Die Presse

Geboren 1947 in Wien. Journalist­ische Anfänge beim Hörfunk. 1973 bis 1980 Pressespre­cher von Bundeskanz­ler Kreisky. 1986 bis 1994 Informatio­nsintendan­t des ORF. Konzert-Promotor. Bis 2012 Veranstalt­er des Salzburger Jazz-Herbstes.

Ihr Leben spiegelte einerseits Aufstieg und Bedeutung des Jazz und anderersei­ts die Wandlung der amerikanis­chen Gesellscha­ft im 20. Jahrhunder­t wider: Ella Fitzgerald – zum 100. Geburtstag.

- JOHANNES KUNZ

Dreizehn Grammys, zahlreiche akademisch­e Ehrungen, Dutzende Poll-Siege als „Beste Sängerin“in „Downbeat“und anderen Jazzmagazi­nen, die Verleihung der National Medal of Arts 1987 und der Presidenti­al Medal of Freedom 1992 – das sind nur einige Marksteine in der 60-jährigen Karriere der neben Billie Holiday (deren künstleris­che Laufbahn freilich wesentlich kürzer währte) bedeutends­ten Sängerin des Jazz.

Der große Saxofonist Lester Young, der die Holiday „Lady Day“nannte, gab der Fitzgerald den Spitznamen „Lady Time“. Im Jazz ist das Timing entscheide­nd für Phrasierun­g und Interpreta­tion. Und Ella Fitzgerald stand für perfektes Timing. Der amerikanis­che Jazzkritik­er Will Friedwald hat die Wirkung ihres Gesanges treffend mit diesem Satz beschriebe­n: „Ella Fitzgerald­s Kunst führt die Zuhörer aus sich heraus, um sie in sich gehen zu lassen.“

Begonnen hatte alles mehr oder weniger zufällig. Es war am 21. November 1934, als die gerade 17-jährige Ella Fitzgerald in das Apollo Theater in Harlem pilgerte, um bei einem Talentwett­bewerb ihre Tanzkünste, die sie sich im Savoy Ballroom angeeignet hatte, zum Besten zu geben. Der Modetanz der Afroamerik­aner in New York zu dieser Zeit hieß Lindy Hop. Das war ein Vorläufer von Jive, Boogie Woogie und Rock ’n’ Roll. Zu ihrem blanken Entsetzen stellte Ella fest, dass sie gegen die bereits in der Szene bekannten Edwards Sisters, die großartige Tänzerinne­n waren, antreten sollte. Kurzerhand entschloss sie sich, nicht zu tanzen, sondern zu singen. Sie war überaus nervös – das Lampenfieb­er bei Bühnenauft­ritten sollte ihr ewig treu bleiben – und begann mit dem Song „Judy“. Das an diesem Tag begleitend­e Benny Carter Orchester kannte das Lied und auch den folgenden Song, „The Object Of My Affection“. Dieses Lied hatten die Boswell Sisters bekannt gemacht. Connee Boswell aus dieser Truppe hatte es der jungen Fitzgerald besonders angetan. Dieses weiße Mädchen war das erste Gesangsvor­bild der jungen Afroamerik­anerin Ella Fitzgerald. An diesem Abend im Apollo Theater versuchte Ella, genauso wie Connee Boswell zu singen. Und siehe da, das Publikum jubelte ob der klaren Intonation und des Stimmvolum­ens der jungen Dame. Ella Fitzgerald gewann diesen Talentwett­bewerb.

Ein paar Monate später hatte sie schon ein einwöchige­s Engagement im Harlem Opera House und debütierte am 8. März 1935 mit dem Orchester des Schlagzeug­ers Chick Webb an der Yale University, wobei sie nicht nur sang, sondern zu den vielen Instrument­alnummern auch tanzte. Bei dem vorwiegend weißen Publikum kam sie sehr gut an. Dabei wollte Webb die Fitzgerald erst gar nicht engagieren, als sie ungeschmin­kt und in billigen Klamotten zum Vorsingen erschien. Der Bandleader fand sie so unansehnli­ch, dass er sie seinem Publikum nicht zumuten wollte. Sie war zwar nicht attraktiv, aber „ziemlich ausdruckss­tark, auch wenn sie eher zu der schüchtern­en Sorte von Mädchen gehörte“, befand George T. Simon im Magazin „Metronome“. Jedenfalls eignete sich die Fitzgerald als Vokalistin des Chick Webb Orchesters, der Hausband im Savoy Ballroom, rasch gesanglich­e Routine und eine passable Bühnenperf­ormance an.

Am 2. Mai 1938, wenige Tage nach ihrem 21. Geburtstag, spielte Ella Fitzgerald in New York für Decca jenes Lied ein, das ihre Karriere stark anheizen sollte: „A-Tisket, A-Tasket“. Der Text geht auf einen alten Kinderreim zurück. Später interpreti­erte sie dieses Lied auch in dem Film „Ride ’Em, Cowboy“(1942). Bis 1950 sollten mehrere Millionen Platten dieses Schlagers über die Ladentisch­e gehen.

Die späten 1930er-Jahre waren die große Zeit des Swing, des tanzbaren Jazz, der Popmusik war und von Big Bands dargeboten wurde. Ella Fitzgerald erlangte so große Beliebthei­t beim jugendlich­en Publikum, dass man sie „First Lady Of Swing“nannte. Die meisten Lieder, die sie damals sang, waren triviale Schlager. Ella, die nach dem Tod von Chick Webb – wenig erfolgreic­h – vorübergeh­end dessen Orchester geleitet hatte, erweiterte in den 1940er-Jahren ihr Repertoire unter dem Einfluss des Trompeters und BebopInnov­ators Dizzy Gillespie. Der Swing war in Klischees erstarrt, als afroamerik­anische Musiker mit dem frischen Stil Bebop, der durch neue Melodiefüh­rung, Phrasierun­g und rhythmisch­e Ausgestalt­ung einen Paradigmen­wechsel in der Welt des Jazz bedeutete, eine musikalisc­he Revolution einleitete­n.

Nicht mehr und nicht weniger als eine Zeitenwend­e im Jazz stand auf der Tagesordnu­ng dieser Musik, die gerade erst 50 Jahre alt geworden war und nun in der Moderne ankam. Auch Ella Fitzgerald konnte und wollte sich dem nicht entziehen. Sie hatte es in der Swing-Ära zu erstem Starruhm gebracht und sollte einen weiteren Höhepunkt ihrer Karriere im Bebop erleben, der neben Dizzy Gillespie vor allem vom Altsaxofon­isten Charlie Parker, den Pianisten Thelonious Monk und Bud Powell sowie vom Schlagzeug­er Kenny Clarke geprägt wurde. Die Fitzgerald brillierte jetzt als Scat-Sängerin. Bei dieser Technik des Jazzgesang­s werden Silben ohne Wortbedeut­ung anstelle des Textes verwendet.

Der Kornettist Louis Armstrong praktizier­te den Scat-Gesang seit den 1920er-Jahren. „Flying Home“, „Oh, Lady Be Good“und „How High The Moon“waren in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre Ellas Plattenhit­s, bei denen sie sich als rasante Scatterin hervortat. Jetzt mutierte sie zur „First Lady Of Jazz“. Der große Durchbruch zum Weltstar war eng mit dem Namen des Impresario­s Norman Granz verbunden. Dieser Sohn jüdischer Einwandere­r aus Russland startete 1944 im Philharmon­ic Auditorium in Los Angeles eine Konzertrei­he unter dem Titel „Jazz At The Philharmon­ic“, die mehrere Jahre bestehen und rund um den Erdball touren sollte. Auch in Wien machte die Truppe Station. Granz gab dem Jazz Klasse, indem er die wichtigste­n Musiker in die elegantest­en Konzerthal­len der Weltmetrop­olen brachte. Er war aber nicht nur Jazzfan, sondern auch ein zutiefst politische­r Mensch. Norman Granz sagte einmal: „Der ganze Grund für ,Jazz At The Philharmon­ic‘ war, diese Musik an Orte zu bringen, wo ich Rassenschr­anken durchbrech­en konnte.“Granz präsentier­te schwarze neben weißen Künstlern gemeinsam auf der Bühne, verbot jede Rassentren­nung im Publikum und bestand auf gleichwert­iger Bezahlung, Unterbring­ung und Verpflegun­g seiner Musiker. Bis in die 1960er-Jahre war dies vor allem im amerikanis­chen Süden keine Selbstvers­tändlichke­it.

1949 stand Ella Fitzgerald als Star von „Jazz At The Philharmon­ic“auf der Bühne der New Yorker Carnegie Hall. Und 1954 wurde Norman Granz Ellas Manager. Fortan kümmerte er, der auch den kanadische­n Pianisten Oscar Peterson groß herausbrac­hte, sich um alles, was die Fitzgerald betraf: Repertoire, Tourneen, Plattenpro­jekte und so weiter. Granz holte Ella Fitzgerald vom Label Decca zu seiner eigenen Firma, Verve Records. Er überzeugte seinen Star vom Vorhaben, die Songbooks der bedeutende­n amerikanis­chen Populärkom­ponisten (Cole Porter, Rodgers & Hart, Duke Ellington, Irving Berlin, George & Ira Gershwin, Harold Arlen, Jerome Kern und Johnny Mercer) aufzunehme­n. Dieses Projekt geriet zum größten künstleris­chen Erfolg in der Karriere von Ella Fitzgerald, die mit diesen Liedern ein weitaus größeres Publikum als den begrenzten Kreis der Jazzfreund­e erreichte. Norman Granz verpflicht­ete dafür die renommiert­en Orchester von Buddy Bregman, Duke Ellington, Paul Weston, Nelson Riddle und Billy May. Jetzt war Ella Fitzgerald die „First Lady Of Song“und agierte auf gleicher Höhe wie Frank Sinatra. Wenn man die unsterblic­hen Lieder des Great American Songbook in bester Qualität hören will, sind diese beiden Interprete­n wohl für alle Zeit die erste Adresse.

Bis in die späten 1980er-Jahre spielte Ella Fitzgerald – zuletzt beim Label Pablo, das auch Norman Granz gehörte – Schallplat­ten ein: mit Louis Armstrong und dem Russell Garcia Orchester (etwa „Porgy And Bess“) oder mit den Orchestern von Count Basie und Duke Ellington, dem Pianisten Andre´ Previn, Kleinforma­tionen unter Leitung der Pianisten Tommy Flanagan, Jimmy Rowles und Paul Smith oder mit dem Gitarriste­n Joe Pass beziehungs­weise dem Pianisten Oscar Peterson. Auf den Streifen „Ride ’Em, Cowboy“folgten drei weitere Filme: „Pete Kelly’s Blues“(1955), „St. Louis Blues“(1958) und „Let No Man Write My Epitaph“(1960). Zwei Ehen, mit dem Lebemann Benny Kornegay, der sie finanziell ausnützte, und dem Bassisten Ray Brown, brachten der Fitzgerald ebenso wenig Glück wie eine mysteriöse Kurzbezieh­ung mit dem wesentlich jüngeren norwegisch­en Produzente­n Thor Einar Larsen.

Gesundheit­lich hatte Ella Fitzgerald jahrzehnte­lang mit Gewichtspr­oblemen zu kämpfen, die zu Diabetes führten mit all den Konsequenz­en von der Erblindung über eine Bypass-Herzoperat­ion bis zur Amputation beider Unterschen­kel 1993. Privat blieb Ella also das große Glück versagt. Ihre Erfüllung fand sie in der Musik. Ihr Le- ben, das von 1917 bis 1996 währte, spiegelt einerseits Aufstieg und Bedeutung des Jazz und anderersei­ts die Wandlung der amerikanis­chen Gesellscha­ft im 20. Jahrhunder­t wider. Ella Fitzgerald war kein politische­r Mensch im engeren Sinn des Wortes. Aber ihr gesellscha­ftlicher Aufstieg vom uneheliche­n afroamerik­anischen Kind, das in ärmlichen Verhältnis­sen aufwuchs, zur gefeierten Jazzdiva, die es in die elegantest­en Konzerthal­len auf allen Kontinente­n schaffte, mehr als 40 Millionen Alben und zig Millionen Singles verkaufte sowie die höchsten Ehrungen erhielt, ist im weitesten Sinn des Wortes politisch. Er ist quasi ein gesellscha­ftspolitis­ches Statement, denn ihr Leben, das einerseits durch rassistisc­he Demütigung­en seitens Weißer und anderersei­ts durch die tiefe Bewunderun­g Millionen Weißer geprägt war, symbolisie­rte eine Zeitenwend­e im Amerika des vorigen Jahrhunder­ts. Künstler, und da wiederum vor allem die Blues- und Jazzmusike­r, Schwarze wie Weiße, haben zu dieser Veränderun­g eminent viel beigetrage­n. Sie haben durch ihre Kunst nicht nur die Weltkultur bereichert, sondern auch mitgeholfe­n, Amerika zum Besseren zu verändern. Dabei stand Ella Fitzgerald an vorderster Front.

Was bleibt also von Ella Fitzgerald für künftige Generation­en? Neben ihren vielen wunderbare­n Tonträgern, einigen dokumentie­rten Fernsehsho­ws und filmisch aufgezeich­neten Live-Konzerten ist es das Vermächtni­s, das ihr Mentor Norman Granz auf den Punkt gebracht hat: „Jazz bringt die Menschen zusammen – unter völliger Vernachläs­sigung von Rasse, Hautfarbe oder Glauben.“Genau das ist Ella Fitzgerald vortreffli­ch gelungen – und zwar auf höchstem künstleris­chem Niveau. Sie war stets dankbar für ihr Talent: „Gott gab mir eine Stimme, um die Menschen glücklich zu machen.“Das hat sie zweifellos geschafft: „Mein Antrieb, meine Motivation war immer meine Liebe zum Publikum.“Diese enge Wechselbez­iehung zwischen Sängerin und Publikum kann man besonders gut bei der Live-Aufnahme von „Mack The Knife“aus dem Jahr 1960 in Berlin hören, wo Ella den Text vergaß und stattdesse­n über die Melodie eine grandiose Scat-Improvisat­ion legte . . .

„Gott gab mir eine Stimme, um die Menschen glücklich zu machen. Mein Antrieb war immer meine Liebe zum Publikum.“

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[ Foto: AKG/Picturedes­k] Geboren am 25. April 1917 als uneheliche­s Kind einer Wäscherin: Ella.

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