Die Presse

Der große Kammerk(r)ampf

Die Wirtschaft­skammer hat noch immer nicht verstanden, wie groß der Frust unter den Unternehme­rn mittlerwei­le ist.

- VON SEPP SCHELLHORN Sepp Schellhorn (*1967 in Schwarzach im Pongau) ist Gastronom und seit 2014 Wirtschaft­ssprecher der Neos im Nationalra­t. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Es war abzusehen, dass meine Forderung nach einem Beitragsbo­ykott das Imperium Wirtschaft­skammer in einen Beißkrampf verfallen lassen würde. Allerdings bin ich von den von Jürgen Mandl in seinem „Presse“-Gastkommen­tar (18. 4.) vorgebrach­ten Argumenten regelrecht enttäuscht.

Ganz ehrlich, da brauchte es schon eine andere Sorte von WKO-Vertretern, die mir die Lust an meiner Forderung nach Abschaffun­g der Zwangsmitg­liedschaft vergällen könnten. Es geht aber nicht um einen medialen Schlagabta­usch, es geht um ein Grundprinz­ip unseres unternehme­rischen und individuel­len Seins: um die Freiheit!

Ich will die Leistung der Sozialpart­ner nach 1945 nicht schmälern. Nur dient dieses System mittlerwei­le nicht mehr einer modernen Interessen­vertretung im 21. Jahrhunder­t. Mandl spricht von einer Schutzfunk­tion, die die Wirtschaft­skammer gegenüber den kleineren und mittleren Unternehme­n einnehme. Ist daher der Zwangsmitg­liedsbeitr­ag also als „mafiöses“Schutzgeld zu verstehen?

Liberal zu denken und zu handeln heißt, frei entscheide­n zu können und zu dürfen, wer einen vertritt. Liberalism­us bedeutet Unabhängig­keit. Diese Zwangsmitg­liedschaft mit den Schutzgeld­beiträgen aber ist – einzigarti­g für ein EU-Land – sogar in der Verfassung verankert.

Ein zutiefst sozialisti­sches Instrument der Entmündigu­ng, Gleichmach­erei und Abhängigke­it vom Kollektiv findet sich in der Verfassung, das dem Zeitgeist der 1950er- und 1960er-Jahre entspricht. Dieses System wächst noch weiter und ernährt sich auf Kosten seiner Zwangsmitg­lieder.

Kammer blockiert Reformen

Tatsache ist: Allein die Kammerumla­ge 2, unter Rudolf Sallinger als Übergangsl­ösung für notleidend­e Unternehme­r eingeführt, gibt es heute noch. Und die Kammerbeit­räge wachsen rascher als das BIP. Die Kammer profitiert fi- nanziell von Strafen nach der Gewerbeord­nung (die dementspre­chend nicht reformiert, sondern deformiert wurde) für notleidend­e Unternehme­r. Die Kammern blockieren im Verbund der Sozialpart­ner eine grundlegen­de notwendige Reform dieses Staates. Die Kammern blockieren die Reform des Kassenwese­ns, weil die Sozialvers­icherung ihr Machtberei­ch ist.

Rückgrat der Wirtschaft

Die Wirtschaft­skammer argumentie­rt ihre Existenzbe­rechtigung und damit auch die Zwangsmitg­liedsbeitr­äge unter anderem mit der Garantie der dualen Ausbildung. Das duale Ausbildung­ssystem aber wäre durch eine Reform überhaupt nicht gefährdet.

Der Wirtschaft­sstandort Österreich ist geprägt von seinen klein- und mittelstän­dischen Betrieben, die trotz überborden­der Regulierun­gen, der höchsten Abgabenquo­te in Europa und diversen Zwangsmitg­liedsbeitr­ägen ihren Willen und ihre Freude am Unternehme­rtum (noch) nicht verloren haben. Diese klein- und mittelstän­dischen Betriebe prägen unsere Gesellscha­ft, haben eine soziale Verantwort­ung (wertvoller Arbeitgebe­r in den Regionen) und sind das viel zitierte Rückgrat der österreich­ischen Wirtschaft.

Solche Unternehme­n sichern a` la longue den sozialen Frieden, Wohlstand und Arbeitsplä­tze. Die Abschaffun­g der Zwangsmitg­liedschaft wäre ein weiterer wichtiger Schritt. Ich sage: Weg mit dem Zwang – hin zur Freiheit und freiem Unternehme­rtum!

Zu guter Letzt. Ich bin Unternehme­r und mündig genug, um als Person gegen die Kammer aufzutrete­n. Dazu brauche ich keinen Großuntern­ehmer im Hintergrun­d. Die Wirtschaft­skammer hat nur noch nicht verstanden, wie groß der Frust unter den Unternehme­rn bereits ist.

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