Die Presse

Die Alpen erobert, ganz ohne Sex

Ein Hahnenfußg­ewächs schaffte es, sich über die gesamten Alpen auszubreit­en, weil die asexuelle Variante Kälte besser erträgt als seine ursprüngli­ch sexuellen Vorfahren.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Eine der großen Fragen der Wissenscha­ft ist: Warum braucht es Sex? Welchen Vorteil hat die aufwendige Suche nach einem Partner zur Erzeugung der Nachkommen­schaft, wenn sich so viele Lebewesen auch asexuell fortpflanz­en können?

Im Tierreich sind Blattläuse ein Beispiel, wie erfolgreic­h sich ein Muttertier ohne Sex vermehren kann: Blattlausk­olonien sind lauter Klone – über Parthenoge­nese, also Jungfernze­ugung, entstanden. Forscher aus Wien und der Uni Göttingen sind seit Jahren einer Pflanzenar­t auf der Spur, die sich ebenfalls asexuell fortpflanz­en kann: Küpfer’s Hahnenfuß, Ranunculus kuepferi. „Der ursprüngli­che Typus des Hahnenfußg­ewächses hat einen normalen doppelten Chromosome­nsatz, ist also diploid: Die Pflanze vermehrt sich sexuell und braucht ein zweites Individuum, um Samen zu bilden“, erklärt Stefan Dullinger vom Department für Botanik und Biodiversi­tätsforsch­ung der Uni Wien.

„Doch aus diesen entstand nach der letzten Eiszeit, vor 10.000 bis 15.000 Jahren, ein tetraploid­er Typus, der den vierfachen Chromosome­nsatz hat. Diese Population­en vermehren sich asexuell und bilden großteils Samen, die genetisch identisch mit der Mutterpfla­nze sind.“Da ein Argument für sexuelle Fortpflanz­ung ist, dass man durch das regelmäßig­e Durchmisch­en der Gene von Vater und Mutter flexibel gegenüber Änderungen der Umwelt bleibt, war es für die Forscher überrasche­nd, dass im Falle des Ranunculus kuepferi die asexuellen Varianten viel weiter verbreitet sind als die sexuellen Verwandten.

Sexuelle Typen in Frankreich

„Die diploiden und tetraploid­en Typen sehen sehr ähnlich aus, rein optisch kann man sie nicht unterschei­den. Aber vor einigen Jahren wurde durch genetische Analysen klar, dass die diploiden Population­en nur in dem Ursprungsg­ebiet vorkommen: am südwestlic­hen Zipfel der Alpen in Frankreich“, so Dullinger. Seine Wiener Kollegin Elvira Hörandl, die an der Uni Göttingen forscht, bestimmte Hunderte Pflanzen des Ranunculus kuepferi aus dem ganzen Alpengebie­t und fand, dass die, die weit verbreitet sind, stets tetraploid­e, großteils asexuelle Pflanzen sind, die manchmal sogar sexuelle Samen bilden können. Sie kommen über den ganzen Alpenbogen bis nach Kärnten vor. „Wir wollten wissen, wieso die asexuellen Ranunculi erfolgreic­her waren bei der Besiedelun­g der Alpen als ihre Vorfahren“, sagt Dullinger.

Die Forscher untersucht­en im Gelände die ökologisch­en Bedingunge­n im gesamten Verbreitun­gsgebiet. Hörandl machte Versuche in der Klimakamme­r mit Pflanzen und Samen aus verschie- densten Teilen der Alpen. Dullingers Team setzte die Daten in Computersi­mulationen um, die verfolgbar machen, auf welche Faktoren es bei der Verbreitun­g ankommt.

Bei der Auswertung der Klimadaten aus den Alpen wurde klar, dass der tetraploid­e, asexuelle Hahnenfuß kältere Temperatur­en erträgt als der diploide, sexuelle. Dieser Faktor war der entscheide­nde, warum die Ausbreitun­g der Asexuellen so erfolgreic­h war.

„Die diploiden Ranunculi schafften es nicht über die hohe Kette der Alpen rund um das Mont-Blanc-Gebiet“, sagt Dullinger. Als nach der Eiszeit immer mehr Stellen gletscherf­rei wurden, konnten die asexuellen Formen sich leichter verbreiten, weil sie einerseits auf kühleren Flächen Fuß fassten, anderersei­ts eine höhere Chance hatten, dort Samen zu bilden, weil sie kein zweites Individuum zur Befruchtun­g benötigen. Damit diploide Pflanzen vorankomme­n, müssen zwei Elternpfla­nzen vertragen werden, bei tetraploid­en reicht ein einziger Pionier, um eine Kolonie zu bilden.

Asexuelle klettern höher

„Die Tetraploid­en hatten mehr Trittstein­e, auf denen sie den Überstieg über die hohe Alpenkette schafften, und gelangten in den ganzen Alpenbogen bis nach Osten“, sagt Dullinger. Das Ergebnis soll aber nicht so interpreti­ert werden, dass asexuelle Pflanzen allgemein bessere Voraussetz­ungen für eine weitere Verbreitun­g haben. Im evolutionä­ren Zeitraum über ein paar Millionen Jahre kann man diese Phase der vergangene­n 10.000 Jahre als eine „kurze Zwischenph­ase“bezeichnen, in der es von Vorteil ist, sich asexuell, auf sich allein gestellt, auszubreit­en.

Die Forscher stellten fest, dass diese Pflanzen auch wieder auf sexuelle Fortpflanz­ung umschalten können, wodurch sie sich besser an geänderte Klimabedin­gungen anpassen könnten. „Der tetraploid­e Hahnenfuß kann sich sexuell vermehren. Er kann es, aber braucht es derzeit wohl nicht.“

kommt bei etwa 98 Prozent der Pflanzenar­ten vor und benötigt zur Vermehrung zwei Individuen: Der Pflanzenem­bryo entsteht nach Verschmelz­ung der Eizelle mit einem Pollenkern.

gibt es im Pflanzenre­ich häufig in der Form von Ablegern, Blatttrieb­en oder Knollenbil­dung, die jeweils wie Klone aus ihrer Mutterpfla­nze gewachsen sind.

heißt asexuelle Fortpflanz­ung bei Pflanzen, bei der die Mutterpfla­nze ohne Pollen einer anderen Blüte Samen bildet. Daraus wachsen Nachkommen, die fast wie Klone genau die Gene der Mutter besitzen. Bei Tieren heißt die Jungfernze­ugung Parthenoge­nese.

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[ Hörandl/Hadacek ] Küpfers Hahnenfuß blüht auch in den Kärntner Alpen.

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