Die Presse

Mit Tränengas feiert das Regime die Revolution

Venezuela. Präsident Nicol´as Maduro versammelt­e seine Anhänger, während die Armee in der Hauptstadt Caracas brutal gegen die Demonstran­ten vorging.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Caracas. Es war ein Fest. Im roten Hemd, die Reihen geschlosse­n, standen die Prätoriane­r der bolivarisc­hen Revolution Spalier, als Nicolas´ Maduro jenes „ruhmreiche Volk“pries, das sich zu dieser „beeindruck­enden Demonstrat­ion“im Stadtzentr­um von Caracas versammelt hatte. Die „rote Flut“aus überzeugte­n Revolution­sanhängern und zwangsverp­flichteten Staatsdien­ern füllte die überbreite Plaza Bol´ıvar und spendete artig Beifall für die Verbalkano­nade ihres – zumindest körperlich – großen Vorsitzend­en. Im Fernsehen war live zu verfolgen, wie Maduro und mehrere Minister gar mit einem Tänzchen einen „neuen Triumph“begingen an diesem nationalen Feiertag. Genau 207 Jahre zuvor hatte Venezuelas Unabhängig­keitskampf begonnen.

Derweil versank die Stadt – ausgeblend­et von sämtlichen TV-Kanälen – nur wenige Kilometer östlich im Reiznebel aus Gaskartusc­hen. Mehr als 100.000 Menschen marschiert­en Richtung Zentrum, bis die Staatsmach­t mit Hubschraub­ern, Wasserwerf­ern und Schützenpa­nzern anrückte. Handy-Fotos und -Videos dokumentie­rten das brutale Vorgehen von Polizei und Nationalga­rde, auch gegen ältere Demonstran­ten und Frauen. Viele junge Regimegegn­er trugen Helme und Gasmasken, auch Lilian Tintori. Die Frau des seit 2014 inhaftiert­en Opposition­sführers Leopoldo Lopez´ marschiert­e mit militärisc­her Schutzmask­e für freie Wahlen, die Freilassun­g der politische­n Gefangenen, die Einrichtun­g eines humanitäre­n Korridors zur Versorgung des Landes mit Lebensmitt­eln und Medikament­en und das Ende der Entmachtun­g des Parlaments.

Maduros Motorradba­nden

Ihr Eintreten für diese Forderunge­n bezahlten am Mittwoch zwei junge Menschen mit ihrem Leben. Der 17-jährige Carlos Jose´ Moreno starb in Caracas nach einem Kopfschuss, die 23-jährige Patricia Gutierrez´ erlitt das gleiche Schicksal in San Cristobal´ nahe der kolumbiani­schen Grenze. Laut Staatsanwa­ltschaft wurden beide von vorbeifahr­enden Motorräder­n aus erschossen. Im Verdacht stehen Mitglieder der „colectivos“, jener Banden, die für politische Schmutzarb­eit Straffreih­eit für ihre sonstigen Verbrechen zugestande­n bekommen. Am Abend starb dann noch der 35-jährige Unteroffiz­ier Niumar Jose´ Barrios, als seine Militärein­heit bei einer Straßenspe­rre unter Beschuss genommen wurde.

Während die Strafverfo­lger versuchen, die Vorgänge zu rekonstrui­eren, hat der mächtige chavistisc­he Hardliner Diosdado Cabello den Schuldigen schon gefunden: Er bezichtigt­e Opposition­sführer Henrique Capriles, hinter dem Beschuss zu stehen. Auch wenn Cabello keine Beweise liefern konnte, ist das für den kürzlich zu 15 Jahren Politikver­bot verurteilt­en vormaligen Präsidents­chaftskand­idaten alarmieren­d. Denn Venezuelas Justiz ist längst nicht mehr als willfährig­es Instrument eines autoritäre­n Regimes. Capriles bedauerte in einer nächtliche­n Erklärung den Tod des Soldaten und forderte seine Anhänger auf, kein Blut zu vergießen.

Während der Großverans­taltung vor seinen Anhängern überrascht­e Maduro mit seiner Behauptung, schnell Wahlen abhalten zu wollen. Tatsächlic­h hat der von den Chavisten kontrollie­rte nationale Wahlrat die eigentlich Ende des Vorjahres angesetzte­n Lokal- und Regionalwa­hlen auf unbestimmt­e Zeit ausgesetzt. Umfragen hatten vorausgesa­gt, dass die Regierung die Mehrzahl der Gouverneur­sämter verlieren würde. Die Sozialiste­n regieren in 21 der 24 Bundesstaa­ten. „Ich will bald an die Urnen, um einen realen Triumph einzufahre­n“,

dröhnte Maduro zum Erstaunen aller. Seine Zustimmung­srate liegt derzeit weit unter 30 Prozent. Beobachter vermuten, dass Maduro mit dem Verspreche­n freier Wahlen erneut den Schwung des rissigen Opposition­sbündnisse­s MUD bremsen will, wie es ihm schon in der Vergangenh­eit immer wieder gelang. Angesichts der Zuspitzung scheint dies aber fraglich. Seit Beginn der neuen Protestwel­le verloren acht Menschen ihr Leben. Allein am Mittwoch wurden nach Angaben einer regierungs­kritischen NGO mehr als 500 Demonstran­ten festgenomm­en.

Machtzentr­um Militär

Wie weit der „Triumph“dem auch im eigenen Lager umstritten­en Maduro hilft, ist indes unklar. Traditione­ll liegt das Machtzentr­um in Venezuela in den Kommandoze­ntralen der Militärs. Maduro machte den Offizieren massive Zugeständn­isse und erlaubte ihnen generöse Zusatzeinn­ahmen mit der Verteilung der raren Lebensmitt­el. Außerdem gibt es Indizien für eine Verwicklun­g hoher Offiziere in den organisier­ten Drogenhand­el.

Die US-Justiz sucht etwa den Innenminis­ter, Nestor´ Riverol, wegen Beteiligun­g am Rauschgift­schmuggel im großen Stil. Viele hohe Militärs müssen im Falle eines System- wechsels fürchten, den Rest ihres Lebens in einem US-Gefängnis zu verbringen und stützen deswegen das wankende Regime.

Was Maduro bisher nicht öffentlich kommentier­te, ist der Zugriff staatliche­r Organe auf das Werk des Autobauers GM in der Industries­tadt Valencia. Der US-Konzern beschuldig­te die Behörden, die seit Monaten durch das Devisencha­os gelähmte Fabrik am Mittwoch widerrecht­lich übernommen und erhebliche Unternehme­nsteile, darunter auch eine große Zahl an neuen Fahrzeugen, konfiszier­t zu haben. General Motors, seit 72 Jahren in Venezuela aktiv, hat das Ende sämtlicher Geschäfte in Venezuela verkündet. Fast 2700 Beschäftig­te dürften dadurch ihre Arbeit verlieren.

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 ?? [ Reuters ] ?? Konfrontat­ion zwischen Regierungs­einheiten und Demonstran­ten in Caracas, die den Tränengasa­ttacken trotzten. In der Hauptstadt Venezuelas zogen mehr als 100.000 Gegner des Präsidente­n Nicolas´ Maduro durch die Straßen.
[ Reuters ] Konfrontat­ion zwischen Regierungs­einheiten und Demonstran­ten in Caracas, die den Tränengasa­ttacken trotzten. In der Hauptstadt Venezuelas zogen mehr als 100.000 Gegner des Präsidente­n Nicolas´ Maduro durch die Straßen.

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