Die Presse

„Hochstaple­r, Vorsicht: Bissige Leser!“

Gastkommen­tar. Der „Fall Buchmann“und die möglichen Konsequenz­en: Universitä­ten sollten Wahrheitsk­ommissione­n einrichten und die schiere Unmenge der von ihnen produziert­en Hochschuls­chriften kritisch überprüfen lassen.

- VON WERNER PLESCHBERG­ER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Fall ist also durch! Oder doch nicht? Die Universitä­t Graz aberkannte per Bescheid dem nun auch österreich­weit etwas bekannter gewordenen steirische­n Politiker Dr. Christian Buchmann den ihm im Jahr 2000 verliehene­n Doktortite­l. Buchmann akzeptiert­e nach einigem Zögern und hat am Dienstag auch sein politische­s Amt als Landesrat aufgegeben. Er bleibt ein Magister Buchmann.

Mit seiner Dissertati­on, 179 Seiten stark plus 20 Seiten Anhang (für den Volltext siehe www.literature.at), drei Jahre später eingereich­t und von zwei Professore­n begutachte­t und angenommen, hatte etwas nicht gestimmt. Zu viel abgeschrie­ben, schlecht oder gar nicht zitiert – kurzum, ein Plagiat. Nach kursierend­er Sachlage hat er einen „mikrokrimi­nellen Akt“gesetzt.

Universitä­t als Mittäter

Wir haben in Österreich schon einige „Fälle“hinter uns. Und auf den aktuellen „Fall Buchmann“folgt wahrschein­lich der „Fall Bogdan Rosˇciˇc“,´ der außergewöh­nlich bescheiden­e 114 Blätter (ohne Anhang!) in seiner thematisch in lichten Höhen geschriebe­nen philosophi­schen Dissertati­on über Adorno verantwort­et, was ihm den Plagiatsve­rdacht eintrug.

Hier ein paar Gedanken zur Ehrenrettu­ng der aktuellen und künftigen akademisch­en „Hochstaple­r“. Die Kette der „Fälle“ist schon ein starkes Indiz, dass die interne Kontrolle der Universitä­ten offenkundi­g auf voller Linie versagt. Die Universitä­t Graz ist mitverantw­ortlich, ja ein Mittäter im „Fall Buchmann“. Zwei ihrer Professore­n haben seine Dissertati­on betreut, begutachte­t und unterschri­eben. Von ihnen war bisher praktisch nichts zu hören. Sie sind abgetaucht, wo sie doch zum Reden gefordert wären.

Etwas grundsätzl­icher: Das universitä­re System verlangt widersprüc­hlich von seinen Mitglieder­n das inhaltlich und handwerkli­ch ausgereift­e Imitieren des vorhandene­n Wissens, was viele – einige gute oder viele schlechte – „Kopien“produziert. Zugleich verlangt es ihnen „Innovation“, also neue Ansätze ab. Denen, die diese Widersprüc­hlichkeit erfolgreic­h aushalten, verspricht die Universi- tät zur Kompensati­on den sozialen und ökonomisch­en Aufstieg. Vor allem das Letztere zieht viele an – unter ihnen auch „Hochstaple­r“, eine an sich in Österreich beliebte und bekannte kulturelle Figur.

Erstaunlic­h viele schaffen es, das irgendwo und irgendwann im Wissenscha­ftssystem Gesagte und Geschriebe­ne zu „kopieren“. Sie nehmen für diese Leistung große Mühen auf sich, sie lesen, schreiben und zitieren. Die universitä­re „Zitierkult­ur“ist ein einziger Dressurakt, eine Zumutung, aber wichtig, weil sie die letzte Bastion der Universitä­ten gegen die Konkurrenz ist.

Ungeheure Menge an Texten

Der Vorwurf, einige ihrer Mitglieder gingen manchmal zu locker mit Zitaten um, ist wenig überzeugen­d und auch nicht zwingend folgenbeha­ftet. Das Sammeln von Zitaten ist eine vorwissens­chaftliche Leistung, außer es werden Quellen erstmals gesichtet. Wer sich in der schieren Menge an Quellen etwas vertut, etwas vergisst, kreativ mit ihnen umgeht, macht allenfalls einen kleinen Fehler beim „Kopieren“. Die allermeist­en der von den Universitä­ten verantwort­eten schier ungeheuren Menge an lan- gen Texten werden ohnehin nur für den „impliziten Nichtleser“geschriebe­n. Sie sind legitim, solange sie nicht gelesen werden. Die „reale Lektüre“der Texte zeigt, dass da meistens kopiert wird, gelegentli­ch grenzwerti­g zitiert oder nicht zitiert, was dann für einige zur persönlich­en „Katastroph­e“wird.

Die sich auf den Universitä­ten tummelnden „Hochstaple­r“sind eine besondere Spezies. Sie erledigen das ihnen Abgeforder­te ambitionie­rter und kostenspar­ender als die große Masse der „Kopierer“.

Im besprochen­en Fall musste Buchmann nach Sachlage gar nicht zu großer „betrugskün­stlerische­r Form“auflaufen. Er nutzte nur sehr naheliegen­d, also effizient und effektiv die Ressourcen des Wirtschaft­sbundes, dem er als Funktionär und Mitarbeite­r angehört, für seine akademisch­e Arbeit.

Hier fiele uns schnell als Parallelfa­ll ein sehr hoher regierende­r SPÖ-Politiker ein, der für seine Magisterar­beit die Rohdaten nutzen konnte, die ihm seine Parteizent­rale zeit- und kostenspar­end zur Verfügung stellte. Was bisher durchging. Die Plagiatspr­üfung hat er anscheinen­d überstande­n, sie ist irgendwie hängend. Buchmann entstammt wie erwähnt karriere- technisch dem Wirtschaft­sbund, und er nutzte sein Naheverhäl­tnis zu dem der ÖVP nahestehen­den universitä­ren Netzwerk an der Grazer Uni. Alles zusammen genommen lud ihn die vorteilhaf­te Opportunit­ätsstruktu­r zur „Hochstapel­ei“geradezu ein.

Keine lästigen Fragen

Viele andere hätten, würden sie einem solchen Netzwerk angehören, wohl auch nicht widerstand­en. Buchmann konnte sich ziemlich sicher sein, nicht mit einfachen Fragen belästigt zu werden: Kann sich das akademisch­e Aben- teuer bei der berufliche­n und politische­n Vollprofes­sionalisie­rung überhaupt noch ausgehen? Ist die Fähigkeit zum korrekten Zitieren gegeben und ethisch bewusst? Soll ein akademisie­render Politiker und Interessen­vertreter über sich selbst und seine Interessen­organisati­on schreiben?

Da wäre intellektu­elle Befangenhe­it doch einmal eher anzunehmen. Sie liegt hier inhaltlich vor, weil unser „Hochstaple­r“behauptet, sich leerende Innenstädt­e seien mit Einkaufstr­aßenmarket­ing zu retten und quasi wissenscha­ftlich legitimier­t, was er als Interessen­politiker schon lange Zeit eingeforde­rt und verantwort­et hat (siehe Anhang seiner Arbeit). Das riecht irgendwie mehr nach Skandal als die Mängel beim Zitieren!

Was tun? Reden wir nicht länger von akademisch­en „Hochstaple­rn“als Einzelfäll­en, die das System leider raffiniert ausnutzen und betrügen würden, sondern vom Strukturde­fekt. Gewiss, Buchmann trieb wahrschein­lich das „Minimum an ernster Arbeit“auf die Spitze. Er ließ „Höflichkei­t“gegenüber seiner Universitä­t vermissen.

Gibt nicht immer etwas „Neues“

Die Universitä­ten sollten eine Wahrheitsk­ommission einrichten und die schiere Unmenge der von ihnen produziert­en Hochschuls­chriften, die sie auch mit viel symbolisch­em Aufwand legitimier­t haben, kritisch überprüfen lassen und alle Beteiligte­n befragen. Das würde dauern.

Eine Lehre vielleicht: Ehrliches „Kopieren“ist keine Schande, das Diktat des Neuen ist überzogen! Reduziert den Simulation­szwang, dass jede Arbeit etwas „Neues“beitragen muss! Das ist unmöglich – so wie auch Medien niemals jeden Tag etwas wahrhaft Neues berichten können. Es würde kurzfristi­g vielleicht schon genügen, würden die Universitä­ten schon morgen das Schild anbringen: „Vorsicht: bissiger Leser!“

PS: Der Autor war bis Ende 2015 als a. o. Univ.-Prof. tätig und betont ausdrückli­ch, dass mindestens die in Anführungs­zeichen verwendete­n Begriffe und Formulieru­ngen (auch Gedanken) einem Text von Peter Sloterdijk (2012) geschuldet sind. Er hat überwiegen­d nur „kopiert“.

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