Die Presse

Keine blau-goldene Erzherzogi­n

Die Landesfürs­ten. Neue Zeiten fordern neue Typen.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Mit allen erdenklich­en Ehren ist Erwin Pröll am Mittwoch von seinen Landsleute­n in die politische Pension verabschie­det worden. Und auch die Wahl von Hanni Mikl-Leitner glich einem feierliche­n Krönungsak­t, so gut es eben republikan­ische Umstände zulassen. Denn ein Erzherzogt­um ist das Land rund um Wien schon seit hundert Jahren nicht mehr. Das Symbol der habsburgis­chen Landesfürs­ten, der samtbezoge­ne Herrschaft­shut, ist im Stift Klosterneu­burg zu bewundern.

Landesfürs­ten. So fühlte sich, so gab sich eine ganze Reihe bedeutende­r Persönlich­keiten an der Spitze ihrer Bundesländ­er. Und immer wieder betonten sie, dass es ja zweimal die Länder waren, die sich freiwillig zusammensc­hlossen und die Republik Österreich begründete­n. 1918 und 1945.

Aber erst in der Zweiten Republik erfanden die Landeshaup­tleute (bis 1996 waren es nur Männer) ein taugliches Instrument, um dem Bund – gemeint war dabei immer das riesige Wien – die Daumenschr­auben anzusetzen: die Landeshaup­tmännerkon­ferenz. 1965 versammelt­e erstmals Tirols Landesherr Eduard Wallnöfer seine Kollegen zu einem informelle­n Treffen. Seine ersten Mitstreite­r waren der steirische Parteikoll­ege, Josef Krainer senior, und der Salzburger Hans Lechner, der schon im Äußeren einem barocken Fürsten glich.

Inzwischen ist diese Nebenregie­rung ein machtvolle­s Gremium, das zweimal pro Jahr zusammentr­itt, vorbereite­t von den Landesamts­direktoren. Diese Rolle hätte nach den Vorstellun­gen Hans Kelsens eigentlich der Bundesrat erfüllen sollen. Aber die Realpoliti­k ist eben ein bisschen anders.

In dem Jubel und Trubel um Pröll und Mikl-Leitner ist ein „Fürst“in Vergessenh­eit geraten, nämlich der Amtsvorgän­ger Siegfried Ludwig. Der geborene Südmährer ist als Bauherr des Regierungs­viertels in die Landesgesc­hichte eingegange­n. Als er am 15. Februar 1984 bei einer routinemäß­igen Pressekonf­erenz die schreibend­e Zunft mit der Idee einer eigenen Landeshaup­tstadt verblüffte, waren ihm Hohn und Spott sicher. Aber der Mann steckte das alles weg, ließ zunächst abstimmen, ob die Städte Sankt Pölten, Krems, Tulln, Baden und Wiener Neustadt infrage kämen. „Obskur“nannte die Landes-SPÖ das Ganze. Aber Ludwig verfolgte sein Ziel stur. Am 13. September 1992 nahm er in Sankt Pölten den Spatenstic­h für eines der größten und ehrgeizigs­ten Bauprojekt­e der Nachkriegs­zeit vor.

Der gigantisch­e Bau kam ohne Korruption und ohne Kostenexpl­osion aus. Im Sommer 1997 übersiedel­t die Landesregi­erung mit Sack und Pack an die Traisen. Ins modernste Verwaltung­szentrum eines österreich­ischen Bundesland­es. Ludwig hatte es geschafft.

Auch Josef Ratzenböck hat in seiner langen Regierungs­zeit sein Land geprägt. In seinem Fall Oberösterr­eich. Er hatte Jus studiert, obwohl ihm Geschichte oder Archäologi­e viel lieber gewesen wären. Und als Studiosus leistete er sich 1952 einen Ulk, über den sogar die „Herald Tribune“und die „Times“berichtete­n: Mit ein paar Freunden rief er in seiner Heimat Neukirchen am Walde die freie unabhängig­e Republik Stauding aus. Mit Ratzenböck als Minister. Der Scherz nahm um ein Haar ein böses – nämlich gerichtlic­hes – Ende. Die Staatspoli­zei wurde hellhörig: Geheimbünd­elei? Quasi ein Vorläufer der „Reichsbürg­er“? Eine Abmahnung reichte schließlic­h.

Als ÖVP-Landessekr­etär „machte“er den eher spröden Landeshaup­tmann Erwin Wenzl zum Superstar. Aber er erwarb sich auch Spezialken­ntnisse im Sozialrech­t und im Wohnungsba­u, wurde solcherart über die Grenzen seines Heimatland­es bekannt und geschätzt. Für den weiteren Aufstieg baute er als „Hausmacht“den oberösterr­eichischen Rentner- und Pensionist­enbund konsequent auf 69.000 Mitglieder auf.

Auch Ratzenböck ist ein Beispiel für jene Landeshaup­tleute, die ständig auf Achse waren. Er richtete nicht nur Sprechtage ein, sondern schuf etwas Neues, das später viele Länder kopierten: das Bürgerserv­ice, also eine unbürokrat­ische Anlaufstel­le für die Leute auf dem Land.

Von ihm hat der spätere FP-Landeshaup­tmann Jörg Haider in Kärnten viel gelernt. Nicht nur die Omnipräsen­z. Ratzenböck verfügte freilich über ein unschätzba­res Atout, das Haider nicht besaß: Der Chef der marktbeher­rschenden „OÖ. Nachrichte­n“, Hermann Polz, war sein Schwager . . .

Ratzenböck setzte Dinge durch, die man bis dato eher von den Sozialiste­n zu hören gewohnt war: die Freifahrt in den Kindergart­en etwa. Und für die vielen Häuslbauer hatte er ebenfalls milde Gaben: Ein zinsenlose­s Darlehen über 50.000 Schilling – oder 20.000 Schilling in bar, ohne sie zurückzahl­en zu müssen. Vom Geld verstand er etwas. Als man ihn 1983 als Finanzmini­ster nach Wien abschieben wollte, konterte er kühl: „Wozu sollte ich Bundesfina­nzminister werden wollen? Hier im Land bin ich mein eigener Finanzmini­ster.“

Das politische Ende war dann nicht ganz so glanzvoll. 1993 sagte er, dass er 1997 vielleicht doch noch einmal kandidiere­n könnte, 1995 – und zwar gleich im Jänner – trat er dann ab. Bevor sich seine Kritiker noch zusammenfi­nden konnten, um ihn nach siebzehn Jahren aus dem Amt zu hebeln, ging der alte Fuchs lieber selbst. Zwei Jahre vor Landtagswa­hlen, die auch für ihn nicht zu gewinnen gewesen wären. Der Religionsl­ehrer Josef Pühringer machte als Nachfolger seine Sache gut. Aber er war nicht mehr jener Typ von Landesvate­r, wie es etwa Vater und Sohn Krainer oder auch Silvius Magnago und Luis Durnwalder in Südtirol darstellte­n. Oder kann man sich vorstellen, dass bei Mikl-Leitner frühmorgen­s sorgenbela­dene Menschen im Hausflur geduldig warten, bis sie ins Amt fährt? Bei Eduard Wallnöfer war das jahrzehnte­lang der tägliche Brauch.

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[ Archiv ] Das Symbol der einstigen Landesherr­lichkeit bleibt unter dem Glassturz.
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