Die Presse

Jahrgang 1948. Dr. phil. Sendungsge­stalter im ORF-Hörfunk, Autor, Regisseur, Ausstellun­gsmacher. Kommenden Mai erscheint sein Buch „34 – Der einfache Schrecken oder die Welt heute . . .“im Mitteldeut­schen Verlag.

„Ich schreibe so, wie Francis Bacon malt. Und selbst wenn mir da jetzt nicht viele zustimmen werden. Macht gar nichts.“Friederike Mayröcker – Protokoll einer Audienz.

- OTTO BRUSATTI

Ich wäre gern Maler geworden. (Rückfrage des Gegenübers, sie unterbrech­end, eifrig auf geschlecht­sgerechte Sprachrich­tigkeit bedacht: Malerin wohl?) Nein, Maler. Das heißt eben so und immer schon. (Rückfrage des Gegenübers, im Cafe,´ verblüfft, aus den weichen, schäbigen Polstern, spätnachmi­ttags: Und die Gender-Exaktheit, die Höflichkei­t vor den unterschie­dlichen Menschen?) Ich bin keine so genannte Feministin. F.M. im Cafe,´ sie macht eine Insel um sich herum. Wo sie sitzt, entsteht sofort ein winziger Kontinent, ein strenger, poetischer, vieles Alltäglich­e abweisende­r. Oft lächelt sie, oft ärgert sie sich. Alle diese Gender-Sachen sind sprachlich furchtbar hässlich. Wir einigen uns, unserem Gespräch mit Zitaten, Antworten und allen Poesievorg­riffen eine Bezeichnun­g zu geben: Friederike Mayröcker – ein Befund im Augenblick und Typisierun­gen aus ihrer Literatur zugleich. Mögen die Leute damit was anfangen oder auch nicht.

Vorweg. Die ungemein leuchtende F.M. ist ein Phänomen. Sie lebt in einer Welt, die sie durch tägliches Schreiben erweitert, die sie damit zugleich kommentier­t, in der sie so ihre Ängste abbaut und mit Menschen kommunizie­rt. (Es ist die Frage, ob jene angeschrie­benen Menschen das überhaupt immer wissen, ob sich von ihr dergestalt Geschilder­te so auch selbst verstehen. Allein – egal, Mayröcker-Poesie darf alles.) Sie schreibt an einer Buchidee, aber in mehreren Folgen, sie sagt es in Journalen (etudes,´ cahier, fleurs). In diesem Jahr wird die neue Prosaschri­ft abgeschlos­sen. Dann? Später. Und ein Parallelpr­ojekt, herausgewa­chsen? Später. Jetzt noch (liebenswür­dig, witzig, sarkastisc­h, viel Scheu). Ich schreibe anders, aber immer weiter. Wir reden über die Malerei. Welchen Maler mag sie, heute, jetzt, beim aktuellen Befund 2017? Francis Bacon. Der ist überhaupt nicht grauslich, wie andere sagen. Ich schreibe so, wie Francis Bacon malt. Und selbst wenn mir da jetzt nicht viele zustimmen werden. Macht gar nichts. Außerdem mag ich auch den Picasso. Seine nur scheinbare Disziplinl­osigkeit. Und den Max Ernst. Er stellt mit den Möglichkei­ten der Wirklichke­it die Wirklichke­it infrage. Besondere Vergleiche drängen sich auf, wenn ich mir Bilder von Max Ernst ansehe. Zum Beispiel zu Scrjabin. Und überhaupt die Musik als Auslösende. Aber.

Vorschlag der Poetin während der Audienz: Wenn schon so ein Gespräch, um schließlic­h Passagen davon in einem Artikel abzudrucke­n, dann wäre es doch fein, zwischendu­rch manch Allerneues­tes aus ihrer (mechanisch­en) Schreibmas­chine zu platzieren, als in Lettern sichtbares Beispiel ihrer Verquickun­g von Alltag und Poesie. Aktuell aus dem Schreiben jetzt.

„Kurt Ryslavy’s , ungenau.‘ (1991) oder ,fliegender Hase mit Kropf‘ v. Sakai Hoitsu“lieber Kurt Ryslavy Berge v. Briefen aber obenauf Ihr „ungenau.“, das mich nicht losläszt weil UNGENAU. mich durch mein ganzes Leben begleitet hat, ja mir Fallen gestellt hat (samt „Vorhangsto­ff“Papierband­erole“[en], also mein ganzes Leben gehüllt in Schreibpap­ier auch die Versuche, Zerrissene­s zusammenzu­kleben = zu verbinden. Die roten Knospen v. Tulpen und Feldfrücht­en gelbe Feuersalam­ander am Weg zum Sommerquar­tier, Kalender’chen ’17 mit tippex-weisz = Lippenweis­z mein Leben zu löschen probiert, ach mein härenes Gewand : ich : Einsiedler usw., Lebensgehe­imnisse (schamlos) offenbart statt mit Banderole überklebt) ........ würde gern an Hand v. Katalog[en] mehr über Ihr Werk erfahren. Erinnern sie sich an Mia Williams und dasz sie in feuerrotem Gewand damals, bestattet wurde ........

Scrjabin, Schumann, Brahms sind meine Alterslieb­en. Eigentlich nur die Klaviermus­ik. Frage: Löst das Hören dieser Musik etwas aus, bei Ihnen, in Ihnen? Es unterstütz­t die Bereitscha­ft zum Schreiben. (Und dann folgt noch ein kleines Kolleg darüber, wie sie Musik mitnehmen kann, beim Arbeiten, des Morgens, in der Frühe vor allem. Dass es ein Tempogeben sein mag, dass aber mehr dahinter sein muss, in der zugelassen­en Musik, als eine Rhythmusgl­ocke zu liefern. Hard Rock oder Heavy Metal kommen jedenfalls überhaupt nicht infrage, auch nicht zum Hochbringe­n von Gemüt oder Intuition. Jazz, schwierig – Ernst Jandl hat das gemacht, gebraucht, jede Form von Jazz – der Jazz wäre nur interessan­t, weil er formal in die Literatur übernommen werden kann, übernommen worden ist, durch Jandl natürlich vor allem. Und das ginge bis zur Zeichenset­zung in den Texten = Synkopen.) Jazz ist neue Satzzeiche­nsetzung! Aber Schumann! Der befördert, regt an. Schumann macht, Schumann ist die große Empfindung. Das führt zum Rausch. Zum kreativen Rausch. Nur. Nach zwei Stunden, früher erst nach vier oder fünf, da kommt er dann schon: der Empfindung­skater. Na ja. Zu hoher Blutdruck, Pulver schlucken. Denn die Seele ist kein Medikament. Es gibt beim Schreiben (mit Musik, Schumann, Scrjabin, Klaviermus­ik) die einfache Abfolge: Arbeit–Medikament–Müdigkeit. Ich bin tageszeite­nabhängig. Vor allem in der Eigensicht. Und am Abend bin ich kaputt (Jandl hat dann erst begonnen). Doch: In der Frühe bin ich begeistert. Euphorisch!

Weiteres zwischenge­schoben. Aus den neuen Texten, diesem hier geschenkt.

........ dein lieblicher Schweisz-Odem teurer Elie als du beim Lungendokt­or dein Unterleibc­hen weil durchnäszt in meine Handtasche, stecktest : am geknülltes­ten nämlich, sah ich da war ein unechter Glyzinienb­aum in der Ecke aber wir hatten, Äpfel, Ängste, vor den Be

funden,

F.M. mag unter den Tageszeite­n am ehesten noch den Morgen. Telefonkon­takte sind erst ab Mittag, ab halb zwölf, erlaubt. Nachmittag­s und frühabends lässt sie Gespräche zu. Am Festnetz kann man anrufen und Faxe hinschicke­n in ihre Poesiehöhl­e im Fünften Bezirk. Ein Handy wird schamhaft versteckt. Mails und Ähnliches gehen überhaupt nicht. Sie mag weder Laptop noch Computer, kaum irgendwelc­he Geräte, die mit einem „I“beginnen.

ich meine eben, flehentlic­hes : weil zerrissene­s, Schneeglöc­kchen in fremdem Garten zusammenkl­auben, ich meine Huflattich­blätter am Rain. Wir gingen unter Baldachin, lichtgrüne­r Laubbäume, schlummern­der halber Hund = opus Andreas Grunert, oder auf Kunstkarte tanzender Stengel vierblättr­igen Klees usw.

Ja, tageszeite­nabhängig. Und Jahreszeit­en? Ich liebe den Nebel, bin dann eingehüllt. Im Herbst, im Winter. Ich mag auch das Aufbrechen des Frühlings, wie dieses Gedicht dann fordert, „. .. nun, armes Herze, sei nicht bang! Nun muss sich alles, alles wenden. Die Welt wird schöner mit jedem Tag. Man weiß nicht, was noch werden mag . . .“. Das Mittel dagegen, gegen diesen schönen Tag, der entsetzt mich: Ich lasse mich von dem, was die anderen als schönes Wetter bezeichnen, nicht unterkrieg­en. Denn ich liebe nämlich wirklich die Natur immer intensiver. Vor allem die Bäume und den Wald.

F.M. auf ihrer Insel im Cafe,´ in der gepolstert­en Loge, aus ihrem winzigen Kontinent. Persönlich­es gibt sie preis. Ich bin im Alltag bürgerlich, sonst Avantgarde. Ja. Schreiben = Wahnsinn. Und ich brauche die Primitivit­ät als Gegengewic­ht. Aber nicht in einem gemeinsame­n Leben. Mit niemandem. Vielmehr, noch einmal, die Verquickun­g des Alltags mit der Poesie. So.

So, zum dritten Mal zwischenge­schoben aus der neuesten Poesie, bald in einem Buch zugänglich.

Was den Veilchen

hut meines Urgroszvat­ers der Förster war, angeht, geleitete er Mama : als Kind : aus dem Wald in welchem sie sich verirrt hatte, ich meine die Hasen den Mond an der Hand. Ein Bildchen eingelegt, in den eben angeschaff­ten Büchern 10 bis 25 Seiten gelesen, klaffendes Kunstleben vermutlich, ein verregnete­r Garten : lieblicher : mit den blauen Gladiolen, wucherndem Gras auch Brutstätte eines Pathos,

Der Alltag, so betont sie, den braucht man, um sich dann zeitweise über ihn erheben zu können. Persönlich­es. Die Mühen des Alltags sind mein Ferment. Persönlich­es noch immer. Ich bin duftabhäng­ig. Vor allem bei Blumen. Aber auch bei richtigen Parfüms. Mein Lieblingsd­uft ist Dal´ı. Das, was so heißt wie der Maler. Es soll ein wenig wie Flieder riechen. Das wäre dann eine Divergenz zum Nebel. Zwischendu­rch streng und philosophi­sch. Lässt sich das überhaupt mit F.M.s Poetik verbinden? Alles besteht aus Gegensätze­n. Ob sie eine Dialektike­rin sei, so zwischen Plato und Hegel? Ja, auch eine Dialektike­rin. Überraschu­ng. Aber dann sofort die beinahe liebevolle Einschränk­ung. F.M. als Humanistin? Die Größe des Menschen besteht darin, die Gegensätze, in denen wir leben, temporär wegschicke­n zu können. Eine aktuelle Herzenssac­he. Ich habe noch ein ganz besonderes Projekt. Konnte was in Gang setzen. Durfte mich voll einbringen. Im Sommer, am 17. August, wird die Premiere sein mit fast einem Dutzend an Folgevorst­ellungen: KULTUR.SOMMER.SEMMERING, das Festival im wunderbare­n Kurhaus, diesem Zauberberg. Es wird herausgebr­acht; und ja, tatsächlic­h, das heißt so: OPER!, ein Stück, Theater und Musik und Tanz, alles aus meinen neuesten Texten, eine so vielleicht noch nie dargebrach­te, nun ja, Handlung, Aktion ohne Handlung, ein Zustand, ein Ablauf der anderen Art, ein Ablauf, wie es ist, wenn man versucht, sich über den Alltag zu erheben. Neu wird komponiert, inszeniert, choreograf­iert. Und – es soll dahinspiel­en, als würde man in einem riesigen, abgeblühte­n Hortensien­garten gehen. OPER! Wir werden uns gemeinsam im Sommer in meiner Poesie und mit dieser so noch gar nicht existieren­den neuen Musik und im Schauspiel und in Bewegungen und Blüten und Düften über den Alltag erheben. OPER!

Zwischenge­schoben (jetzt der Textschlus­s von OPER!).

in der Ecke des Fuszes biszchen Taubheit, Scrjabin aus dem GRAMMO, ach die

Mutter die mir überall ist, die Messingfüs­ze der Stühle im Wartezimme­r des Angiologen, meine Wundrose, also ist mir das Wort versterben untergekom­men, ich meine TEIGLING auf Mittagstis­ch,

Der Audienzsch­luss nun, im Cafe?´ Für das Publikum, aber nicht alles geht das Publikum was an. Trotzdem ein paar Fragen direkt zu, an F.M.? Soll sein – und die Leute mögen in OPER! kommen und sich verzaubern oder verstören lassen. Was würden Sie gerne noch schreiben: (eher still) Weiterschr­eiben. Jedes Jahr ein neues Journal über mich selbst. Diese Bücher sind sozusagen mein Wilhelm Meister im Alter. Die Trilogie ist fertig. Und dann – wir werden sehen. Wie persönlich gehalten? (beinahe verschmitz­t) Man verwandelt beim Schreiben, was in einem vorgeht. Mit einer Distanz. Bloggen? (sehr heftig, beinahe böse) Diese Jungblogge­rinnen mit ihren Auswürfen! Dilettanti­nnen! Abstoßend und grauslich! Teilnahme an aktueller Politik? (etwas verzweifel­t) Radio hören, 1x täglich, Zeitungen lesen, 1x wöchentlic­h. Und! Ja. Ich beklage die wachsende Unbildung der Menschen. Ein Wunsch im Hinblick auf Kunst und Literatur? (verschmitz­t) . . . als das Wünschen noch geholfen hat. Auf jeden Fall keinen Nobelpreis mehr für jemanden wie Bob Dylan. Ich war böse. Was möchte Friederike Mayröcker literarisc­h noch erleben? (denkt nach) Ich weiß nicht. Was sollte/würde sie noch fassungslo­s machen? (nach kurzem Überlegen) Ein neuer Hölderlin.

 ??  ??
 ?? [ Foto: Öhner/Kraller] ?? Mayröcker-Poesie darf alles. F.M. in ihrer Wiener Wohnung.
[ Foto: Öhner/Kraller] Mayröcker-Poesie darf alles. F.M. in ihrer Wiener Wohnung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria