Bunt, lebendig, problematisch
Reportage. In Kittsee wird das grenzüberschreitende Europa tagein, tagaus gelebt. Die am schnellsten wachsende Gemeinde kämpft mit unterschiedlichen Sprachen und Mentalitäten.
Kittsee. „Die österreichischen Kinder könnten sich bald ausgeschlossen fühlen, da sie nicht Slowakisch sprechen“, fürchtet Volksschullehrerin Tanja Buchebner-Böhm. Die direkt an Bratislava grenzende Gemeinde Kittsee im nördlichsten Burgenland ist das extremste Beispiel eines zweisprachigen Zusammenlebens unter den österreichischen Grenzgemeinden. Von den 3000 Einwohnern ist mehr als ein Drittel erst in den vergangenen Jahren aus der Slowakei zugezogen.
Kittsee wird von der Statistik als die am schnellsten wachsende Gemeinde Österreichs ausgewiesen; die rege slowakische Bautätigkeit im Ort ist nicht zu übersehen. Das einst verschlafene Dorf ist bunt und lebendig geworden, neue Geschäfte und Ideen zur Freizeitgestaltung sind entstanden. „Sport spielt eine große Rolle“, hebt Bürgermeisterin Gabriele Nabinger hervor: „Im Fußballverein sind rund 80 Prozent der Kinder aus der Slowakei.“Slowakisch dominiert im Freizeitprogramm für den Nachwuchs. „Die slowakischen Kinder lernen in der Schule schnell Deutsch“, berichtet Buchebner-Böhm. Slowakisch für die einheimischen Kinder müssten sich die Eltern dagegen selbst organisieren und bezahlen. Dennoch kritisieren slowakische Eltern auf der Facebook-Seite „Slovaci v Kittsee“(Slowaken in Kittsee) ihre hohen Ausgaben: „Die Familienbeihilfe liefern wir zum Großteil in Schule und Kindergarten wieder als Beiträge für Bastelmaterial, Nachmittagsbetreuung oder Ausflüge und Exkursionen ab!“
Fast nur junge Familien
Nabinger verweist dagegen auf die enormen Kosten der an sich erwünschten Bevölkerungsverjüngung für die österreichischen Steuerzahler. Vier Millionen Euro für den Neubau des jetzt größten Kindergartens im Burgenland und 2,5 Millionen für einen Schulzubau nennt sie als größte öffentliche Ausgaben. Denn aus der Nachbarhauptstadt zugezogen sind fast ausschließlich junge Familien mit Kindern. So ist der slowakische Anteil in der Schule auf 71 Prozent geklettert, im Kindergarten mussten sogar rein slowakische Gruppen eingerichtet werden. „Das hat vor allem die slowakischen Eltern selbst irritiert“, berichtet Kindergartenleiterin Christine Schmid: „Sie wollten ja eine deutschsprachige Umgebung für ihre Sprösslinge, aber wir haben einfach nicht genug österreichische Kinder.“
Bei ihrer jährlichen Planung kämpft Schmid damit, dass viele slowakische Eltern die Anmeldungen zu unverbindlich betrachten. Auf Pünktlichkeit am Morgen zu bestehen, hat sie fast schon aufgegeben, obwohl diese für das ge- meinsame Lernprogramm wichtig wäre. Auch Bürgermeisterin Nabinger bemängelt ein gelegentlich anderes Verhältnis der Zuwanderer zu Vorschriften und Regeln. So würden Autos steuerschonend in der Slowakei angemeldet und Fahrverbote auf „Abkürzungen“über die Grenze missachtet. BuchebnerBöhm erinnert sich an Versuche slowakischer Eltern, über Noten zu verhandeln – auch mit kaum versteckten Bestechungsversuchen. Oder aber Kinder würden krank gemeldet, damit eine Urlaubsreise noch in der billigeren Vorsaison angetreten werden kann.
An Ausbildung interessiert
Dennoch lobt Nabinger: „Die Integration funktioniert am besten über Kindergarten und Schule, wo die Eltern in die Vorbereitung von Veranstaltungen einbezogen werden.“Schmid und ihr Kindergartenteam bieten vorzeigbare Projekte an wie „Mama, Papa und ich lernen Deutsch“. Die städtische Zuwanderung hat auch Initiativen ermöglicht, für die im stillen Dorfleben keine Nachfrage bestanden hätte. Das neue Familienzentrum KiKi etwa, das Buchebner-Böhm mit Milina Jadron und anderen slowakischen Eltern aufgebaut hat, bietet im idyllischen Schlosspark Raum für Eltern-Kind-Spielgruppen und für verschiedene Kurse.
Dass die meisten Zuwanderer aus einer höheren Bildungsschicht kommen, zeigt sich auch in der Schule. Da glänzen die slowakischen Kinder mit den besten Noten und spielen bei Schulprojekten die erste Geige. Die Ausbildung ihrer Kinder zu fördern hat für die meisten slowakischen Eltern hohe Priorität. So fährt Adriana Patakova jede Woche mit ihrer Tochter Ema ins 30 Kilometer entfernte Neusiedl am See, damit das begabte Mädchen dort in einem Streichorchester für Kinder mitspielen kann.
In Kittsee selbst sieht Patakova das Freizeitangebot zu langsam wachsen: „In vier bis fünf Jahren werden die jetzt kleinen Kinder zu Teenagern herangewachsen sein, für die es keine Freizeitinfrastruktur gibt.“Die dreifache Mutter und ihr Mann kamen noch vor der großen Zuzugswelle. „Wir hatten ein großes Interesse, schnell Deutsch zu lernen und am Dorfleben teilzunehmen.“Mit dem Bau großer Wohnhausanlagen um das Jahr 2008 seien aber viele gekommen, die vor allem die im Vergleich zur Boomstadt Bratislava günstigeren Wohnungspreise und die österreichischen Sozialleistungen gelockt haben. Patakova würde sich mehr Dankbarkeit ihrer Landsleute wünschen: „Die Kritik an der österreichischen Bürokratie ist ständig zu hören. Aber wir müssen auch sehen, dass sich die Einheimischen diese rasche Zuwanderung nicht ausgesucht haben und sie trotzdem sehr gut akzeptieren.“