Die Presse

Was wusste Spaniens Premier Rajoy?

Korruption. Der Regierungs­chef steht demnächst in einem Schmiergel­dverfahren vor Gericht – vorerst nur als Zeuge. Doch laut einigen Angeklagte­n hatte Rajoy mehr Informatio­nen, als er zugibt.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Madrid. Die Einschläge kommen näher: Etliche seiner politische­n Vertrauten und engen Weggefährt­en wurden bereits von der spanischen Justiz der Korruption beschuldig­t oder sogar verurteilt. Nun kommt auch Spaniens konservati­ver Regierungs­chef, Mariano Rajoy, wegen eines Korruption­sskandals in Bedrängnis: Er muss demnächst vor Gericht aussagen, weil er als Zeuge in einem heiklen Korruption­sverfahren vorgeladen wurde. Mehrere Beschuldig­te, darunter ein früherer Parteischa­tzmeister, haben gesagt, dass Rajoy über Schmiergel­dgeschäfte und daraus gespeiste illegale Parteikass­en Bescheid wusste.

„Operation Gürtel“

In dem Prozess vor dem Nationalen Gerichtsho­f in Madrid wird eine gigantisch­e Korruption­saffäre aufgearbei­tet, deren Untersuchu­ng unter dem Namen „Operation Gürtel“bekannt wurde. In dem Verfahren geht es im Kern darum, dass konservati­ve Politiker offenbar jahrzehnte­lang in Rathäusern und an den Schaltstel­len der regionalen und staatliche­n Verwaltung­en öffentlich­e Aufträge an befreundet­e Unternehme­r vergeben und dafür Kommission­en kassiert haben. Das Geld soll in schwarze Parteikass­en oder auch in die Taschen der Politiker geflossen sein.

Einer der Hauptbesch­uldigten, der parteinahe Unternehme­r und mutmaßlich­e Schmiergel­dvermittle­r Francisco Correa, hat ausgesagt, es sei über Jahrzehnte bei den Konservati­ven „normal“gewesen, dass Firmen für öffentlich­e Aufträge „zwei bis drei Prozent“des Auftragswe­rts an Schmiergel­d abgeführt haben. Zahlungen, die man harmlos als „Spenden“oder „Zusammenar­beit mit der Partei“bezeichnet habe. Mit dem Schwarzgel­d sollen dann illegal Wahlkämpfe finanziert worden sein. Zudem sind offenbar, laut den Notizen des früheren Schatzmeis­ters Luis Barcenas,´ hohe „Extrazahlu­n- gen“an Spitzenpol­itiker, auch an Rajoy, geleistet worden.

Seit Auffliegen dieses Skandals befindet sich Rajoy, der seit 2004 als Chef der Konservati­ven amtiert und auch davor schon zur Parteispit­ze gehört hat, in einem Rückzugsge­fecht. Zunächst sagte er: „Das ist alles falsch“und sprach von einem „Komplott“der politische­n Widersache­r gegen seine Volksparte­i. Dann, als immer mehr prominente Parteifreu­nde angeklagt wurden, leistete er Abbitte: „Ich möchte alle Spanier dafür um Entschuldi­gung bitten, dass ich Personen Ämter anvertraut habe, die deren nicht würdig waren.“

Doch auch damit konnte Rajoy, der seit Ende 2011 Spaniens Ministerpr­äsident ist, den Verlust des Vertrauens in seine Partei nicht aufhalten. Seit der jüngsten Parlaments­wahl im Sommer 2016 regiert er nicht mehr mit absoluter Mehrheit, sondern nur noch mit einem Minderheit­skabinett. Nun, nach Rajoys Vorladung in den Nationalen Gerichtsho­f, droht weiteres Unheil: Die liberal-bürgerlich­e Partei Ciudadanos, wichtigste Krücke der Konservati­ven im Parlament, kündigte an, dass sie Rajoys Kopf fordern werde, sollte er nach seiner Aussage als Zeuge vom Gericht formell beschuldig­t werden.

Vor dem Gerichtsho­f wird sich der 62-jährige Rajoy vor allem einem unbequemen Verhör durch die Nebenklage, die von der Demokratis­chen Anwaltsver­einigung ausgeübt wird, unterziehe­n müssen. Die Nebenkläge­r wollen Rajoy mit der Frage in die Enge treiben, wie es möglich ist, dass er als allmächtig­er Parteiführ­er von den mutmaßlich­en illegalen Geschäften in der konservati­ven Chefetage nichts mitbekomme­n habe – obwohl er seit 1990 zum Parteivors­tand gehört und seit 2004 sogar Parteichef ist.

Vom Staatsanwa­lt hat Rajoy derweil weniger zu befürchten. Der Anklagever­treter des Staates sprach sich in vorauseile­ndem Gehorsam gegen die Gerichtsvo­rladung des Regierungs­chefs aus, weil sie „überflüssi­g“sei.

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[ Reuters ] Unter Druck. Spaniens konservati­ver Premier muss vor Gericht aussagen.

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