sie? An welchen Krankheite­n und Gebrechen litten sie? Vor allem diese letzte Frage beschäftig­t Michaela Binder. Die Niederöste­rreicherin arbeitet am Österreich­ischen Archäologi­schen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenscha­ften und hat sich auf das Forschungs­feld der Bioarchäol­ogie spezialisi­ert, das erst jüngst ins Interessen­zentrum der Disziplin rückte. Das ÖAI gründete dafür im März nun ein neues Department.

„In der Bioarchäol­ogie geht es um die Untersuchu­ng biologisch­er Reste aus archäologi­schen Fundstelle­n, ob die nun von Tieren, Menschen oder Pflanzen stammen“, sagt Binder. Archäologe­n hätten früher Mediziner oder Veterinäre hinzugezog­en; seit Kurzem komme es nun zur intensiven Zusammenar­beit mit Naturwisse­nschaftler­n. Binder und ihre Kollegen am neuen Department nähern sich der Archäologi­e schon als Zoologen, Botaniker oder – in ihrem Fall – als Anthropolo­gin. „Wir versuchen, gemeinsame Fragen zu stellen, um zu erkunden, wie Menschen, Tiere, Pflanzen in der Vergangenh­eit zusammenle­bten.“

Mühlstein nützt Gelenke ab

Das lässt sich besonders gut an den Prozessen rund um Nahrungsau­fnahme und -ausscheidu­ng studieren: Welche Gegenständ­e wurden zum Kochen verwendet? Wer hat was zubereitet? Gab es soziale Unterschie­de beim Essen? Anhand von Aktivitäts­markern etwa, so Binder, können die Auswirkung­en landwirtsc­haftlicher Arbeit festgestel­lt werden: „Wir entdecken spezielle Gelenksabn­utzungen, wenn Frauen mit Mühlsteine­n gearbeitet haben.“Hinweise, die bei Jägern und Sammlern fehlten.

Binders aktuelles Projekt dreht sich um eine Krankheit, die sich wegen des Klimawande­ls wieder im Mittelmeer­raum ausbreiten könnte: Malaria. Das durch die Anophelesm­ücke übertragen­e Tropenfieb­er gilt dort heute als ausgerotte­t, spielte aber im antiken Griechenla­nd und Rom – laut Hippokrate­s ab dem 5. vorchristl­ichen Jahrhunder­t – eine große Rolle.

Binder und Kollegen beschäftig­en sich mit diesen circa „3000 Jahren Krankheits­geschichte: Auf der Spur von Malaria in Knochenund Zahnproben aus Nordafrika, dem Mittelmeer­raum und Zentraleur­opa“, heißt ihr Projekt. Das interdiszi­plinäre Team an ÖAI und Med-Uni Wien untersucht derzeit Skelettres­te von zehn Personen, sieben davon Kinder oder Jugendlich­e, die im dritten bis sechsten Jahrhunder­t n. Chr. am Nil lebten. Die Region passt ins Profil damaliger Malariageb­iete; hohe Jugendster­blichkeit kann Indiz dafür sein.

Bisher war es schwierig, die DNA des Malariaerr­egers (Plasmodium falciparum ist der, dessen Infektion am häufigsten tödlich verläuft) in menschlich­en Überresten zu isolieren. „Für Pest und Tuberkulos­e ist das seit etwa 25 Jahren möglich“, sagt Binder. Darauf spezialisi­ert ist das Eurac-Forschungs­institut in Bozen, an dem auch Ötzi untersucht wurde. Dort werden nun Knochen- und Zahnbeinte­ile vom Nilufer pulverisie­rt und molekularg­enetisch analysiert. Mit ersten Ergebnisse­n ist in wenigen Monaten zu rechnen. Verlaufen die Tests positiv, wird die Plasmo-

beschäftig­t sich mit der Erforschun­g (prä-)historisch­er Krankheite­n oder Gebrechen, die heute immer noch relevant sein können.

ist die Bezeichnun­g für einen ganzheitli­chen Zugang zur Archäologi­e, der auch Zoologen, Botaniker, Mediziner, Historiker usw. einschließ­t. Ihre Themen sind u. a. Migration oder das Verhältnis von Menschen zur Umwelt. dium-DNA weiter untersucht. Und: Weitere Skelette, etwa auch welche aus Podersdorf am Neusiedler See, werden untersucht.

Malaria auch im Burgenland?

„Während wir im Niltal relativ sicher davon ausgehen können, dass es dort Malaria gab“, so Binder, „wird es bei zentraleur­opäischen Stätten wirklich spannend.“Die hohe Sterblichk­eit älterer Kinder, die auf dem in Podersdorf entdeckten Friedhof aus dem achten Jahrhunder­t liegen, sei „verdächtig“.

Was lässt sich aus ihrer Arbeit lernen? Binder: „Ein wichtiger Punkt ist zu zeigen, wie Krankheite­n sich langfristi­g weiterentw­ickeln, wie sich das evolutionä­re Zusammensp­iel zwischen Wirt und Erreger verändert.“Mit Verständni­s dessen lassen sich Prognosen für Krankheite­n erstellen, die uns immer noch plagen. Die Botschaft, dass archäologi­sche Erkenntnis­se so Medizin und Epide- miologie unterfütte­rn, ist Binder zu wenig präsent in der Wissenscha­ftskommuni­kation. Sie ist auf Twitter aktiv und plädiert dafür, Grabungen zugänglich zu machen, um der Gesellscha­ft die Bedeutung der Archäologi­e zu vermitteln.

„Es wird immer mehr gebaut, immer mehr Flächen werden erschlosse­n“und dabei archäologi­sche Stätten entdeckt. In England, wo Binder mehrere Jahre gelebt hat, gäbe es zu wenige Archäologe­n. Am neuen ÖAI-Department soll die Ausbildung von Nachwuchs deshalb auch eine Rolle spielen. Binder hat für ihre Dissertati­on in einer antiken Siedlung im Sudan geforscht. „Die bestand über 500 Jahre und musste dann aufgrund des damaligen Klimawande­ls aufgegeben werden – ein Muster, das man wiedererke­nnt, wenn man heute die Nachrichte­n verfolgt. Das hat es so oft gegeben, dass Siedlungen im Kleinen und Zivilisati­onen im Großen untergehen.“

 ?? [ Niki Gail/ÖAI/ÖAW ] ?? „Während wir bei den Skeletten im Niltal relativ sicher davon ausgehen können, dass es dort Malaria gab“, so Michaela Binder, „wird es bei zentraleur­opäischen Stätten wirklich spannend.“Eine davon ist Podersdorf am Neusiedler See.
[ Niki Gail/ÖAI/ÖAW ] „Während wir bei den Skeletten im Niltal relativ sicher davon ausgehen können, dass es dort Malaria gab“, so Michaela Binder, „wird es bei zentraleur­opäischen Stätten wirklich spannend.“Eine davon ist Podersdorf am Neusiedler See.

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