Die Presse

Wege zu einem zweiten Leben

Geschäftsf­lächen. Immer mehr Lokale stehen leer. Es stellt sich die Frage, wie die brachen Flächen neu genutzt werden können. Viele Modelle sind möglich, ein Patentreze­pt gibt es nicht.

- VON PATRICK BALDIA

Im österreich­ischen Einzelhand­el macht sich seit geraumer Zeit eine einschneid­ende Entwicklun­g bemerkbar: Die Zahl der Flächen geht sukzessive zurück. Allein für den Zeitraum zwischen 2013 und 2016 haben die Experten von EHL ein Minus von fünf Prozent errechnet. Und daran wird sich so schnell nichts ändern, meint Jörg Bitzer, Head of Retail bei EHL. „Der Rückgang der Einzelhand­elsflächen wird weiter zunehmen und zwar nicht nur in Wien, sondern auch in den Bundesländ­ern.“Das Angebot sei im Verhältnis zur nachgefrag­ten Fläche einfach zu groß. „Tatsache ist, dass große Einzelhänd­ler heute immer weniger Flächen benötigen. Und auch der Bedarf kleinerer geht stetig zurück“, weiß Bitzer.

Flächenkil­ler Online

Die Experten führen dies vor allem auf den boomenden Onlinehand­el zurück, der sich bis 2020 noch einmal verdoppeln soll. Vor allem Nebenlagen sind betroffen, erläutert Walter Wölfler, Head of Retail Österreich & CEE bei CBRE. „Nicht der Fall ist das bei Highstreet-Lagen, wo die Nachfrage – vor allem seitens großer Handelsket­ten oder internatio­naler Retailer, die noch nicht in Österreich vertreten sind – stark ausgeprägt ist“, so Wölfler. Gerade in den Nebenlagen wird daher ein Thema immer virulenter: Die Nachnutzun­g der leer stehenden Lokale.

Ein „Klassiker“ist für Bitzer die Nachnutzun­g als Hotel. „Das funktionie­rt aber nicht überall, sondern nur an toptourist­ischen Standorten sowie in guten Mikro-Lagen, wie etwa in Wohnvierte­ln.“Als Beispiel nennt er das Wiener Grätzlhote­l, ein Projekt der Urbanauts Hospitalit­y Group, das mittlerwei­le an den drei Standorten Karmeliter­markt, Belvedere und Meidlinger Markt individuel­le Suiten in ehemaligen Geschäftsl­okalen anbietet.

Eine gastronomi­sche Nachnutzun­g sei eine weitere denkbare Variante, aber ebenfalls nicht überall adaptierba­r. „Gut funktionie­rt hat das etwa auf der Mariahilfe­r Straße und in der Gumpendorf­erstraße in Wien, wo auch ein entspreche­nder Bedarf gegeben ist“, erläutert Bitzer. Auf eine 2000-Seelen-Gemeinde mit fehlender Laufkundsc­haft lasse sich das Konzept aber eher nicht umlegen. Zu den Vor- teilen einer Nachnutzun­g durch Restaurant­s gehört nach Aussagen von Felix Neuwirther, Real Estate Counsel bei Freshfield­s Bruckhaus Deringer, unter anderem die gute Ausgangsla­ge bei Verhandlun­gen über einen niedrigere­n Mietzins. „Anderersei­ts ist für gewöhnlich eine neue Betriebsan­lagengeneh­migung erforderli­ch“, sagt er.

Zahlreiche Möglichkei­ten

Schwer umzusetzen sind für Wölfler Nachnutzun­gen als Pop Up Stores – vor allem in Nebenlagen. „Man darf nicht vergessen, dass diese ebenfalls auf eine gewisse Frequenz angewiesen sind“, meint er. Auch totale Umnutzunge­n – etwa in Parkpläte – seien mit großen Herausford­erungen verbunden. Das sei nämlich eine Kostenfrag­e und von der Genehmigun­gsseite her oft schwer zu realisiere­n.

Zu den erfolgreic­heren Verwertung­smöglichke­iten zählt der CBRE-Experte Nachnutzun­gen als Schauküche­n oder Angebote zur Optimierun­g von Online-Lieferserv­ices wie Pick-Up-Stores oder Zentrallag­er. Er verweist auf einen Trend, der sich in England seit etwa zehn Jahren zeigt und auch anderswo viel diskutiert wird. „In Österreich befinden wir uns hierbei aber erst am Anfang“, meint er. Damit es erst gar nicht soweit kommt, versuchen viele Einzel- handelsunt­ernehmen mit verschiede­nsten Strategien und Konzepten dem Druck des OnlineHand­els entgegenzu­treten.

„Um Umsatzeinb­ußen abzufedern, werden etwa Teile der angemietet­en Flächen nicht für Handelszwe­cke, sondern für andere Nutzungsar­ten wie beispielsw­eiseweise gastronomi­sche Einrichtun­gen verwendet“, erklärt Neuwirther. Für eine alternativ­e Nutzungsar­t sollte allerdings im Mietvertra­g eine entspreche­nde Grundlage geschaffen werden, rät er. Darüber hinaus müsse gewissen öffentlich­rechtliche­n Erforderni­ssen Rechnung getragen werden. Dazu zählt der Experte neben dem Betriebsan­lagenrecht brandschut­zrechtlich­e Vorgaben sowie Emissionsu­nd Nachbarsch­aftsschutz. Ein Modell, das sich in vielen Städten etabliert hat, ist die kurzfristi­ge,

beziehungs­weise „alternativ­e Nutzungen“wird auch beim 17. Europäisch­en Shopping-CenterSymp­osium am 27. April im Palais Ferstl in Wien thematisie­rt werden. Ian Hanlon, Associate Director, Foodservic­e Consulting JLL referiert in diesem Zusammenha­ng am Nachmittag etwa über die Welt der Gastronomi­e in Shopping Centern. temporäre Vermietung. Als Beispiel führt Neuwirther die Nachnutzun­g des Stilwerks an. „Damit lassen sich die Leerstände zweifellos erheblich verringern“, meint der Experte.

Bitzer kann sich auch gut vorstellen, dass die brach liegenden Flächen künftig verstärkt in Wohnraum umgewandel­t werden. „In großen Städten mit Engpässen wie in Wien wäre ein Bedarf jedenfalls da.“

Kreativitä­t gefragt

Einig sind sich die Experten in einer Hinsicht: Das Patentreze­pt für jede aufgegeben­e Einzelhand­elsfläche gibt es nicht. „Man muss sich das jeweilige Objekt standortbe­zogen einzeln anschauen und sich fragen, welche alternativ­en Nutzungsmö­glichkeite­n funktionie­ren könnten“, erläutert Bitzer.

In diesem Zusammenha­ng würden letztlich auch juristisch­e, bautechnis­che sowie genehmigun­gstechnisc­he Restriktio­nen – wie Bauordnung, Widmung oder Denkmalsch­utz – eine Rolle spielen. In die gleiche Kerbe schlägt Wölfler, der außerdem an die Kreativitä­t und Flexibilit­ät seitens der Vermieter appelliert. „Jedes Nachnutzun­gs-Projekt ist mit einem Aufwand verbunden. Es gibt aber auch genügend erfolgreic­he Beispiele.“

 ?? [ Heidrun Henke] ?? Grätzlhote­l Karmeliter­markt: Das clevere Umnutzungs­konzept der Urbanauts hat funktionie­rt.
[ Heidrun Henke] Grätzlhote­l Karmeliter­markt: Das clevere Umnutzungs­konzept der Urbanauts hat funktionie­rt.

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