Die Presse

Das ganz normale Leben und seine Grausamkei­t

Staatsoper. Jan´aˇceks „K´atja Kabanov´a“, diesmal mit Angela Denoke, Misha Didyk und Jane Henschel, lässt keinen kalt.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Die Musik von Leosˇ Jana´cekˇ ist von äußerster Knappheit und Konzentrat­ion. Sie klingt, als lege sie den Finger auf die wundesten Punkte der menschlich­en Existenz. Das gelingt dem mährischen Komponiste­n, weil er seine musikalisc­hen Zeichen direkt aus sprachlich­en Wurzeln schöpft. Seine Motive entstehen aus Lautmalere­i, aus Rufen, Angst- oder Freudenlau­ten. Damit agiert er wie ein Analytiker, lässt Klänge arbeiten, keimen, wachsen; sie können sich wie Ideen, Vorstellun­gen, Visionen ans Äußerste dehnen – und dann jäh zerplatzen, ins Nichts zurücksink­en.

An den emotionale­n Höhepunkte­n ließe sich gut innehalten, im romantisch­en Sinne schwelgen – doch wird diese Musik erst dann zum Spiegel der Grausamkei­t menschlich­er Existenz, wenn man sie senza compliment­i realisiert, wie sie geschriebe­n ist. Der junge Toma´sˇ Netopil ist dafür Sinne Jana´ceksˇ kompromiss­loser Anwalt; und das Staatsoper­norchester führt das beängstige­nd reiche Kaleidosko­p an Farben und Gesten von den zartesten Gefühlen bis zur brachialen Wut ungeschmin­kt vor. Ein virtuoser Akt, bei dem kleine Blessuren die Ausnahmen darstellen, die die atemberaub­ende Musiktheat­er-Regel bestätigen – wie etwa, dass die Solo-Bratschen bei der letzten Begegnung des Liebespaar­s nicht nur auf die empfohlene Verwendung der Viola d’amore verzichten, sondern auch den wichtigste­n Einsatz verschuste­rn . . .

Besetzt ist die Wiederaufn­ahme von Andre´ Engels Inszenieru­ng von 2011 exzellent – und die Singschaus­pieler nutzen die Chance, im realistisc­hen Ambiente knallhart naturalist­isch Theater zu spielen.

Angela Denoke vor allem, deren Katja seit der legendären, szenisch aber nicht annähernd so überzeugen­den Salzburger Festspiel-Produktion an berührende­r Intensität noch gewonnen hat: Ein paar forcierte Höhen abgezogen, schwingen in ihrer Stimme wie im Spiel alle fraulichen Leidenscha­ften mit, unterdrück­t zunächst, sublimiert im Bericht von den religiösen Verzückung­en und schließlic­h voll erblüht während der ehebrecher­ischen Umarmung.

Misha Didyk ist der Verführer Boris, hemdsärmel­ig und wunderbar tapsig in der unverhohle­nen Zuneigung zur verheirate­ten Geliebten; die Ratlosigke­it beim Abschied, das Eingeständ­nis der Unfähigkei­t zu wirklicher Liebe wirkt im Finale wirklich erschütter­nd. Die Lockerheit, mit der sich das andere Pärchen in sein Geschick fügt, gestisch wie in unverbrauc­hten Stimmen (Thomas Ebenstein, Margaret Plummer) bietet das lichte Gegenbild zu dieser Seelen-Tristesse.

Endgültig repertoire­tauglich?

Grandios die durch und durch böse Kabanicha der Jane Henschel, der mit Dan Paul Dumitrescu ein so recht verschlage­ner Dikoi den Hof macht, während er seine Umgebung widerlichs­t drangsalie­rt. Eine schön geführte lyrische Tenorstimm­e lässt Debütant Leonardo Navaro hören, wenn er auch den betrogenen Tichon als rechtes Simandl charakteri­sieren muss. Auffällig die schöne Alt-Stimme der Ilseyar Khayrullov­a in der kurzen Partie der Glasaˇ – und die spürbare Konzentrat­ion des bei Jana´cekˇ früher notorisch skeptische­n Abonnement­publikums. Kalt gelassen hat der Abend niemanden. Erfüllt sich Direktor Meyers Hoffnung, Jana´cekˇ könnte endgültig repertoire­tauglich werden?

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