Wenn das Gericht der Macht im Weg steht
Analyse. Die Landeshauptleute wollen nach der Entscheidung zur dritten Piste, dass wieder die Politik statt der Richter entscheidet. Das wäre ein Rückschritt. Wenn die Politik solche Projekte will, kann sie aber die Gesetzesgrundlagen ändern.
Wien. Lang hatten sich die Landeshauptleute dagegen gewehrt, Macht abzugeben. Schließlich nahmen im Jahr 2014 doch die neuen Verwaltungsgerichte (neun auf Landes-, zwei auf Bundesebene) ihre Arbeit auf. Nun, inmitten ihres Ärgers über die ablehnende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) zur dritten Piste in Schwechat, scheint den Landespolitikern die Zeit gekommen, ihre Macht zurückzuholen. Wichtige Entscheidungen wie jene zum Flughafen dürften nicht von Gerichten gefällt werden, erklärten die Landeshauptleute. Das freilich zeugt von einem höchst problematischen Rechtsstaatsverständnis.
So weit, das scheinen die Landeshauptleute zu fürchten, kommt es am Ende noch, dass Gerichte über das Recht entscheiden. Dabei ist es doch ganz einfach: Die Politik macht die Gesetze, und die Gerichte wenden sie an. Nun kann man darüber streiten, ob das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts inhaltlich richtig war. Aber es war jedenfalls das gute Recht der Richter, in der Sache so zu entscheiden. Und möglich gemacht hat die Entscheidung gegen die dritte Piste eben gerade die Politik mit jenen Gesetzen, die sie zum Umweltschutz erlassen hat.
Nur zu gern werden Bekenntnisse der Politik – oft sogar im Verfassungsrang – in Gesetzen verankert. Es klingt ja auch gut, wenn das Parlament ein Bekenntnis zur Umwelt oder auch zu Tierschutz, Nachhaltigkeit etc. abgibt. Aber wenn diese Gesetze dann ernst genommen und von Gerichten angewendet werden, dann wundert man sich plötzlich. Gesetze sind nun einmal nicht nur zur Show und zur Inszenierung da.
Überraschung: Gesetze gelten wirklich
Es ist auch nicht so, dass niemand vor diesem Tag gewarnt hätte. „Es kann passieren, dass etwas herauskommt, was nicht dem entspricht, was die Politik wollte. Das muss man sich überlegen, bevor man etwas in die Verfassung schreibt“, hat Verfassungsgerichtshofspräsident Gerhart Holzinger etwa im Jahr 2014 in einem „Presse“-Interview betont. Was er auf VfGH-Erkenntnisse bezog, gilt aber in gewisser Weise auch für Entscheidungen der Verwaltungsgerichte. Wenn die Politik will, dass in wirtschaftlich bedeutenden Angelegenheiten Arbeitsplätze über dem Umweltschutz stehen sollen, dann kann sie das jederzeit per Gesetz klarstellen. Aber man kann nicht den Umweltschutz hervorstreichen und dann Gerichte dafür geißeln, dass sie die Gesetze anwenden.
Und die umstrittene Entscheidung zur dritten Piste kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit an sich eine gute Sache ist. Nicht nur, weil diese Reform europarechtlich geboten ist. Sondern, weil es für die Bürger mehr Rechtsstaat bedeutet, wenn sie bei Beschwerden gegen hoheitliche Akte gleich zu echten Richtern kommen. Zuvor musste man sich erst an diverse Senate oder Sonderbehörden wenden, in denen Leute saßen, die zwar in Ausübung dieses Amts unabhängig waren, aber am nächsten Tag wieder als weisungsgebundene Beamte im Dienste ihrer Herren standen. Hingegen zeugt die jetzige Lösung mit Vollzeitrichtern von echter Unabhängigkeit.
Zumindest in der Theorie. Denn schon bei der Bestellung der neuen Verwaltungsrichter wurde klar, dass die Politik weiter mitmischen will. Wurden doch auffallend viele Leute zu Verwaltungsrichtern ernannt, die zuvor in Kabinetten roter oder schwarzer Regierungsmitglieder dienten. Dass das immer die besten Kandidaten waren, mag der gelernte Österreicher nur schwer glauben. Und auch die Gerichtspräsidenten lassen sich in der Regel leicht politisch zuordnen.
Das Gericht als Schuldiger
Es bestehen also wohl noch Defizite bei der Ernennung oder auch der Aus- und Fortbildung der Verwaltungsrichter. Manch einstigem Beamten (viele der neuen Richter waren vorher in der Verwaltung) mag es auch noch schwerfallen, nun völlig unabhängig von jenen politischen Kräften zu entscheiden, denen sie einst dienten. Doch ist gerade das umstrittene Erkenntnis zum Flughafen ein Beweis für das Gegenteil. Denn hier hat man sichtlich anders entschieden, als es die Mächtigen wollten. Wobei juristisch das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Obliegt es doch noch den Höchstgerich- ten (Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof ) zu klären, ob das BVwG richtig geurteilt hat. Die Art, wie die Diskussion in Österreich dazu geführt wird, ist aber bedenklich.
Zu Recht kritisiert man auch hierzulande die Einmischung der Politik in die Justiz in Ländern wie der Türkei oder in Polen. Aber auch in Österreich greift es – wenn auch in abgeschwächter Form – immer mehr um sich, Gerichten aus politischem Kalkül gleich die Kompetenz abzusprechen. Das zeigte sich bei der Aufhebung der Bundespräsidentenwahl durch den VfGH im Vorjahr und nun bei der Flughafenentscheidung des BVwG.
Zwar muss man Urteile kritisieren können. Aber nur, weil das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts nicht passt, kann man nicht das Rad der Zeit zurückdrehen und den Rechtsstaat wieder ein Stück zurückfahren. Auch wenn das die Landeshauptleute vielleicht noch lernen müssen.