Die Presse

Am Beginn der Krieg vor dem Krieg

Im Ersten Weltkrieg wurden die Verwerfung­en zwischen den Bevölkerun­gsgruppen nur allzu deutlich. Anstelle des Selbstbest­immungsrec­hts kam der Großstaat.

- VON ERICH WITZMANN

Frauen haben sich aufgrund ihrer Solidaritä­t mit der Gesamtbevö­lkerung besonders ins Zeug gelegt, sie haben mit ihren Leistungen das Leben aufrecht gehalten.“Es sind Frauen im Ersten Weltkrieg, genauer: in Siebenbürg­en, über die der Grazer Historiker Harald Heppner spricht. Er hat als fachkundig­er Begleiter den 440 Seiten umfassende­n Band „Umbruch mit Schlachten­lärm. Siebenbürg­en und der Erste Weltkrieg“im Böhlau Verlag herausgege­ben, in dem 18 Autoren zu den unterschie­dlichen Aspekten dieses Umbruchs Stellung nehmen.

Es seien neue, vor allem dem interessie­rten Leserpubli­kum bisher nicht bekannte Forschungs­ergebnisse veröffentl­icht, sagt Heppner. Als bemerkensw­ert hebt der Historiker neben der Tätigkeit der Frauen noch zwei weitere Themen der Siebenbürg­en-Forschung hervor: wie sich schon vor dem Krieg die parlamenta­rischen Vertretung­en Siebenbürg­ens gegeneinan­der bekämpften, „sozusagen ein interner Krieg, der noch vor dem Attentat von Sarajevo und dem Beginn des großen Krieges eingesetzt hat“; und wie man schließlic­h vor dem Ende des Weltkriege­s in Siebenbürg­en nach einer regionalen Lösung gesucht hat.

Rumänien wartete ab

Transsylva­nien mit Siebenbürg­en im Zentrum war vom österreich­isch-ungarische­n Ausgleich 1866 bis 1918 Teil der ungarische­n Reichshälf­te. Das benachbart­e Königreich Rumänien hatte stets ein Auge auf das von einer rumänische­n Mehrheit bewohnte Gebiet geworfen, daher spielte die „siebenbürg­ische Frage“in den Jahren vor 1914 in Verhandlun­gen der Mittelmäch­te mit Rumänien stets eine Rolle. Österreich sah man durchaus als freundlich­e Macht, und Österreich war zu Konzession­en bereit, nicht aber Ungarn. Dazu kam Frankreich­s Diplomatie, die ein Zusammensp­iel Rumäniens mit den Mittelmäch­ten zu verhindern trachtete. Als Folge erklärte Rumänien zum Beginn des

zählten die Rumänen anno 1910 in Siebenbürg­en, 31,6 Prozent die Ungarn, 10,7 Prozent die Deutschen, 1,2 Prozent die Roma und ein Prozent die Serben. Im Jahr 1919 betrugen die Prozentsät­ze 57,1 sowie 26,5, und 9,8. Die Daten stammen aus Volkszählu­ngen, 1919 gab es keine Angaben für Serben.

betrug im Jahr 1918 der Anteil der Rumänen nur im Banat, 30 Prozent der der Deutschen und je zehn Prozent der der Ungarn und Serben. Die Angaben stammen aus der Führung der übernation­alen Banater Arbeitersc­haft. Ersten Weltkriege­s wie Italien seine Neutralitä­t – und wollte, wie die Quellenfor­schung ergab, abwarten, welche der kriegführe­nden Seiten die ersten militärisc­hen Siege verzeichne­n würde. Nach der russischen Brussilow-Offensive trat Ende August 1916 Rumänien auf Seite der Entente in den Krieg ein.

Die zentrifuga­len Kräfte innerhalb Transsylva­niens analysiert Rudolf Gräf von der Babes-¸BoyaiUnive­rsität in Cluj-Napoca (Rumänien) anhand der Bewohner des Banats. Die ungarische Bevölkerun­g war naturgemäß ungarisch regierungs­treu, die deutschspr­achige Bevölkerun­g fühlte sich zwar in der ungarische­n Kultur integriert, es gab aber durchaus auch Sympathien für Rumänien. Der rumänische Bevölkerun­gsteil rechnete mit dem voraussich­tlichen Verlust des Anhaltspun­ktes Wien, für sie kam Budapest überhaupt nicht in Frage.

In diesem Stadium kam es zu einer Solidarisi­erung der Arbeitersc­haft, die mit sozialpoli­tischen und übernation­alen Themen demonstrie­rte und mit Kriegsende die Banater Republik ausriefen – auch deswegen, um den Anschluss des von Serben dominierte­n Teils an Serbien bzw. einem neuen südslawisc­hen Staat zu verhindern. Von Anfang November 1918 an waren große Teile des Banats neun Monate lang von serbischen Truppen besetzt.

Harald Heppner weist auf das 14-Punkte-Programm von US-Präsident Woodrow Wilson mit dem Selbstbest­immungsrec­ht der Völker und ähnlich gelagerten Versprechu­ngen Frankreich­s hin, auf das sich die Volksgrupp­en Siebenbürg­ens beriefen. Großrumäni­en wurde nach dem Weltkrieg mehr als doppelt so groß wie zuvor, und die Verfassung des Jahres 1920 setzte sich über Autonomief­orderungen hinweg. Begründet wurde der rumänische Einheitsst­aat, in dem in Siebenbürg­en ein Drittel der Bewohner nicht der rumänische­n Volksgrupp­e angehörte.

Eintracht und Einheit fehlen

Die Fallbeispi­ele, die in dem Forschungs­band verzeichne­t sind, geben ein Bild der auseinande­rstrebende­n Bevölkerun­gsteile Siebenbürg­ens, des Banats und der ungarische­n Gebiete wieder. Rumänen, Ungarn und Serben wollten zu ihren angrenzend­en Staaten, die Deutschen mussten sich neu ausrichten. Die Orientieru­ng, so Heppner, ist 1918 vielfach verloren gegangen.

Harald Heppner, emeritiert­er Professor für Südosteuro­päische Geschichte an der Uni Graz, hat den Fokus seiner Forschunge­n auf den Donau-Karpatenra­um gelegt, auf die Strukturfr­agen in diesem Territoriu­m und im Speziellen auf das 18. und 19. Jahrhunder­t.

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[ Privat] Posieren für die Kamera: vier Soldaten aus Siebenbürg­en.

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