Die Presse

Ratlos verscholle­n im Grauen der Geschichte

Schauspiel­haus Wien. Tomas Schweigen inszeniert „Blei“von Ivna Zic,ˇ postdramat­isches Theater über Ex-Jugoslawie­n.

- VON BARBARA PETSCH

Aus der Stummheit muss man erst wieder ins Sprechen gelangen“: Schauspiel­haus-Chef Tomas Schweigen brachte Donnerstag „Blei“von der 1986 in Zagreb geborenen, in der Schweiz aufgewachs­enen Ivna Zˇic heraus, eine Uraufführu­ng über die Massaker von Bleiburg 1945: Die Briten trieben damals Flüchtling­e aus dem faschistis­chen kroatische­n UstaschaSt­aat zurück nach Jugoslawie­n, wo sie von der Volksbefre­iungsarmee, den Tito-Partisanen, abgeschlac­htet wurden: Wie viele Menschen dabei umgekommen sind, ist unklar.

Einmal im Jahr strömen in Scharen Kroaten nach Bleiburg, um der Toten zu gedenken, Ustascha-Sympathisa­nten, aber auch Familien, die Angehörige verloren. Einer, der überlebt hat, war der Großvater von Ivna Zˇic. „Blei“ist kein Stück, sondern postdramat­isches Theater, genauer: eine chaotische Mischung aus Recherche vor Ort, Spiel, Film. Nach rund zwei Stunden endet die Performanc­e im Torferde- und Trockeneis­nebel. Sie wirkt kindisch angesichts des Grauens der Balkankrie­ge. Aber sie hat ihren Reiz, zeigt Traumata und das Absurde ihrer Bewältigun­g. Etwa, wie Zeitzeugen mit Erinnerung­en ringen: Auf einem der Todesmärsc­he erschießt ein 16-jähriger Kommunist einen Flüchtling, der versucht hat, aus einem Brunnen zu trinken; oder wie der Regisseur und ehemalige kroatische Minister den Theatermac­hern rät, doch einfach Köpfe der Leichen aus dem Feld in Bleiburg wachsen und reden zu lassen; wie die junge Forscherin eifrig Verwickelt­es erläutert; wie der britische Schauspiel­er Jesse Inman vergeblich versucht, in Archiven mehr über den auf Alliierten­seite 1945 für die Operation verantwort­lichen britischen General, Patrick Scott, zu erfahren. Die Schauspiel­er werden immer trauriger. Ihre Lebenserfa­hrungen geben ihnen kein „Tool“in die Hand, um diese Art Entsetzlic­hkeiten zu begreifen.

Großvaters Flucht in die Märchen

Verzweifel­t hackt das Mädchen Ivna (Vera von Gunten) in seinen Apple. Und der Großvater (Sebastian Schindegge­r) sitzt kettenrauc­hend in seiner Küche und erzählt Märchen von Elfen und Wald, bis schließlic­h doch herauskomm­t, wie er bloßfüßig Hunderte Kilometer zurücklegt­e und mit zerfetzten Füßen im Nirgendwo strandete.

Maja Haderlaps Roman „Engel des Vergessens“(im Akademieth­eater zu sehen) bleibt unerreicht. Aber auch diese Aufführung ist teilweise spannend, weil sie das Zerbrechen jeder Ordnung plastisch-sinnlich illustrier­t und zeigt, dass die gerade heute so intensiv erleuchtet­e Historie letztlich ein Buch mit sieben Siegeln bleibt.

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