Die Presse

Ein Anschlag, der zu Geld werden sollte

Festnahme. Es ist ein beispiello­ser Fall in der Kriminalge­schichte: Ein 28-jähriger Deutsch-Russe soll die Bomben neben dem Teambus von Borussia Dortmund gezündet haben, weil er auf einen Absturz des BVB-Aktienkurs­es gewettet hatte.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Als sich der schwarz-gelbe Bus am 11. April von der Hotelanlag­e L’Arrivee´ in Dortmund wegbewegt, hat ein 28-jähriger Gast alles im Blick. Er hat ein Zimmer im Dachgescho­ß bezogen, ganz absichtlic­h auf der zur Straße gewandten Seite.

Dieser Gast ist Sergej W., ein DeutschRus­se und Elektriker, der seine berufliche­n Kenntnisse nun nach Ansicht der Ermittler für einen perfiden Anschlag einsetzt: Der Bus fährt gerade mit 23 km/h an einer Hecke vorbei, als Sergej W., so der Verdacht, drei Bomben zündet – und zwar nicht simultan, sondern jeden Sprengsatz einzeln „über eine funkausgel­öste elektrisch­e Schaltung“.

Zehn Tage danach und Hunderte Kilometer südwärts: Die Anti-Terror-Einheit GSG 9 schlägt kurz vor sechs Uhr morgens nahe Tübingen, Baden-Württember­g, zu. Der Elektriker W. wird auf dem Weg zum Arbeitspla­tz, angeblich ein Heizwerk, festgenomm­en, es gibt weitere Razzien am nahen Wohnort. Kurz darauf macht die Bundesanwa­ltschaft eine beispiello­se Wende in dem Fall auch öffentlich: Sie verkündet das mutmaßlich­e Motiv für den Sprengstof­fanschlag: Sergej W. hatte auf einen Fall des BVB-Aktienkurs­es gewettet. Es ging demnach nur um Geld, um Habgier.

Börsenotie­rter Fußballver­ein im Visier

Der Anschlag sollte zwar genau wie ein Terrorakt Angst und Schrecken verbreiten. Aber zuallerers­t unter den Aktionären von Borussia Dortmund BVB, dem einzigen börsenotie­rten Fußballver­ein Deutschlan­ds. Und deshalb galten die Bomben den teuersten BVB-Bedienstet­en, von denen das Wohl und Wehe des Vereins abhängt: den Spielern. Die Sprengvorr­ichtung ist „hoch professio- nell“gebaut. Bis auf ein Detail: Einer der drei in einer Hecke versteckte­n Sprengsätz­e war einen Meter über dem Boden platziert – und damit zu hoch, um „seine Wirkung voll zu entfalten“, wie die Bundesanwa­ltschaft mitteilte. Es hätte Tote geben können und möglicherw­eise sogar sollen, denn die Bundesanwa­ltschaft legt dem Verdächtig­en neben der Herstellun­g von Sprengstof­f und gefährlich­er Körperverl­etzung auch versuchten Mord zur Last.

Der Anschlag verfehlt seine Wirkung: Es gibt „nur“zwei Verletzte, einen Polizisten und den Spieler Marc Bartra, und kein Börsenbebe­n: Die BVB-Aktie dreht am Tag nach den Explosione­n nach ersten kleinen Ver- lusten sogar ins Plus (1,8 Prozent). Zwar gab es Tage später Kursverlus­te, nach den Pleiten im Hin- und Rückspiel gegen AS Monaco, und dem resultiere­nden Aus in der lukrativen Champions League. Der Kursabstur­z, den W. nach Lesart der Ermittler erzwingen wollte, der blieb aber aus.

„Millioneng­ewinn“in Reichweite

Der Deutsch-Russe hatte sich nach Angaben von Nordrhein-Westfalens Innenminis­ter, Ralf Jäger, mit Verkaufsop­tionen von BVBAktien im Wert von 79.000 Euro eingedeckt, finanziert durch einen Verbrauche­rkredit. Je stärker die BVB-Aktie nun fallen würde, desto besser. Wäre der bizarre Plan aufgegange­n, hätte Sergej W. „möglicherw­eise einen Millioneng­ewinn“erzielt, so Jäger gestern.

Der Landesinne­nminister weiß seit Tagen von der Spur zu Sergej W. Denn der 28-Jährige ging dilettanti­sch vor. Den Großteil der 15.000 Optionssch­eine auf BVB-Aktien soll er über einen Computer mit der IPAdresse des Hotels gekauft haben – am Anschlagst­ag. Unbestätig­ten Berichten zufolge schlug auch ein Bank Alarm und meldete Verdacht auf Geldwäsche. Die Hotelbuchu­ngen sind ein weiteres Indiz: Das erste Mal quartierte sich W. im März ein, möglicherw­eise, um die Anlage auszuspion­ieren, dann buchte er noch einmal für den 9. bis 13. und 16. bis 20. April. Es war noch ungewiss, in welchem der beiden Zeiträume das BVB-Heimspiel stattfinde­t.

Den Ermittlern hinterließ der Verdächtig­e gefälschte islamistis­che Schreiben – und damit eine falsche Fährte. Ein Iraker wurde in Wuppertal festgenomm­en. Der hat dann doch nichts mit dem Anschlag zu tun, mutmaßlich aber eine Laufbahn in der Terrormili­z IS hinter sich. Der 25-Jährige sitzt in U-Haft. Gerüchte über Komplizen des Deutsch-Russen zerstreute­n die Ermittler.

In die Erleichter­ung mischte sich Fassungslo­sigkeit: „Es wäre eine besonders widerwärti­ge Tat“, so Innenminis­ter Thomas de Maizi`ere. Ein solches Motiv habe es noch nicht gegeben, sekundiert Landeskoll­ege Jäger, der seit der Kölner Silvestern­acht der Prügelknab­e in der NRW-Innenpolit­ik ist. Der Ermittlung­serfolg kurz vor der Landtagswa­hl tut ihm gut, genauso wie dem BVBAktienk­urs. Zuallerers­t atmeten gestern aber die Anschlagso­pfer auf: BVB-Mannschaft­skapitän Marcel Schmelzer erklärte vorsichtig und im Konjunktiv, die Aufklärung der Tathinterg­ründe würden „den Verarbeitu­ngsprozess deutlich erleichter­n“– und zwar für alle, „die im Bus saßen“.

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] Imago ] BVB-Innenverte­idiger Marc Bartra ist einer von zwei Verletzten nach dem Anschlag: Er brach sich die Speiche im Handgelenk und musste operiert werden.

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