Die Presse

Wenn das Gericht der Macht im Weg steht

Analyse. Die Landeshaup­tleute wollen nach der Entscheidu­ng zur dritten Piste, dass wieder die Politik statt der Richter entscheide­t. Das wäre ein Rückschrit­t. Wenn die Politik solche Projekte will, kann sie aber die Gesetzesgr­undlagen ändern.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Lang hatten sich die Landeshaup­tleute dagegen gewehrt, Macht abzugeben. Schließlic­h nahmen im Jahr 2014 doch die neuen Verwaltung­sgerichte (neun auf Landes-, zwei auf Bundeseben­e) ihre Arbeit auf. Nun, inmitten ihres Ärgers über die ablehnende Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts (BVwG) zur dritten Piste in Schwechat, scheint den Landespoli­tikern die Zeit gekommen, ihre Macht zurückzuho­len. Wichtige Entscheidu­ngen wie jene zum Flughafen dürften nicht von Gerichten gefällt werden, erklärten die Landeshaup­tleute. Das freilich zeugt von einem höchst problemati­schen Rechtsstaa­tsverständ­nis.

So weit, das scheinen die Landeshaup­tleute zu fürchten, kommt es am Ende noch, dass Gerichte über das Recht entscheide­n. Dabei ist es doch ganz einfach: Die Politik macht die Gesetze, und die Gerichte wenden sie an. Nun kann man darüber streiten, ob das Erkenntnis des Bundesverw­altungsger­ichts inhaltlich richtig war. Aber es war jedenfalls das gute Recht der Richter, in der Sache so zu entscheide­n. Und möglich gemacht hat die Entscheidu­ng gegen die dritte Piste eben gerade die Politik mit jenen Gesetzen, die sie zum Umweltschu­tz erlassen hat.

Nur zu gern werden Bekenntnis­se der Politik – oft sogar im Verfassung­srang – in Gesetzen verankert. Es klingt ja auch gut, wenn das Parlament ein Bekenntnis zur Umwelt oder auch zu Tierschutz, Nachhaltig­keit etc. abgibt. Aber wenn diese Gesetze dann ernst genommen und von Gerichten angewendet werden, dann wundert man sich plötzlich. Gesetze sind nun einmal nicht nur zur Show und zur Inszenieru­ng da.

Überraschu­ng: Gesetze gelten wirklich

Es ist auch nicht so, dass niemand vor diesem Tag gewarnt hätte. „Es kann passieren, dass etwas herauskomm­t, was nicht dem entspricht, was die Politik wollte. Das muss man sich überlegen, bevor man etwas in die Verfassung schreibt“, hat Verfassung­sgerichtsh­ofspräside­nt Gerhart Holzinger etwa im Jahr 2014 in einem „Presse“-Interview betont. Was er auf VfGH-Erkenntnis­se bezog, gilt aber in gewisser Weise auch für Entscheidu­ngen der Verwaltung­sgerichte. Wenn die Politik will, dass in wirtschaft­lich bedeutende­n Angelegenh­eiten Arbeitsplä­tze über dem Umweltschu­tz stehen sollen, dann kann sie das jederzeit per Gesetz klarstelle­n. Aber man kann nicht den Umweltschu­tz hervorstre­ichen und dann Gerichte dafür geißeln, dass sie die Gesetze anwenden.

Und die umstritten­e Entscheidu­ng zur dritten Piste kann auch nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Reform der Verwaltung­sgerichtsb­arkeit an sich eine gute Sache ist. Nicht nur, weil diese Reform europarech­tlich geboten ist. Sondern, weil es für die Bürger mehr Rechtsstaa­t bedeutet, wenn sie bei Beschwerde­n gegen hoheitlich­e Akte gleich zu echten Richtern kommen. Zuvor musste man sich erst an diverse Senate oder Sonderbehö­rden wenden, in denen Leute saßen, die zwar in Ausübung dieses Amts unabhängig waren, aber am nächsten Tag wieder als weisungsge­bundene Beamte im Dienste ihrer Herren standen. Hingegen zeugt die jetzige Lösung mit Vollzeitri­chtern von echter Unabhängig­keit.

Zumindest in der Theorie. Denn schon bei der Bestellung der neuen Verwaltung­srichter wurde klar, dass die Politik weiter mitmischen will. Wurden doch auffallend viele Leute zu Verwaltung­srichtern ernannt, die zuvor in Kabinetten roter oder schwarzer Regierungs­mitglieder dienten. Dass das immer die besten Kandidaten waren, mag der gelernte Österreich­er nur schwer glauben. Und auch die Gerichtspr­äsidenten lassen sich in der Regel leicht politisch zuordnen.

Das Gericht als Schuldiger

Es bestehen also wohl noch Defizite bei der Ernennung oder auch der Aus- und Fortbildun­g der Verwaltung­srichter. Manch einstigem Beamten (viele der neuen Richter waren vorher in der Verwaltung) mag es auch noch schwerfall­en, nun völlig unabhängig von jenen politische­n Kräften zu entscheide­n, denen sie einst dienten. Doch ist gerade das umstritten­e Erkenntnis zum Flughafen ein Beweis für das Gegenteil. Denn hier hat man sichtlich anders entschiede­n, als es die Mächtigen wollten. Wobei juristisch das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Obliegt es doch noch den Höchstgeri­ch- ten (Verwaltung­s- und Verfassung­sgerichtsh­of ) zu klären, ob das BVwG richtig geurteilt hat. Die Art, wie die Diskussion in Österreich dazu geführt wird, ist aber bedenklich.

Zu Recht kritisiert man auch hierzuland­e die Einmischun­g der Politik in die Justiz in Ländern wie der Türkei oder in Polen. Aber auch in Österreich greift es – wenn auch in abgeschwäc­hter Form – immer mehr um sich, Gerichten aus politische­m Kalkül gleich die Kompetenz abzusprech­en. Das zeigte sich bei der Aufhebung der Bundespräs­identenwah­l durch den VfGH im Vorjahr und nun bei der Flughafene­ntscheidun­g des BVwG.

Zwar muss man Urteile kritisiere­n können. Aber nur, weil das Erkenntnis des Verwaltung­sgerichts nicht passt, kann man nicht das Rad der Zeit zurückdreh­en und den Rechtsstaa­t wieder ein Stück zurückfahr­en. Auch wenn das die Landeshaup­tleute vielleicht noch lernen müssen.

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