Die Alpen erobert, ganz ohne Sex
Ein Hahnenfußgewächs schaffte es, sich über die gesamten Alpen auszubreiten, weil die asexuelle Variante Kälte besser erträgt als seine ursprünglich sexuellen Vorfahren.
Eine der großen Fragen der Wissenschaft ist: Warum braucht es Sex? Welchen Vorteil hat die aufwendige Suche nach einem Partner zur Erzeugung der Nachkommenschaft, wenn sich so viele Lebewesen auch asexuell fortpflanzen können?
Im Tierreich sind Blattläuse ein Beispiel, wie erfolgreich sich ein Muttertier ohne Sex vermehren kann: Blattlauskolonien sind lauter Klone – über Parthenogenese, also Jungfernzeugung, entstanden. Forscher aus Wien und der Uni Göttingen sind seit Jahren einer Pflanzenart auf der Spur, die sich ebenfalls asexuell fortpflanzen kann: Küpfer’s Hahnenfuß, Ranunculus kuepferi. „Der ursprüngliche Typus des Hahnenfußgewächses hat einen normalen doppelten Chromosomensatz, ist also diploid: Die Pflanze vermehrt sich sexuell und braucht ein zweites Individuum, um Samen zu bilden“, erklärt Stefan Dullinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien.
„Doch aus diesen entstand nach der letzten Eiszeit, vor 10.000 bis 15.000 Jahren, ein tetraploider Typus, der den vierfachen Chromosomensatz hat. Diese Populationen vermehren sich asexuell und bilden großteils Samen, die genetisch identisch mit der Mutterpflanze sind.“Da ein Argument für sexuelle Fortpflanzung ist, dass man durch das regelmäßige Durchmischen der Gene von Vater und Mutter flexibel gegenüber Änderungen der Umwelt bleibt, war es für die Forscher überraschend, dass im Falle des Ranunculus kuepferi die asexuellen Varianten viel weiter verbreitet sind als die sexuellen Verwandten.
Sexuelle Typen in Frankreich
„Die diploiden und tetraploiden Typen sehen sehr ähnlich aus, rein optisch kann man sie nicht unterscheiden. Aber vor einigen Jahren wurde durch genetische Analysen klar, dass die diploiden Populationen nur in dem Ursprungsgebiet vorkommen: am südwestlichen Zipfel der Alpen in Frankreich“, so Dullinger. Seine Wiener Kollegin Elvira Hörandl, die an der Uni Göttingen forscht, bestimmte Hunderte Pflanzen des Ranunculus kuepferi aus dem ganzen Alpengebiet und fand, dass die, die weit verbreitet sind, stets tetraploide, großteils asexuelle Pflanzen sind, die manchmal sogar sexuelle Samen bilden können. Sie kommen über den ganzen Alpenbogen bis nach Kärnten vor. „Wir wollten wissen, wieso die asexuellen Ranunculi erfolgreicher waren bei der Besiedelung der Alpen als ihre Vorfahren“, sagt Dullinger.
Die Forscher untersuchten im Gelände die ökologischen Bedingungen im gesamten Verbreitungsgebiet. Hörandl machte Versuche in der Klimakammer mit Pflanzen und Samen aus verschie- densten Teilen der Alpen. Dullingers Team setzte die Daten in Computersimulationen um, die verfolgbar machen, auf welche Faktoren es bei der Verbreitung ankommt.
Bei der Auswertung der Klimadaten aus den Alpen wurde klar, dass der tetraploide, asexuelle Hahnenfuß kältere Temperaturen erträgt als der diploide, sexuelle. Dieser Faktor war der entscheidende, warum die Ausbreitung der Asexuellen so erfolgreich war.
„Die diploiden Ranunculi schafften es nicht über die hohe Kette der Alpen rund um das Mont-Blanc-Gebiet“, sagt Dullinger. Als nach der Eiszeit immer mehr Stellen gletscherfrei wurden, konnten die asexuellen Formen sich leichter verbreiten, weil sie einerseits auf kühleren Flächen Fuß fassten, andererseits eine höhere Chance hatten, dort Samen zu bilden, weil sie kein zweites Individuum zur Befruchtung benötigen. Damit diploide Pflanzen vorankommen, müssen zwei Elternpflanzen vertragen werden, bei tetraploiden reicht ein einziger Pionier, um eine Kolonie zu bilden.
Asexuelle klettern höher
„Die Tetraploiden hatten mehr Trittsteine, auf denen sie den Überstieg über die hohe Alpenkette schafften, und gelangten in den ganzen Alpenbogen bis nach Osten“, sagt Dullinger. Das Ergebnis soll aber nicht so interpretiert werden, dass asexuelle Pflanzen allgemein bessere Voraussetzungen für eine weitere Verbreitung haben. Im evolutionären Zeitraum über ein paar Millionen Jahre kann man diese Phase der vergangenen 10.000 Jahre als eine „kurze Zwischenphase“bezeichnen, in der es von Vorteil ist, sich asexuell, auf sich allein gestellt, auszubreiten.
Die Forscher stellten fest, dass diese Pflanzen auch wieder auf sexuelle Fortpflanzung umschalten können, wodurch sie sich besser an geänderte Klimabedingungen anpassen könnten. „Der tetraploide Hahnenfuß kann sich sexuell vermehren. Er kann es, aber braucht es derzeit wohl nicht.“
kommt bei etwa 98 Prozent der Pflanzenarten vor und benötigt zur Vermehrung zwei Individuen: Der Pflanzenembryo entsteht nach Verschmelzung der Eizelle mit einem Pollenkern.
gibt es im Pflanzenreich häufig in der Form von Ablegern, Blatttrieben oder Knollenbildung, die jeweils wie Klone aus ihrer Mutterpflanze gewachsen sind.
heißt asexuelle Fortpflanzung bei Pflanzen, bei der die Mutterpflanze ohne Pollen einer anderen Blüte Samen bildet. Daraus wachsen Nachkommen, die fast wie Klone genau die Gene der Mutter besitzen. Bei Tieren heißt die Jungfernzeugung Parthenogenese.