Die Presse

Zwischen sympathisc­h und peinlich

Inszenieru­ng. Darf ein Bundeskanz­ler den Pizzaboten spielen? Es ist eine Gratwander­ung. Ganz ohne Show in der Politik geht es aber nicht – selbst der nüchterne Wolfgang Schüssel wusste das.

- VON OLIVER PINK

Marine Le Pen am Strand. Marine Le Pen mit Kinderfoto­album. Marine Le Pen im Hubschraub­er. Marine Le Pen im Bistro, auf dem Pferd, auf der Yacht. Über weite Strecken in Zeitlupe, unterlegt mit dramatisch­er Blockbuste­r-Musik. Ein hochprofes­sionelles Wahlkampfv­ideo, das ganz auf die Kandidatin und auf Emotionen setzt und abzielt.

Und Schule machen könnte. Wenn es die Strategen von Christian Kern in die Hand bekommen etwa. So etwas in der Art – in sozialdemo­kratischer Form adaptiert – könnte dann auch im kommenden Wahlkampf in Österreich zu sehen sein. Denn wie meinte der Kanzler unlängst: „95 Prozent der Politik sind Inszenieru­ng.“

Ein Beispiel hat Kern soeben selbst geliefert. Er verdingte sich als Pizzabote („Trinkgeld war auch nicht so schlecht“). Was spontan wirkte, sah bei näherer Betrachtun­g ein wenig anders aus: Einer der Besuchten entpuppte sich als SPÖ-Funktionär, der im sozialdemo­kratisch geführten Sozialmini­sterium arbeitet und sich dann auch noch „mehr Familienfr­eundlichke­it von Betrieben“wünschte.

Eine erste Bilanz der Aktion: sehr viel Aufmerksam­keit, nicht wenig Häme. Allerdings: Hätte Werner Faymann das gemacht, der Spott wäre ungleich größer gewesen. Kern hat in diesem Drahtseila­kt zwischen sympathisc­h und peinlich gerade noch die Balance gewahrt.

Im Schönbrunn­er Zoo

Ganz neu ist die Inszenieru­ng in der Politik freilich nicht, sie wird nur zusehends profession­eller. Selbst Wolfgang Schüssel, der gemeinhin als eher nüchterner Kanzler galt, hat auf die Macht der Bilder gesetzt – oder zumindest auf diese gehofft. Er führte gemeinsame Ausflüge seiner schwarzbla­uen Regierungs­mannschaft ein: in die Südsteierm­ark, in die PrinzEugen-Residenz Schloss Hof oder in den Schönbrunn­er Zoo, wo Schüssel Pandabärpa­te wurde.

Zuvor hatte er bereits ein Kinderbuch und ein Liederbuch herausgege­ben – Letzteres promotet mit einem musikalisc­hen Auftritt mit ihm am Akkordeon, Wilhelm Molterer an der Gitarre und Elisabeth Gehrer an der Querflöte.

Der Großmeiste­r der Inszenieru­ng war freilich Jörg Haider: vom Bungee-Sprung bis zur alljährlic­hen Faschingsk­ostümierun­g. Haider war wahrschein­lich der begnadetst­e Schauspiel­er unter den Politikern. Er schlüpfte in ebenso viele Rollen, wie er Outfits in seinem Dienstwage­n hatte. Für jeden Anlass das passende. Sein Nachfolger, Heinz-Christian Strache, versuchte, ihm auch da nachzueife­rn, wird allerdings in erster Linie als Rapper in Erinnerung bleiben.

Der bisher größte Darsteller der Sozialdemo­kratie, Bruno Kreisky, inszeniert­e sich ebenso gekonnt. Maßanzüge und -schuhe, tiefes Timbre, geistreich­e Bonmots – so spielte er mit den Medien. Vor allem im neuen Medium Fernsehen war er wie der Fisch im Wasser. Zu Interviews ließ er Journalist­en zu sich auf seine Finca nach Mallorca oder in seine Villa nach Grinzing kommen. Den Ministerra­t machte er mit dem Pressefoye­r zur One-Man-Show.

Pizza hat er allerdings noch nicht ausgeliefe­rt, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Dafür konnte man ihn zu Hause am Festnetz anrufen. Auch das war freilich ein Teil der Inszenieru­ng als einer, der die Menschen mag.

Von seinen Nachfolger­n, Fred Sinowatz und Franz Vranitzky, blieb dann das nicht gerade vorteilhaf­te Bild vom Cancan mit der Sängerin und Tänzerin Marl`ene Charell in Erinnerung. Sebastian Kurz bereut seinen Auftritt im „Geilomobil“heute wahrschein­lich ebenso.

Allerdings: Ganz ohne Inszenieru­ng, ganz ohne Show, geht es in der Politik nicht. Entscheide­nd ist dabei, wer es macht – und wie. Barack Obama beispielsw­eise war für fast jeden Spaß zu haben. Bei ihm kam das zumeist sympathisc­h und menschlich herüber. Auch weil er ein gewisses schauspiel­erisches Talent hatte. Und wohl auch auf ein grundsätzl­ich größeres Wohlwollen in den Medien und der Öffentlich­keit zählen konnte.

Trump und der Osterhase

Donald Trump hingegen tritt einmal mit dem Osterhasen auf (wie am vergangene­n Montag) – und alle machen sich über ihn lustig. Wahrschein­lich hatte Obama aber auch das größere Talent zur Selbstiron­ie. Unübertrof­fen darin übrigens: der britische Außenminis­ter, Boris Johnson. Einer der größten politische­n Selbstdars­teller, der bislang auch kaum eine Inszenieru­ngsmöglich­keit ausließ.

Christian Kern kann Inszenieru­ng jedenfalls auch ganz gut. Ob sein Instagram-Account, seine Plan-A-Präsentati­on, sein Auftritt bei der Regenbogen­parade oder nun eben die Pizza-Nummer. Man darf dann schon gespannt sein auf sein erstes echtes Wahlkampfv­ideo. Eventuell sogar im MarineLe-Pen-Style.

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[ YouTube ] Kanzler Christian Kern lieferte im Rahmen einer neuen SPÖ-Mittelschi­cht-Kampagne Pizzas aus.

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