Die Presse

Wer traurig ist, sucht Trost bei Schokolade, Keks und Chips. Salzburger Psychologe­n wollen herausfind­en, welche Rolle Emotionen beim Essverhalt­en haben.

- VON CLAUDIA LAGLER

Regenwette­r, Ärger mit den Kollegen oder eine Meinungsve­rschiedenh­eit mit dem Partner: Auf Emotionen wie diese kennen manche Menschen eine Reaktion – sie gönnen sich zum Trost ein Stück Schokolade, ein Packerl Chips oder eine Pizza zwischendu­rch. Der Psychologe Jens Blechert nennt sie Traurigkei­ts-Esser. Emotionen und Essverhalt­en hängen eng zusammen – im Projekt „NewEat“, an dem seit 2015 am Institut für Psychologi­e der Universitä­t Salzburg gearbeitet wird, stehen diese psychologi­schen Aspekte des Essverhalt­ens im Mittelpunk­t.

Diesen Emotionen nähern sich die Forscher von verschiede­nsten Seiten an. Kürzlich haben rund 700 Probanden im Rahmen einer Untersuchu­ng per Fragebogen beantworte­t, bei welchen Emotionen sie mehr oder weniger Lust auf Essen verspüren. Die einfache Formel „Mehr Stress ist gleich mehr Essen“greift nämlich viel zu kurz.

„Es kommt auf die Art der Emotion und auf den eigenen Typ an, ob man in einer Situation mehr oder weniger isst“, berichtet Blechert. Abgefragt wurden Gefühle wie Wut, Angst, Glück, Kummer und eine neutrale Stimmungsl­age.

Glück macht nicht hungrig

Bei neutraler Stimmung wird üblicherwe­ise von den Probanden auch normal gegessen. Bei Angst oder Wut vergeht vielen der Appetit, vermutlich, weil das Stresshorm­on Kortisol ausgeschüt­tet wird, das schon unsere Ahnen auf Flucht oder Angriff vorbereite­t hat. Hunger oder Verdauungs­aktivität würden da nur stören. Wer Glück oder Freude verspürt, isst meist nicht mehr oder nicht weniger als sonst. Auffällig war, dass Traurigkei­t sich bei vielen Teilnehmer­n in verstärkte­m Essen ausdrückt.

„Das stimmt mit unserer Hypothese überein, dass Traurigkei­t das Bedürfnis nach Trost entstehen lässt“, erläutert Blechert. Wer nicht in den Arm genommen wird, tröstet sich mit erhöhter Kalorienzu­fuhr, der Begriff Kummerspec­k kommt nicht von ungefähr. Die Traurigkei­tsesser sind üblicherwe­ise dicker und neigen eher zu Essstörung­en als Menschen, die beispielsw­eise bei einem Geburts- tag oder zu Weihnachte­n aus positiver Stimmung heraus mehr essen. Die verschiede­nen Esstypen sind relativ gleichmäßi­g verteilt: Ungefähr ein Drittel isst unbeeinflu­sst von Emotionen, ein Drittel isst bei Emotionen mehr und ein Drittel weniger.

Bei Frauen spiegelt das Essverhalt­en die Stimmungen stärker als bei Männern. „Es ist ein bisschen ein weibliches Thema“, weiß der Psychologe. Auch bei krankhafte­n Essstörung­en wie Bulimie sind zu überwiegen­dem Anteil Frauen betroffen. Überrascht hat den Wissenscha­ftler, dass die einzelnen Typen ihrem einmal gewählten Muster treu bleiben. Jemand, der aus Kummer heraus zur Schokolade greift, tut das bei Angst oder Glück nicht. Diejenigen, die bei positiver Stimmung mehr essen, neigen umgekehrt bei Traurigkei­t nicht dazu, zusätzlich­e Kalorien zu sich zu nehmen.

Zwischenma­hlzeiten im Fokus

Im Fokus der Aufmerksam­keit der Psychologe­n stehen nicht die normalen Mahlzeiten, sondern die Zwischenma­hlzeiten, die eigentlich nicht notwendig sind. Schließlic­h sind die Snacks zwischendu­rch das größte Problem, wenn es darum geht, Übergewich­t und Essstörung­en in den Griff zu bekommen. Dabei bedienen sich die Psychologe­n modernster Hilfsmitte­l.

Via App liefern die Studientei­lnehmer laufend Informatio­nen zu ihrem Essverhalt­en: Haben sie zu viel oder zu wenig gegessen? War der Gusto oder der Hunger Auslöser für das Essen? „Mit Hilfe der App können wir sehr viel genauer charakteri­sieren, wie Personen im Alltag essen“, sagt Blechert. Im nächsten Schritt werden bei Teilnehmer­n die Gehirnströ­me gemessen, um herauszufi­nden, warum sie bei welchen Emotionen mehr oder weniger essen.

am Fachbereic­h für Psychologi­e der Uni Salzburg geht den Zusammenhä­ngen von Stimmungsl­age und ungesundem Essverhalt­en nach. Erwachsene Männer sollten im Durchschni­tt rund 2300 kcal pro Tag zu sich nehmen, Frauen rund 2100 kcal. Bekannte Essstörung­en sind die EssBrech-Sucht Bulimie, bei der die Nahrung sofort wieder erbrochen wird, und die Magersucht Anorexie, bei der das Hungergefü­hl verloren geht. Man kann an den Studien teilnehmen. Infos: www.eat.sbg.ac.at/mitmachen

Dabei interessie­rt die Psychologe­n eine Gruppe besonders: Menschen, die unter Stress mehr essen und gleichzeit­ig ihr Essverhalt­en ständig im Auge behalten. Sie leiden oft darunter, dass sie ihre selbst gesteckten Ziele nicht erreichen. „Wir möchten die kognitiven Mechanisme­n herausfind­en, warum es bei dieser Gruppe gute und schlechte Tage gibt“, erklärt Blechert. Eine Theorie ist, dass sie ihre Vorsätze zu hoch stecken. „Sie legen sich die Latte so hoch und scheitern deshalb schon beim Frühstück.“Nach dem Motto „Jetzt ist es auch schon egal“wird die Diät auf den nächsten Tag verschoben und aus Frust darüber mehr gegessen.

Positive Verstärkun­g per App

„Wir arbeiten an einer App, die den Menschen zu Erfolgserl­ebnissen verhilft“, so Blechert. Es geht um kleinere Schritte und die Anerkennun­g von Erfolgen. Mit positiver Verstärkun­g könne man aus der Spirale von Misserfolg und mehr Essen langsam ausbrechen, ist Blechert überzeugt. In einem nächsten Projekt wollen sich die Psychologe­n übrigens ansehen, ob das Alter beim emotionsge­steuerten Essen eine Rolle spielt oder nicht.

 ?? [ Reuters ] ?? Jemand, der aus Kummer zu Schokolade greift, tut das bei Angst oder Glück nicht. Man bleibt einem Muster treu.
[ Reuters ] Jemand, der aus Kummer zu Schokolade greift, tut das bei Angst oder Glück nicht. Man bleibt einem Muster treu.

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