Das ganz normale Leben und seine Grausamkeit
Staatsoper. Jan´aˇceks „K´atja Kabanov´a“, diesmal mit Angela Denoke, Misha Didyk und Jane Henschel, lässt keinen kalt.
Die Musik von Leosˇ Jana´cekˇ ist von äußerster Knappheit und Konzentration. Sie klingt, als lege sie den Finger auf die wundesten Punkte der menschlichen Existenz. Das gelingt dem mährischen Komponisten, weil er seine musikalischen Zeichen direkt aus sprachlichen Wurzeln schöpft. Seine Motive entstehen aus Lautmalerei, aus Rufen, Angst- oder Freudenlauten. Damit agiert er wie ein Analytiker, lässt Klänge arbeiten, keimen, wachsen; sie können sich wie Ideen, Vorstellungen, Visionen ans Äußerste dehnen – und dann jäh zerplatzen, ins Nichts zurücksinken.
An den emotionalen Höhepunkten ließe sich gut innehalten, im romantischen Sinne schwelgen – doch wird diese Musik erst dann zum Spiegel der Grausamkeit menschlicher Existenz, wenn man sie senza complimenti realisiert, wie sie geschrieben ist. Der junge Toma´sˇ Netopil ist dafür Sinne Jana´ceksˇ kompromissloser Anwalt; und das Staatsopernorchester führt das beängstigend reiche Kaleidoskop an Farben und Gesten von den zartesten Gefühlen bis zur brachialen Wut ungeschminkt vor. Ein virtuoser Akt, bei dem kleine Blessuren die Ausnahmen darstellen, die die atemberaubende Musiktheater-Regel bestätigen – wie etwa, dass die Solo-Bratschen bei der letzten Begegnung des Liebespaars nicht nur auf die empfohlene Verwendung der Viola d’amore verzichten, sondern auch den wichtigsten Einsatz verschustern . . .
Besetzt ist die Wiederaufnahme von Andre´ Engels Inszenierung von 2011 exzellent – und die Singschauspieler nutzen die Chance, im realistischen Ambiente knallhart naturalistisch Theater zu spielen.
Angela Denoke vor allem, deren Katja seit der legendären, szenisch aber nicht annähernd so überzeugenden Salzburger Festspiel-Produktion an berührender Intensität noch gewonnen hat: Ein paar forcierte Höhen abgezogen, schwingen in ihrer Stimme wie im Spiel alle fraulichen Leidenschaften mit, unterdrückt zunächst, sublimiert im Bericht von den religiösen Verzückungen und schließlich voll erblüht während der ehebrecherischen Umarmung.
Misha Didyk ist der Verführer Boris, hemdsärmelig und wunderbar tapsig in der unverhohlenen Zuneigung zur verheirateten Geliebten; die Ratlosigkeit beim Abschied, das Eingeständnis der Unfähigkeit zu wirklicher Liebe wirkt im Finale wirklich erschütternd. Die Lockerheit, mit der sich das andere Pärchen in sein Geschick fügt, gestisch wie in unverbrauchten Stimmen (Thomas Ebenstein, Margaret Plummer) bietet das lichte Gegenbild zu dieser Seelen-Tristesse.
Endgültig repertoiretauglich?
Grandios die durch und durch böse Kabanicha der Jane Henschel, der mit Dan Paul Dumitrescu ein so recht verschlagener Dikoi den Hof macht, während er seine Umgebung widerlichst drangsaliert. Eine schön geführte lyrische Tenorstimme lässt Debütant Leonardo Navaro hören, wenn er auch den betrogenen Tichon als rechtes Simandl charakterisieren muss. Auffällig die schöne Alt-Stimme der Ilseyar Khayrullova in der kurzen Partie der Glasaˇ – und die spürbare Konzentration des bei Jana´cekˇ früher notorisch skeptischen Abonnementpublikums. Kalt gelassen hat der Abend niemanden. Erfüllt sich Direktor Meyers Hoffnung, Jana´cekˇ könnte endgültig repertoiretauglich werden?