Die Presse

Klares Nein der Kurden

Gastkommen­tar. Trotz mancher Befürchtun­gen im Vorfeld erteilte der Großteil der kurdischen Wähler dem System Erdo˘gan eine klare Abfuhr.

- VON HÜLYA TEKTAS Hülya Tektas ist Kurdin, geboren und aufgewachs­en in Istanbul. Sie lebt seit 1998 in Wien. Die Soziologin arbeitet zurzeit als Sozialbera­terin und freie Journalist­in. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Eine der interessan­testen Spekulatio­nen im Vorfeld des historisch­en Referendum­s in der Türkei lautete, dass die Kurden für Erdogan˘ stimmen würden. Es zeigt sich aber, dass die Kurden dem System Erdogan˘ erneut eine klare Absage erteilt haben. Jene kurdischen Städte, in denen es eine Mehrheit für die prokurdisc­he Partei HDP gibt, stimmten auch beim Referendum bis zu 80 Prozent mit Nein. Ein anderes Wahlverhal­ten wäre auch absurd gewesen, bedenkt man, unter welchen rechtswidr­igen – ja kriegsähnl­ichen Bedingunge­n – die Kurden seit mehr als einem Jahr leben.

Nun stellt sich aber die Frage, was überhaupt zu der Spekulatio­n geführt hat. Rührt sie von der Kränkung jener Türken her, die es den Kurden nicht verzeihen, dass sie sie bei den Gezi-Protesten nicht ausreichen­d unterstütz­t haben? Oder ist es Angst, dass sie bei künftigen Widerstand­saktionen nicht mehr mit den Kurden rechnen können? Fakt ist, dass viele Kurden sich erneut auf die Seite der Demokratie geschlagen haben und weiter Widerstand leisten werden.

Wie groß die Repression­en gegenüber Opposition­ellen, unab- hängigen Journalist­en, Akademiker­n, Künstlern usw. auch waren – noch viel härter geht Erdogan˘ gegen die Kurden vor. Ungefähr 10.000 HDP-Mitglieder sollen derzeit in Gefängniss­en schmachten; zahlreiche demokratis­ch gewählte Bürgermeis­ter der prokurdisc­hen Partei HDP wurden abgesetzt und durch Zwangsverw­altungen ersetzt; fast eine halbe Million Menschen mussten aufgrund der permanente­n Ausgangssp­erren und der massiven Militärein­sätze umsiedeln. Trotz dieser tristen Umstände gab es in den kurdischen Städten ein klares Nein.

Unverhohle­ne Drohungen

Die prokurdisc­hen Medien in der Türkei sind noch viel mehr von den unverhohle­nen Drohungen der Regierung betroffen als die türkische Presse im Allgemeine­n. So hatte die türkische Öffentlich­keit kaum die Möglichkei­t, zu erfahren, wie sich jene Kurden, die keine AKP-Anhänger sind, der Verfassung­sreform gegenüber positionie­ren. Die Botschaft an Erdogan˘ ist also ziemlich eindeutig.

In Sachen Menschenre­chte und Rechtsstaa­tlichkeit war die Türkei nie ein Musterland. Dennoch war das Land neben Israel einer der im Nahen Osten halb- wegs funktionie­renden demokratis­chen Staaten.

In der 94-jährigen Geschichte der Türkischen Republik wurden, bis auf wenige Ausnahmen, sowohl die politische­n als auch die kulturelle­n Forderunge­n der Kurden – der Enfants terribles der Türken – stets unterdrück­t, ignoriert oder bestenfall­s abgelehnt.

Interessan­t an den aktuellen Entwicklun­gen im Irak und in Syrien ist, dass es nicht der erbitterte Widerstand und die entschloss­ene Opposition der Kurden sind, die zur Abrechnung mit den bestehende­n politische­n Systemen in den beiden Ländern führen, sondern vor allem innerarabi­sche und innerislam­ische Konflikte.

Nun, kurz vor dem Abrutschen in die Ein-Mann-Diktatur, kündigen alle demokratis­chen Kräfte der Türkei Widerstand an. Für ein gemeinsame­s Vorgehen mit den Kurden braucht es aber auch ein intensives Infrageste­llen und eine bewusste Auseinande­rsetzung mit der bisherigen Geschichte der Türkei.

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