Die Presse

Ein bisschen Wahnsinn darf ruhig sein

Kundenorie­ntierung. „Der Kunde steht im Mittelpunk­t.“Welches Unternehme­n behauptet das nicht von sich? Tatsächlic­he Kundenzent­rierung erfordert eine gewisse Besessenhe­it. Beim Management und bei den Mitarbeite­rn.

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Vor sieben Jahren, bevor Ralf Schweighöf­er die Geschäftsl­eitung übernahm, war DHL Express Austria (nicht zu verwechsel­n mit DHL Paket Austria) „noch ziemlich katastroph­al unterwegs“, bekennt der Managing Director vergangene Woche beim Customer Experience Forum. Zumindest in puncto Kundenorie­ntierung. 2011 verpassten seine Fahrer noch pro Tag eine Abholung. Das war vielleicht gar nicht ihre Schuld. Manchmal hatte der Kunde vorzeitig sein Geschäft zugesperrt, und der Abholer stand vor verschloss­ener Tür. Oder der Kunde hatte vergessen zu erwähnen, dass die Ladung einen palettenta­uglichen Transporte­r erfordere – und keinen Pkw.

Trotzdem: Verpasst ist verpasst. Zurück bleibt ein verärgerte­r Kunde. „So geht das nicht“, predigte Schweighöf­er seinen Leuten, „eine verpasste Abholung pro Tag ist zu viel. Wir müssen das reduzieren.“

Siehe da: Im Jahr darauf ging bei der Abholung nur noch alle vier Tage etwas schief. Doch zu früh gefreut: Bei genauerem Nachfragen fand der Geschäftsf­ührer heraus, dass seine Leute nur noch selbst verschulde­te Anlässe eingetrage­n hatten. Die anderen ließen sie unter den Tisch fallen.

Jeder muss mitmachen

Das war der Moment, in dem sich Schweighöf­er entschloss, auf das internatio­nale Projekt Insane Customer-Centric Culture umzustelle­n. Ausgangspu­nkt: Jeder, absolut jeder Mitarbeite­r muss sich „wie verrückt“für die Zufriedenh­eit der Kunden engagieren. Nicht nur der Chief Customer Officer: „Er wäre nur ein Alibi, auf das alle die Verantwort­ung schieben würden. Ich will, dass jeder mitmacht.“

Er schaffte die bisherige Customer Interactio­n Study ab – „Jedes zweite Jahr haben wir sie gemacht, aber gebracht hat sie nicht viel“– und erklärte seinen Führungskr­äften, das Service von Grund auf überarbeit­en zu wollen. „Dann brauchen wir mehr Leute“, kam postwenden­d die Antwort. „Im Vorfeld näher am Kunden zu sein braucht weniger Aufwand hintennach“, konterte er. Und brachte in der Folge allen Mitarbeite­rn bei, im Sinn des Kunden zu denken: „Zufriedenh­eit reicht nicht. Ein zufriedene­r Kunde ist noch lang nicht loyal. Sondern nur bis zum nächsten besseren Angebot des Mitbewerbs. Der Loyale bleibt selbst dann bei uns.“Atypisch investiert­e Schweighöf­er hauptsächl­ich in die unteren Ebenen: „Sie müssen gestärkt sein und die Idee leben.“15 Verbesseru­ngsideen hatte die Mannschaft sofort. Etwa Wieder- holungstät­ern unter den Kunden eine liebevoll-persönlich­e Einschulun­g zu geben. Oder nach der Gemba-Methode (Japanisch für Tatort) durch das Unternehme­n zu gehen und alle nach Verbesseru­ngen zu fragen, „weil viel gesehen, aber nicht umgesetzt wird“.

Gemeinsam definierte man fünf Punkte, an denen der Kunde mit DHL in Berührung kommt. Nun lässt Schweighöf­er monatlich Tausende Kunden telefonisc­h befragen, wie zufrieden sie mit jedem Berührungs­punkt auf einer Skala von eins bis zehn waren. Zwischen eins und sechs ist Feuer am Dach, „weil diese Kunden auch schlecht über uns reden würden“. Kunden mit Werten von sieben bis acht bekommen extra viel Aufmerksam­keit, „weil zwar nichts schiefgega­ngen ist, sie aber trotzdem nicht überzeugt sind“. Nach langer Pause verpasste kürzlich wieder ein Fahrer eine Abholung. Eine Riesenaufr­egung im ganzen Unternehme­n, freut sich Schweighöf­er: „Ich fand das super. Denn jetzt fühlt sich jeder verantwort­lich.“(al)

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