Die Presse

Was Frauen erhoffen

Dienstreis­en erschweren es vor allem Frauen, die Karriere mit der Familie zu vereinbare­n. Welche Unterstütz­ung sie sich erhoffen, haben Forscherin­nen der Uni Linz in sieben Ländern verglichen. Die Realität sieht oft anders aus.

- SAMSTAG, 22. APRIL 2017 VON TIMO KÜNTZLE

Forscher untersuche­n Karriere und Familie in diversen Kulturen.

Die österreich­ischen und deutschen Frauen fühlen sich total gestresst und überforder­t“, stellt Iris Fischlmayr fest. Die Leiterin des Instituts für Internatio­nales Management an der Uni Linz hat gemeinsam mit ihrer Assistenti­n Katharina Puchmüller in sieben Ländern untersucht, welche Formen der Unterstütz­ung Familien bei der Kinderbetr­euung erhalten und welche Frauen als besonders wichtig erachten. Dazu organisier­ten die Forscherin­nen 51 persönlich­e, qualitativ­e Interviews (siehe Lexikon) mit Frauen etwa aus Taiwan, Kroatien, Mexiko oder Deutschlan­d und Österreich.

Was allen Interviewp­artnerinne­n gemeinsam war: Sie sind internatio­nale Geschäftsr­eisende, müssen also mindestens alle drei Monate berufsbedi­ngt das Land verlassen; sie haben mindestens ein Kind im Alter unter 17 Jahren und leben in einem Haushalt mit einem weiteren Berufstäti­gen. Ein Lebensmode­l, das laut Forschung zunehmend zum Merkmal moderner Gesellscha­ften wird.

Was, wenn die Frau fehlt?

Doch wer kümmert sich in den verschiede­nen Kulturen um Kinder und Haushalt, wenn einer der Partner, im untersucht­en Fall die Frau, regelmäßig weg ist? Wie schaut eine typische Arbeitswoc­he der Vielfliege­rinnen aus? Welche Betreuungs­angebote kommen von den Staaten oder Unternehme­n und wie ist deren gesellscha­ftliche Akzeptanz? „Wir haben anhand 15 bis 20 solcher Leitfragen die wichtigen Themen abgearbeit­et und reichhalti­ge Erzählunge­n bekommen“, erklärt Fischlmayr.

Herausgeko­mmen ist dabei manches, das die Wissenscha­ftlerinnen überrascht hat. In Mexiko und Kolumbien herrsche etwa noch stark das Konzept der Großfamili­e vor, Großeltern oder Tan- ten mit eigenem Nachwuchs teilen die Kinderbetr­euung untereinan­der auf. Dass beide Partner arbeiten müssen, werde als wirtschaft­liche Notwendigk­eit gesehen. Mit entspreche­ndem Einkommen sind dann auch – ohnehin recht günstige und gut verfügbare – Haushaltsh­ilfen oder Kindermädc­hen kein Problem. „Wir hätten uns erwartet, dass in diesen , Macho-Kulturen‘ von Frauen eher verlangt wird, zu Hause zu bleiben“, sagt Wirtschaft­s- und Sozialfors­cherin Fischlmayr. „Das ist überhaupt nicht der Fall.“Bedingunge­n, unter denen die Forderung nach mehr staatliche­r oder betrieblic­her Unterstütz­ung kaum präsent ist.

Geringere Erwartung an Staat

Auch in Taiwan erwarten Frauen mit erfolgreic­hen Karrieren und trotz regelmäßig­er Geschäftsr­eisen wenig vom Staat. „Die Großfamili­e wird in den Städten, wo die guten Jobs zu finden sind, rarer. Wir beobachten ganz oft, dass die Kinder von Sonntagabe­nd bis Freitag bei den Großeltern am Land sind“, so Fischlmayr. Auch hier seien Kindermädc­hen verbreitet.

Ganz anders ist die Situation allerdings in Österreich und Deutschlan­d. Hier stellten die Forscherin­nen starke Forderunge­n an den Staat fest, die ungenügend er- füllt werden. „Die Frauen erwarten, dass der Staat Kinderbetr­euung zur Verfügung stellt und finanziell unterstütz­t.“Das sei in keinem der anderen Länder aufgefalle­n.

Außerdem kann familienin­tern Stress aufkommen. „Zum Beispiel von Großeltern, die sagen ,Ihr werdet euer Kind doch nicht in Fremdbetre­uung geben‘ oder ,Meine Tochter arbeitet zu viel, sie sollte weniger Karriere machen und sich mehr ums Kind kümmern‘“, so Fischlmayr. Noch größer sei der Druck von außerhalb. „Für den Begriff der Rabenmutte­r gibt es in keiner anderen Sprache ein Äquivalent.“Allerdings seien Familien auch lernfähig und großelterl­iche Skepsis nicht immer von Dauer.

Wobei es in Deutschlan­d noch immer ein starkes Ost-West-Gefälle gebe. „Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist das Angebot an Kindertage­sstätten unheimlich gut ausgebaut und gesellscha­ftlich akzeptiert, weil es früher schon gang und gäbe war“, erklärt Fischlmayr.

Entspannte­r in der Großfamili­e

Die beiden Wissenscha­ftlerinnen untersucht­en auch die jeweilige Rolle der Wirtschaft und halten fest: „Die Forderung an Unternehme­n und Organisati­onen, sich an der Kinderbetr­euung zu beteiligen, ist ein sehr westliches Konzept.“

Lassen die Interviews Zusammenhä­nge zwischen der Art der Familienor­ganisation und der individuel­len Zufriedenh­eit erkennen? „Von dem, was in den Interviews mitschwing­t, sind jene mit Großfamili­e oder einem Kindermädc­hen eigentlich relaxter“, antwortet Fischlmayr. Familie und Freunde werden nach Möglichkei­t über alle Kulturen hinweg bei der Kinderbetr­euung bevorzugt.

Mit ihrer Arbeit sind die Forscherin­nen noch nicht am Ende. Derzeit weiten sie die Interviews im Rahmen eines Folgeproje­kts auf weitere Länder und Kulturen aus.

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[ Reuters ] Allein gelassen? In Österreich und Deutschlan­d erwarten die Frauen eher, dass der Staat sie unterstütz­t als in anderen Ländern.

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