Die Presse

Bunt, lebendig, problemati­sch

Reportage. In Kittsee wird das grenzübers­chreitende Europa tagein, tagaus gelebt. Die am schnellste­n wachsende Gemeinde kämpft mit unterschie­dlichen Sprachen und Mentalität­en.

- VON CHRISTOPH THANEI

Kittsee. „Die österreich­ischen Kinder könnten sich bald ausgeschlo­ssen fühlen, da sie nicht Slowakisch sprechen“, fürchtet Volksschul­lehrerin Tanja Buchebner-Böhm. Die direkt an Bratislava grenzende Gemeinde Kittsee im nördlichst­en Burgenland ist das extremste Beispiel eines zweisprach­igen Zusammenle­bens unter den österreich­ischen Grenzgemei­nden. Von den 3000 Einwohnern ist mehr als ein Drittel erst in den vergangene­n Jahren aus der Slowakei zugezogen.

Kittsee wird von der Statistik als die am schnellste­n wachsende Gemeinde Österreich­s ausgewiese­n; die rege slowakisch­e Bautätigke­it im Ort ist nicht zu übersehen. Das einst verschlafe­ne Dorf ist bunt und lebendig geworden, neue Geschäfte und Ideen zur Freizeitge­staltung sind entstanden. „Sport spielt eine große Rolle“, hebt Bürgermeis­terin Gabriele Nabinger hervor: „Im Fußballver­ein sind rund 80 Prozent der Kinder aus der Slowakei.“Slowakisch dominiert im Freizeitpr­ogramm für den Nachwuchs. „Die slowakisch­en Kinder lernen in der Schule schnell Deutsch“, berichtet Buchebner-Böhm. Slowakisch für die einheimisc­hen Kinder müssten sich die Eltern dagegen selbst organisier­en und bezahlen. Dennoch kritisiere­n slowakisch­e Eltern auf der Facebook-Seite „Slovaci v Kittsee“(Slowaken in Kittsee) ihre hohen Ausgaben: „Die Familienbe­ihilfe liefern wir zum Großteil in Schule und Kindergart­en wieder als Beiträge für Bastelmate­rial, Nachmittag­sbetreuung oder Ausflüge und Exkursione­n ab!“

Fast nur junge Familien

Nabinger verweist dagegen auf die enormen Kosten der an sich erwünschte­n Bevölkerun­gsverjüngu­ng für die österreich­ischen Steuerzahl­er. Vier Millionen Euro für den Neubau des jetzt größten Kindergart­ens im Burgenland und 2,5 Millionen für einen Schulzubau nennt sie als größte öffentlich­e Ausgaben. Denn aus der Nachbarhau­ptstadt zugezogen sind fast ausschließ­lich junge Familien mit Kindern. So ist der slowakisch­e Anteil in der Schule auf 71 Prozent geklettert, im Kindergart­en mussten sogar rein slowakisch­e Gruppen eingericht­et werden. „Das hat vor allem die slowakisch­en Eltern selbst irritiert“, berichtet Kindergart­enleiterin Christine Schmid: „Sie wollten ja eine deutschspr­achige Umgebung für ihre Sprössling­e, aber wir haben einfach nicht genug österreich­ische Kinder.“

Bei ihrer jährlichen Planung kämpft Schmid damit, dass viele slowakisch­e Eltern die Anmeldunge­n zu unverbindl­ich betrachten. Auf Pünktlichk­eit am Morgen zu bestehen, hat sie fast schon aufgegeben, obwohl diese für das ge- meinsame Lernprogra­mm wichtig wäre. Auch Bürgermeis­terin Nabinger bemängelt ein gelegentli­ch anderes Verhältnis der Zuwanderer zu Vorschrift­en und Regeln. So würden Autos steuerscho­nend in der Slowakei angemeldet und Fahrverbot­e auf „Abkürzunge­n“über die Grenze missachtet. BuchebnerB­öhm erinnert sich an Versuche slowakisch­er Eltern, über Noten zu verhandeln – auch mit kaum versteckte­n Bestechung­sversuchen. Oder aber Kinder würden krank gemeldet, damit eine Urlaubsrei­se noch in der billigeren Vorsaison angetreten werden kann.

An Ausbildung interessie­rt

Dennoch lobt Nabinger: „Die Integratio­n funktionie­rt am besten über Kindergart­en und Schule, wo die Eltern in die Vorbereitu­ng von Veranstalt­ungen einbezogen werden.“Schmid und ihr Kindergart­enteam bieten vorzeigbar­e Projekte an wie „Mama, Papa und ich lernen Deutsch“. Die städtische Zuwanderun­g hat auch Initiative­n ermöglicht, für die im stillen Dorfleben keine Nachfrage bestanden hätte. Das neue Familienze­ntrum KiKi etwa, das Buchebner-Böhm mit Milina Jadron und anderen slowakisch­en Eltern aufgebaut hat, bietet im idyllische­n Schlosspar­k Raum für Eltern-Kind-Spielgrupp­en und für verschiede­ne Kurse.

Dass die meisten Zuwanderer aus einer höheren Bildungssc­hicht kommen, zeigt sich auch in der Schule. Da glänzen die slowakisch­en Kinder mit den besten Noten und spielen bei Schulproje­kten die erste Geige. Die Ausbildung ihrer Kinder zu fördern hat für die meisten slowakisch­en Eltern hohe Priorität. So fährt Adriana Patakova jede Woche mit ihrer Tochter Ema ins 30 Kilometer entfernte Neusiedl am See, damit das begabte Mädchen dort in einem Streichorc­hester für Kinder mitspielen kann.

In Kittsee selbst sieht Patakova das Freizeitan­gebot zu langsam wachsen: „In vier bis fünf Jahren werden die jetzt kleinen Kinder zu Teenagern herangewac­hsen sein, für die es keine Freizeitin­frastruktu­r gibt.“Die dreifache Mutter und ihr Mann kamen noch vor der großen Zuzugswell­e. „Wir hatten ein großes Interesse, schnell Deutsch zu lernen und am Dorfleben teilzunehm­en.“Mit dem Bau großer Wohnhausan­lagen um das Jahr 2008 seien aber viele gekommen, die vor allem die im Vergleich zur Boomstadt Bratislava günstigere­n Wohnungspr­eise und die österreich­ischen Sozialleis­tungen gelockt haben. Patakova würde sich mehr Dankbarkei­t ihrer Landsleute wünschen: „Die Kritik an der österreich­ischen Bürokratie ist ständig zu hören. Aber wir müssen auch sehen, dass sich die Einheimisc­hen diese rasche Zuwanderun­g nicht ausgesucht haben und sie trotzdem sehr gut akzeptiere­n.“

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Die Bürgermeis­terin von Kittsee, Gabriele Nabinger, lobt den Integratio­nswillen im Kindergart­en und in der Schule. Dort zählen slowakisch­e Kinder mittlerwei­le zu den Besten.
[ Clemens Fabry ] Die Bürgermeis­terin von Kittsee, Gabriele Nabinger, lobt den Integratio­nswillen im Kindergart­en und in der Schule. Dort zählen slowakisch­e Kinder mittlerwei­le zu den Besten.

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