Zwischen sympathisch und peinlich
Inszenierung. Darf ein Bundeskanzler den Pizzaboten spielen? Es ist eine Gratwanderung. Ganz ohne Show in der Politik geht es aber nicht – selbst der nüchterne Wolfgang Schüssel wusste das.
Marine Le Pen am Strand. Marine Le Pen mit Kinderfotoalbum. Marine Le Pen im Hubschrauber. Marine Le Pen im Bistro, auf dem Pferd, auf der Yacht. Über weite Strecken in Zeitlupe, unterlegt mit dramatischer Blockbuster-Musik. Ein hochprofessionelles Wahlkampfvideo, das ganz auf die Kandidatin und auf Emotionen setzt und abzielt.
Und Schule machen könnte. Wenn es die Strategen von Christian Kern in die Hand bekommen etwa. So etwas in der Art – in sozialdemokratischer Form adaptiert – könnte dann auch im kommenden Wahlkampf in Österreich zu sehen sein. Denn wie meinte der Kanzler unlängst: „95 Prozent der Politik sind Inszenierung.“
Ein Beispiel hat Kern soeben selbst geliefert. Er verdingte sich als Pizzabote („Trinkgeld war auch nicht so schlecht“). Was spontan wirkte, sah bei näherer Betrachtung ein wenig anders aus: Einer der Besuchten entpuppte sich als SPÖ-Funktionär, der im sozialdemokratisch geführten Sozialministerium arbeitet und sich dann auch noch „mehr Familienfreundlichkeit von Betrieben“wünschte.
Eine erste Bilanz der Aktion: sehr viel Aufmerksamkeit, nicht wenig Häme. Allerdings: Hätte Werner Faymann das gemacht, der Spott wäre ungleich größer gewesen. Kern hat in diesem Drahtseilakt zwischen sympathisch und peinlich gerade noch die Balance gewahrt.
Im Schönbrunner Zoo
Ganz neu ist die Inszenierung in der Politik freilich nicht, sie wird nur zusehends professioneller. Selbst Wolfgang Schüssel, der gemeinhin als eher nüchterner Kanzler galt, hat auf die Macht der Bilder gesetzt – oder zumindest auf diese gehofft. Er führte gemeinsame Ausflüge seiner schwarzblauen Regierungsmannschaft ein: in die Südsteiermark, in die PrinzEugen-Residenz Schloss Hof oder in den Schönbrunner Zoo, wo Schüssel Pandabärpate wurde.
Zuvor hatte er bereits ein Kinderbuch und ein Liederbuch herausgegeben – Letzteres promotet mit einem musikalischen Auftritt mit ihm am Akkordeon, Wilhelm Molterer an der Gitarre und Elisabeth Gehrer an der Querflöte.
Der Großmeister der Inszenierung war freilich Jörg Haider: vom Bungee-Sprung bis zur alljährlichen Faschingskostümierung. Haider war wahrscheinlich der begnadetste Schauspieler unter den Politikern. Er schlüpfte in ebenso viele Rollen, wie er Outfits in seinem Dienstwagen hatte. Für jeden Anlass das passende. Sein Nachfolger, Heinz-Christian Strache, versuchte, ihm auch da nachzueifern, wird allerdings in erster Linie als Rapper in Erinnerung bleiben.
Der bisher größte Darsteller der Sozialdemokratie, Bruno Kreisky, inszenierte sich ebenso gekonnt. Maßanzüge und -schuhe, tiefes Timbre, geistreiche Bonmots – so spielte er mit den Medien. Vor allem im neuen Medium Fernsehen war er wie der Fisch im Wasser. Zu Interviews ließ er Journalisten zu sich auf seine Finca nach Mallorca oder in seine Villa nach Grinzing kommen. Den Ministerrat machte er mit dem Pressefoyer zur One-Man-Show.
Pizza hat er allerdings noch nicht ausgeliefert, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Dafür konnte man ihn zu Hause am Festnetz anrufen. Auch das war freilich ein Teil der Inszenierung als einer, der die Menschen mag.
Von seinen Nachfolgern, Fred Sinowatz und Franz Vranitzky, blieb dann das nicht gerade vorteilhafte Bild vom Cancan mit der Sängerin und Tänzerin Marl`ene Charell in Erinnerung. Sebastian Kurz bereut seinen Auftritt im „Geilomobil“heute wahrscheinlich ebenso.
Allerdings: Ganz ohne Inszenierung, ganz ohne Show, geht es in der Politik nicht. Entscheidend ist dabei, wer es macht – und wie. Barack Obama beispielsweise war für fast jeden Spaß zu haben. Bei ihm kam das zumeist sympathisch und menschlich herüber. Auch weil er ein gewisses schauspielerisches Talent hatte. Und wohl auch auf ein grundsätzlich größeres Wohlwollen in den Medien und der Öffentlichkeit zählen konnte.
Trump und der Osterhase
Donald Trump hingegen tritt einmal mit dem Osterhasen auf (wie am vergangenen Montag) – und alle machen sich über ihn lustig. Wahrscheinlich hatte Obama aber auch das größere Talent zur Selbstironie. Unübertroffen darin übrigens: der britische Außenminister, Boris Johnson. Einer der größten politischen Selbstdarsteller, der bislang auch kaum eine Inszenierungsmöglichkeit ausließ.
Christian Kern kann Inszenierung jedenfalls auch ganz gut. Ob sein Instagram-Account, seine Plan-A-Präsentation, sein Auftritt bei der Regenbogenparade oder nun eben die Pizza-Nummer. Man darf dann schon gespannt sein auf sein erstes echtes Wahlkampfvideo. Eventuell sogar im MarineLe-Pen-Style.