Wenn Populisten andere Populisten als Populisten beschimpfen
Auch die Wahlen in Frankreich am Sonntag werden erneut zeigen, wie alt, kraftlos und ideenbefreit die traditionellen Parteien der Mitte geworden sind.
Es braucht nicht allzu viel Mut, für den kommenden Wahlsonntag in Frankreich eines zu prognostizieren: Egal, ob Marine Le Pen vom Front National gewinnt oder nicht, werden sich an diesem Tag so viele Menschen gegen die etablierten Parteien und ihre Kandidaten gewendet haben wie nie zuvor; und gleichzeitig so viele einer systemfeindlichen Kandidatin ihre Stimme gegeben haben wie ebenfalls nie zuvor.
Man kennt das ja mittlerweile aus dem Vereinigten Königreich (Brexit), aus den USA (Trump), aus den Niederlanden (Wilders), aus Österreich (FPÖ) und bis zu einem gewissen Grad auch aus Deutschland, wo AfD und Linkspartei zusammen ja auch schon einen erheblichen Marktanteil an Stimmen gewonnen haben.
Üblicherweise wird dieser politische Klimawandel als „Sieg des Populismus“oder so ähnlich beschrieben. Was schon insofern ziemlich ungenau ist, als ja die traditionellen Parteien der linken oder rechten politischen Mitte auch nicht ganz untalentiert sind, was die Anwendung populistischer Methoden anlangt.
Deutlich präziser als mit dem in Wahrheit inhaltsleeren „Populismus“Begriff lässt sich die politische Zeitenwende in Europa mit der Diagnose vom „Kollaps des Zentrums“beschreiben. Denn überall da, wo sogenannte oder auch tatsächliche populistische und systemfeindliche Parteien reüssieren, ist vorher den traditionellen Parteien der Mitte die Luft ausgegangen.
Dass SPÖ und ÖVP zusammen heute dramatisch weniger Stimmen bekommen als vor ein, zwei Jahrzehnten, ist ein für fast ganz Europa charakteristisches Phänomen. Das Zentrum schrumpft, die Ränder rücken vor. Es ist dies freilich kein von irgendwelchen höheren Gewalten erzwungener Vorgang. Dieser Infarkt der Mitte ist vielmehr zu einem erheblichen Teil zwei von ihnen zu verantwortenden politischen Jahrhundertfehlern geschuldet: erstens der zu frühen, für zu viele Staaten ermöglichten und vertraglich schlecht abgesicherten Einführung des Euro und den daraus resultierenden schweren ökonomischen Verwerfungen in der Eurozone und zweitens der Zuwanderungswelle von 2015 ff.
Viel spricht dafür, dass ohne diese beiden fundamentalen politischen Fehlentscheidungen die Parteien der traditionellen politischen Mitte in vielen Staaten Europas deutlich besser dastünden. Zwischen Euro, Massenzuwanderung und den politischen Erfolgen von Le Pen, Strache & Co. lässt sich durchaus ein gewisser Kausalzusammenhang herstellen.
Dazu kommt, dass die Parteien der Mitte seit vielen Jahren eigentümlich kraftlos, ideenarm und uninspiriert in der Gegend herumstehen. Neue Ideen haben Sozialdemokraten und Konservative schon seit vielen, vielen Jahren nicht mehr in die Welt gesetzt. Die Parteien des Zentrums erscheinen ausgelaugt und sehr, sehr müde.
Verglichen mit dem Furor an Veränderungswillen, mit dem die Sozialdemokraten Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre den Kontinent umformten, ist die Sozialdemokratie heute eine bloße Status-quo-Administratorin geworden.
Bei den Konservativen ist das um keinen Deut besser. War Margaret Thatcher noch eine Revolutionärin und plädierte selbst die frühe Angela Merkel noch für eine Flat Tax, sind die heutigen bürgerlichen Parteien weitgehend sozialdemokratisiert.
Dass der Wähler diese ideologische Impotenz des Zentrums wenig attraktiv findet, überrascht nicht wirklich. Nicht zuletzt deswegen könnten die von den traditionellen Populisten der Mitte als Populisten verunglimpften neuen Parteien ihre politischen Visionen zu einem erheblichen Teil durchsetzen, ohne offiziell zu regieren. Sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden, in Deutschland und in Österreich haben FPÖ, Front National, Wilders und AfD die Politik des zerbröselnden Zentrums signifikant verändert – und zwar in ihrem Sinne. Um zu gewinnen, werden Le Pen & Co. deswegen gar nicht unbedingt gewinnen müssen.