Geboren 1960 in Braunau. Dr. phil. Mitarbeiterin der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur. 2015 im Sonderzahl Verlag: „Ringstraßenzeit und Wiener Moderne. Porträt einer literarischen Epoche des Übergangs“.
Von 1958 bis 1962 galten sie als das Traumpaar der deutschsprachigen Literaturszene: Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Der erste Band der auf 30 Bände angelegten Bachmann-Edition enthält die persönlichen Notizen der Dichterin über ihren Schmerz nach diese
Der erste Band der auf 30 Bände angelegten Salzburger Bachmann-Edition bringt nicht den lang erwarteten Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, sondern bisher gesperrte Prosaminiaturen aus dem Nachlass der Autorin. Trotzdem, schon steht dieser Band auf der SWR-Bestenliste, und die Aufzeichnungen, die Bachmann seit 1962, seit dem Ende ihrer Liaison mit Frisch, nach ihrem physischen und psychischen Zusammenbruch, zu Papier gebracht hat, ganz persönliche Notizen über ihren Schmerz und ihre intimsten Empfindungen, erhalten plötzlich (was die Autorin so ganz bestimmt nie im Sinn gehabt hat) „Werk“-Charakter.
Zwischen 1958 und 1962, waren sie das Traumpaar der deutschsprachigen Literaturszene: Frisch und Bachmann. „Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht“, hat Frisch später selbstkritisch eingestanden. In ihren (publizierten) Werken beziehen sie sich auch nach der Trennung weiterhin aufeinander. Bachmann empfindet den „Gantenbein“-Roman zunächst sogar als „Tröstung“, „denn so erkenne ich“, schreibt sie an Frisch noch 1963, also vor der Veröffentlichung des Romans, „dass die Jahre gut für Dich waren, fruchtbar für Dich waren“; später betrachtet sie allerdings die Anspielungen, die augenscheinlich nur sie betreffen, als Kränkung, sie leidet unter der Zerstörung der Privatsphäre, sie fühlt sich ausgeliefert, verraten und verkauft, elend. Das persönliche Erlebnis auf der einen, das literarische Werk auf der anderen Seite: Ingeborg Bachmann zieht zwischen diesen Dimensionen eine scharfe Grenze.
Die Werkausgabe respektiert indessen diese Grenze nicht, obgleich sie in einer der darin versammelten Traumaufzeichnungen unmissverständlich angesprochen wird: Ein Regisseur (Bachmann notiert, er nenne sich Hansjörg Felmy), der einen Film über sie vorbereitet, „dreht, eh ich für die Aufnahme fertig bin. Ich bin nicht angezogen, habe Lockenwickler auf dem Kopf etc., und sowie ich das entdecke, werde ich sehr zornig“. Sie gibt (dem fiktiven) Felmy zu verstehen, „dieser Filmstreifen müsse sofort entfernt werden, das habe nichts mit Film zu tun, sondern sei privat. Hansjörg Felmy antwortet, gerade das wolle er, das sei interessanter für die Leute, er dreht weiter.“Am Ende der Traumsequenz löst die Dichterin, „von jetzt an ganz verändert“, eine Explosion aus.
Ein Lehrstück zum Thema Radikalisierung. Ein Stück, das gleichzeitig verständlich macht, warum Bachmann mit Blick auf die gesellschaftliche Zerstörung des Subjekts in der Folge das „Todesarten“-Projekt neu konzipiert, ihr Schweigen über so viel Ungesagtes aufbricht, die erst in Ansätzen literarisch geformten Traumnotate umgestaltet und sich ein „richtiges Verarbeiten dessen, was schon da ist“, vornimmt. Darauf können sich die Herausgeberinnen dann auch ohne Weiteres berufen, wann immer sie die Grenze zwischen privaten Notizen und literarischem Vermächtnis aufheben. Sie konstatieren nämlich mit Recht: In den Manuskripten und Randvermerken aus der Zeit der Krankheit ist die Vorgeschichte des „Spätwerks“von Bachmann aufgehoben.
Die ausführlichen Erläuterungen dieses Bandes konzentrieren sich auf die werkgenetische Bedeutung dieser Protokolle, die nie für eine Öffentlichkeit bestimmt gewesen sind, und nicht auf die Ausschlachtung der Indiskretionen, die in den Traumnotaten zutage gefördert werden und neben der Hauptperson „M. F.“auch den Vater, häufig sogar die gesamte Familie der Dichterin betreffen. „Ich weiß nicht, was diese nette Familie zu schaffen hat in meinen Träumen. Ich träume nie von einem Mann, den ich gern habe, nie von Berufskonflikten, die ich immerzu habe. O heiliger Freud.“ Bachmann kam erstmals im Dezember 1962 in ein Krankenhaus, nachdem sie (wie sie Hans Werner Henze später mitteilte) versucht hatte, sich umzubringen. Kurz darauf musste sie sich einer Operation unterziehen. Immer wieder folgten auf Phasen der Besserung Panikattacken, Zusammenbrüche. Protokolliert sind: Angst vor Einsamkeit, Isolierung, Verzweiflung, fortschreitende Medikamentenabhängigkeit sowie Behandlungen, bei Professor Hans Strotzka in Wien und Doktor Helmut Schulze in Baden-Baden, dessen „Grenzsituationstherapie“die Dichterin bis zuletzt sich gelegentlich in Erinnerung ruft, sich selbst „Torturen“zumutend.
Zwei Entwürfe für eine (nie gehaltene) provokante Rede, die Bachmann an Ärzte adressiert, für die Befunde wichtiger sind als die Krankengeschichten ihrer Patienten, dokumentieren ihre Erfahrungen, die sie in den diversen Kliniken hat machen müssen. Es fällt schwer, diese Rede nicht als Ausdruck einer Hybris zu verstehen, die auf die Geschichte der Entmündigung aller Kranken mit einer höhnischen Herabwürdigung aller Ärzte reagiert. Andererseits ist diese Rede zugleich auch ein eindrucksvolles Zeugnis des Bemühens, sich zu Verhältnissen zu äußern, die im Argen liegen und dennoch, aus Scham, nie angemessen thematisiert werden. Ermutigt durch die Krankengeschichte von Giuseppe Berto im Roman „Il male oscuro“(1964) und anknüpfend an Kafkas „Bericht an eine Akademie“unternimmt auch Bachmann eine präzise Schilderung ihrer Leiden in und mit der Psychiatrie.
Male oscuro, evil darkness: Böse Dunkelheit wird nach der schrecklichsten Zäsur in ihrem Leben, nach dem Aufwachen aus dem privaten Trauma „Grund und Boden“des schreibenden Ich im Spätwerk von Ingeborg Bachmann. Hans Höller, Hauptherausgeber dieser Edition, befreit mit diesem Hinweis in überzeugender Manier das Unternehmen vom Vorwurf des Voyeurismus. Die Ausgabe stellt vielmehr das Werk in jenen Lebenszusammenhang, aus dem es erst seine Konturen erhalten hat, ohne damit die intertextuellen Verbindungen abzuschneiden, die es mitprägen: Freud, Wittgenstein, die österreichische Moderne von Musil bis Aichinger; Bachmann hat selbst wiederholt auf viele weitere Bezugstexte hingewiesen, namentlich auch auf Nietzsche.
Auch die Herausgeberinnen dieses Bandes, Isolde Schiffermüller und Gabriella Pelloni, erläutern in ihren ausführlichen Flächen- und Stellenkommentaren die Zusammenhänge zwischen Leben, Lesen und Schreiben, wie sie sich in den bisher unveröffentlichten wie auch in den autorisierten Texten der Bachmann darstellen. Souverän ausgeschaltet haben sie die Probleme, die im Zuge der Transkription der Texte zu bewältigen gewesen sind. Wo editorische Eingriffe sich als notwendig erwiesen haben, um die Lesbarkeit der Texte zu gewährleisten, sind diese einsichtig begründet und vorbildlich gelöst. Über die Kriterien zur Auswahl der Traumaufzeichnungen, sagen die Herausgeberinnen indes, merkwürdig, kein Wort. Gleichviel, die elegant gestaltete Salzburger Bachmann-Werkausgabe setzt in allen Belangen Maßstäbe, die als Orientierungsmarken dienen können.