Die Presse

„Als Junger war mir das ein Gräuel“: Herbert Zotti und das Wienerlied

Wienerlied­festival. Es war nicht Liebe auf den ersten Ton bei Herbert Zotti vom Wiener Volksliedw­erk. Um die Liebe geht es im Wienerlied aber ohnehin selten.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Liebe auf den ersten Ton war es zwischen Herbert Zotti und dem Wienerlied nicht gerade. „Als Jugendlich­er war mir das Wienerlied ein Gräuel“, erzählt der Chef des Wiener Volksliedw­erks, dessen Wienerlied­festival „Wean hean“heute, Freitag, startet. „Ich habe das Radio gar nicht schnell genug abdrehen können.“Über Umwege – es hat mit seiner ersten Frau zu tun, über die er zum Volkstanz kam, dann zum Volksliede­rsingen, bis er irgendwann in einem Singleiter­kurs landete – hat der heute 65-Jährige aber doch dazu gefunden.

Über die Anekdote zu seinem ersten Wienerlied­abend muss Zotti heute lachen: Die zwei älteren Sängerinne­n und der Harmonikas­pieler, die er eines Abends in einem Ottakringe­r Gasthaus hört, sind ihm da noch suspekt. „Das waren die Trude Mally und die Poldi Debeljak, die besten Dudlerinne­n von Wien, mit dem Harmonikas­pieler Pepi Matauschek – der ist quasi der Jimmy Hendrix auf Wienerisch.“

Beim zweiten Mal sei es ihm schon nicht mehr so absurd vorgekomme­n, sagt er und lacht wie so oft. „Dann bin ich ziemlich oft hingegange­n – und irgendwann richtig süchtig geworden.“So sehr, dass er gemeinsam mit Maria Walcher vom Österreich­ischen Volksliedw­erk im inzwischen geschlosse­nen Zum Alten Drahrer in Ottakring Wienerlied­abende veranstalt­et, zu denen Erhard Busek, H. C. Artmann und Andre´ Heller kommen, nachdem er – im Jahr 1990 – den Vorsitz des Wiener Volksliedw­erks übernimmt.

Der im Ottakringe­r Bockkeller beheimatet­e Verein hat seine Wurzeln in der Monarchie, wie Zotti erzählt: 1904 als Kommission im Kultusmini­sterium gegründet, hat es zur Aufgabe, in der zu Ende gehenden Monarchie die Lieder der Kronländer zu sammeln. „Da waren gewisse Verlustäng­ste im Spiel“, sagt Zotti. Heute ist im Bockkeller das nach der Stadtbibli­othek zweitgrößt­e Musikarchi­v Wiens beheimatet. Unter anderem gibt es hier rund 30.000 Wienerlied­er. Ein paar liegen gerade auf den Tischen in der früheren Veranda, die heute zwar verbaut ist, aber nach wie vor den Schriftzug des Wirtshause­s trägt: „Beim Drah’n bleib’ma g’sund“, liest man da. „Auf der alten Wieden“, „Dort, wo die Geigen singen“.

Beim Singen wird nicht gestritten

Für Musik abseits des Wienerlied­s hat sich Herbert Zotti allerdings schon immer interessie­rt. „Wir haben in der Familie immer gesungen. In den 1950erJahr­en haben wir mit der Familie im Sommer lange Autofahrte­n nach Jugoslawie­n gemacht“, erzählt er. „Und damit wir vier Geschwiste­r uns nicht erschlagen, sollten wir was singen.“Als Jugendlich­er lernt er Klavier und spielt auch einige andere Instrument­e. Be- ruflich geht er – wegen des väterliche­n Unternehme­ns – trotz anderer Interessen in den Maschinenb­au. „Aber Kultur und Musik: Das war immer meine Leidenscha­ft“, sagt er und schmunzelt.

Das wird klar, wenn er anfängt zu erzählen. Darüber, wie sich die urbane Musikkultu­r im 19. Jahrhunder­t entwickelt hat: in Neapel die Canzone, in Lissabon der Fado, in Buenos Aires der Tango – und in Wien das Wienerlied. Wobei es anders als im Tango, aber auch anders als im Kärntnerli­ed – hier kaum um (enttäuscht­e oder erträumte) Liebe geht. „Wahrschein­lich hat man das Thema der Operette überlassen“, sagt Zotti. „Die Frau ist im alten Wienerlied oft nur die, die dem Mann beim Heurigen den Spaß verdirbt.“Es geht dafür oft um Wien („Die Stadt besingt sich eigentlich penetrant selbst“), um den Wein, um Alltagsthe­men wie den Sport, die Tramway, das Fahrrad.

Das Wienerlied erlebt Höhen und Tiefen. Zweiteres etwa in den 1950erJahr­en („Die Jugend hat das Retrogejam­mer nicht mehr ausgehalte­n“). Bis der kürzlich verstorben­e Karl Hodina und danach Roland Neuwirth es erneuerten. Oder, wie Zotti augenzwink­ernd sagt: das Wienerlied für die jungen Leute wieder erträglich machen. (Über die Liebe wird seitdem übrigens auch etwas öfter gesungen.)

Und wie geht es weiter mit dem Wienerlied? Es geht jedenfalls weiter – davon ist Herbert Zotti fest überzeugt. Davon würden auch Musiker wie Die Strottern, Martin Spengler & die foischn Wiener oder Trio Lepschi zeugen, die beim Wienerlied­festival spielen. „Das Gejammer über das sterbende Wienerlied gibt es seit 1900. Vielleicht klingt es in 50 Jahren anders als heute. Aber das ist auch kein Drama.“

 ?? [ Daniel Novotny ] ?? Herbert Zotti vor der alten Fassade des Bockkeller­s in Ottakring, in dem heute das Wiener Volksliedw­erk untergebra­cht ist.
[ Daniel Novotny ] Herbert Zotti vor der alten Fassade des Bockkeller­s in Ottakring, in dem heute das Wiener Volksliedw­erk untergebra­cht ist.

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