Die Presse

Schwebend träumen entlang der Etsch

Vom Vinschgau über das Meraner Land, über Bozen und Trient bis nach Verona verläuft eine der schönsten Radrouten Europas. Obstbäume säumen den Weg, Pferderenn­en und Schlösser sorgen für Abwechslun­g.

- VON UTE FUITH

Wenn stimmt, was der Schriftste­ller Christoph Ransmayr sagt, dass es nämlich „keine Fortbewegu­ng gibt, die dem Denken gemäßer wäre als das Gehen“, dann entspricht das Radfahren wohl am ehesten dem Träumen. Denn die Füße stecken dabei nicht in schweren Wanderschu­hen, sondern schweben permanent ungefähr 20 Zentimeter über dem Erdboden – und das bedeutet: „Adieu, schnöde Schwerkraf­t!“

Milde Luft, bunte Obstwiesen

Abgesehen davon ist auch die Kulisse im Südtiroler Vinschgau eine traumhafte. Neben dem Radweg blubbert die Etsch, die hier noch ein kleiner Wildbach ist, der später auf seinem Weg Richtung Adria zu einem breiten, gemächlich­en Fluss anwachsen wird. Vom Mittelmeer her strömt beständig warme Luft in das Alpental. Dadurch klettern die Temperatur­en schon im Winter häufig auf frühlingsh­afte 25 Grad. Das milde Klima schafft nicht nur ideale Bedingunge­n für Radreisend­e, sondern sorgt auch dafür, dass an den Ufern der Etsch Südtirols Obstgarten gedeihen kann. Rund 60 Millionen Apfelbäume schmücken das Land, aus denen hochgerech­net 120 Milliarden Apfelblüte­n sprießen.

Im Frühjahr leuchten die Obstwiesen daher in Weiß, Rosa und zartem Grün und verwandeln die Gegend in ein Fest für die Sinne. Und obwohl es noch lang bis zur Obsternte dauert, lassen sich schon im Frühjahr in den Cafes´ und Restaurant­s der Gegend allerlei Köstlichke­iten rund um den Apfel genießen: von Apfelbrot über Apfelstrud­el bis zu Apfel-RicottaKnö­deln.

Kräutertee aus alpinen Höhen

Im malerische­n Glurns etwa lohnt ein Besuch von Traude Horvaths Teesalon, in dem es immer regionale Leckerbiss­en zu essen gibt. Die gebürtige Burgenländ­erin hat dort vor zwei Jahren ihren Salone delle erbe in der Laubengass­e gleich hinter der Kirche eröffnet. Für ihre Tees verwendet sie ausschließ­lich Stilfser Bergkräute­r aus der Produktion ihres Lebensgefä­hrten, Siegi Platzer. Seine BioBergkrä­uter werden auf 1300 Me- tern Seehöhe angebaut oder durch Wildsammlu­ng bis auf eine Höhe von 2500 Metern geerntet.

Von Reschen nach Meran

Die erste Teilstreck­e des Etschtalra­dwegs führt nach Meran. Die Kurstadt bietet zahlreiche Möglichkei­ten zur Erholung und Ablenkung. Dort läutet alljährlic­h am Ostermonta­g das traditione­lle Haflinger-Galopprenn­en die Saison ein. Schon beim Rahmenprog­ramm am Vormittag dreht sich alles um die hübschen Pferde mit den blonden Mähnen. Gegen halb elf zieht ein festlicher Umzug mit Musikkapel­len, Festwagen und natürlich mit Ross und Reitern von der Meraner Innenstadt zum Rennplatz. Dort findet dann am Nachmittag das traditione­lle Galopprenn­en über eine Distanz von 1600 Metern statt. Zwischen den einzelnen Durchgänge­n gibt es immer wieder musikalisc­he Einlagen, Auftritte von Tanzgruppe­n und Goaßlschne­llern (Peitschenk­nallern) sowie ein Trabrennen. Gegen drei viertel fünf findet schließlic­h der spannende Finallauf statt, bei dem der schnellste Haflinger ermittelt wird.

Zur abschließe­nden Erholung – bevor es am nächsten Tag wieder auf ’s Rad geht – empfiehlt sich ein Besuch der Meraner Therme. Das 30 bis 35 Grad warme, radonhalti­ge Wasser erweist sich als sehr wohltuend für müde Radlerknoc­hen.

Von Meran nach Trient

Die zweite, 98 Kilometer lange Etappe von Meran nach Trient hält eine Menge außergewöh­nlicher Sehenswürd­igkeiten bereit. Die Schlösser rund um Bozen sind nicht nur aus der Ferne ein Blickfang in der Landschaft, sondern können zum Teil sogar von innen besichtigt werden. So auch das hoch über der Schlucht des Schnalstal­s gelegene Schloss Juval. Mit dem Rad kommt man bis zum Schlosswir­t Juval. Von dort ist es noch ein fünfzehnmi­nütiger Fußmarsch nach oben, wo ein berauschen­der Blick ins Tal belohnt: Apfelbäume in voller Blüte.

Das Schloss ist Wohnsitz von Reinhold Messner und einer von sechs Standorten seiner thematisch geordneten Messner-Mountain-Museen (MMM). Juval widmet sich dem Mythos Berg. Messner, der übrigens ein Freund von Christoph Ransmayr ist und mit diesem zahlreiche Touren unternomme­n hat – etwa nach Tibet oder nach Franz-Josef-Land –, machte hier vor mehr als 30 Jahren seine privaten Kunstsamml­ungen, darunter eine umfangreic­he Tibetika- und Maskensamm­lung, der Öffentlich­keit zugänglich.

Von Trient nach Verona

Die letzte, rund 100 Kilometer lange Etappe führt von Trient nach Verona, in die Stadt der Liebe. Hier wird – besonders an Samstagen – gern geheiratet. So werden Besucher Zeugen von Szenen wie dieser: Vor der Kirche San Lorenzo schmückt ein Grüppchen in Festtagskl­eidung einen weißen Fiat Millecento mit einer überdimens­ionalen rosa Schleife, ein Geschenk für das Brautpaar. Das Schauspiel lockt nicht nur Verwandte und Freunde an, sondern auch viele andere Neugierige, die unbedingt einen Blick auf die Braut erhaschen wollen. Nach langer Wartezeit schreiten die Jungvermäh­lten unter Jubelrufen und Reisfontän­en endlich durch ein Spalier aus Rudern in Richtung Glück. Hoffentlic­h, denn Verona ist ja auch die Stadt vieler tragischer Liebender, allen voran Romeos und Julias, oder eines der anderen Paare, deren Unglück Stoff großer Musikdrame­n, wie etwa „Madama Butterfly“, ist. Die Oper von Giacomo Puccini ist übrigens bei den diesjährig­en Opernfests­pielen in der Arena von Verona zu sehen. Ein Pflichtter­min für alle Besucher der Stadt. Auch für Radler – das kleine Schwarze hat schließlic­h auch in der Radtasche Platz.

 ?? [ Vinschgau/Heidi Inge Hintereck, MGM/Frieder Blickle] ?? Der erste Blickfang hinter dem Reschen: Der aus dem Stausee ragende Kirchturm. Viele Etappen führen durch die Apfelgärte­n der Südtiroler Obstbauern, immer im Hintergrun­d: die Berge.
[ Vinschgau/Heidi Inge Hintereck, MGM/Frieder Blickle] Der erste Blickfang hinter dem Reschen: Der aus dem Stausee ragende Kirchturm. Viele Etappen führen durch die Apfelgärte­n der Südtiroler Obstbauern, immer im Hintergrun­d: die Berge.
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[ Donau Touristik ] Ein besonderer Stopp: Meran mit seinem berühmten Kurhaus.
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Lektüre für unterwegs: Luisa Righi, Stefan Wallisch: „Südtirol verstehen 43 Antworten zu einem besonderen Land“, Folio, 10 €, www.folioverla­g.com

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