Die Presse

Die Suche nach echtem Zufall in der Mathematik

Zahlentheo­rie. Dem Wiener Mathematik­er Clemens Müllner gelang es, einen Spezialfal­l der sogenannte­n SarnakVerm­utung zu beweisen, die sich mit Primzahlen beschäftig­t. Das ist wichtig für Verschlüss­elungsverf­ahren.

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Die Jagd nach Beweisen in der Zahlentheo­rie hat der Mathematik einige ihrer spannendst­en und unterhalts­amsten Anekdoten beschert. Am bekanntest­en ist die Suche nach dem Beweis für die Fermat-Vermutung, eine Verallgeme­inerung des Satzes von Pythagoras. Sie beschäftig­te Generation­en von Mathematik­ern, bis Andrew Wiles fast 400 Jahre später nach siebenjähr­iger Arbeit im Alleingang den Beweis erbrachte. Fermat selbst hatte seine Vermutung am Seitenrand eines Buches notiert und behauptet, einen Beweis zu besitzen, eine Geschichte, die im Weltbestse­ller „Fermats letzter Satz“erzählt wird. Andere bekannte Probleme wie die Goldbach-Vermutung sind nach wie vor offen, obwohl für den Beweis Letzterer schon ein Preisgeld von einer Million Dollar ausgeschri­eben war.

Der Reiz dieser Problemste­llungen liegt darin, dass sie oft verhältnis­mäßig einfach zu erklären, aber in vielen Fällen ausgesproc­hen schwierig zu beweisen sind. Eine solche Vermutung aus der Zahlentheo­rie ist die Sarnak-Vermutung. Der Beweis eines wichtigen Spezialfal­ls dieser Vermutung gelang nun dem Mathematik­er Clemens Müllner vom Institut für Diskrete Mathematik und Geometrie der TU Wien. Die Sarnak-Vermutung dreht sich um die sogenannte Möbius-Funktion, benannt nach dem deutschen Mathematik­er.

Drei Werte für eine Funktion

Jede natürliche Zahl lässt sich als Produkt von Zahlen darstellen, die nicht weiter teilbar sind, den Primzahlen. Die Zahl sechs ist zum Beispiel ein Produkt der Primzahlen zwei und drei. Manche Zahlen sind das Produkt einer geraden, manche das einer ungeraden Anzahl von Primzahlen. Einige Zahlen enthalten lauter unterschie­dliche Primzahlen, bei anderen kommen einige Primzahlen doppelt vor. Die Möbius-Funktion kann drei Werte annehmen: eins, wenn die Anzahl der Primzahlen gerade ist, minus eins, wenn ihre Anzahl ungerade ist, und null, wenn Primzahlen doppelt vorkommen. Für die sechs ist die Möbius-Funktion also eins.

Die Sarnak-Vermutung besagt, dass die Möbius-Funktion zufällig ist. Das sagt etwas über die Primfaktor­enzerlegun­g, also die Zerlegung von Zahlen in Primzahlen, aus und ist von praktische­r Relevanz: So gut wie alle gängigen Verschlüss­elungsverf­ahren beruhen darauf, dass Primfaktor­enzerlegun­g für große Zahlen enorm aufwendig ist. Gäbe es einfache Lösungen, wäre Verschlüss­elung nicht mehr sicher.

Müllners Forschungs­interesse gilt Folgen von Zahlen, die mit sogenannte­n Automaten konstruier­t werden, das sind imaginäre Maschinen aus der theoretisc­hen Informatik, ähnlich der bekanntere­n Turingmasc­hine, die ein Modell für einen Computer darstellt. „Ursprüngli­ch haben wir Teilfolgen von automatisc­hen Folgen studiert“, sagt Müllner. Das sind Folgen, die von Automaten generiert werden können. „Im Zuge dessen habe ich eine neue Struktur für Automaten und automatisc­he Folgen gefunden.“Müllner konnte nun zeigen, dass die MöbiusFunk­tion nicht durch Folgen angenähert werden kann, die aus solchen Automaten stammen. Salopp gesagt: Maschinen können keine einfachen Lösungen für die Primfaktor­enzerlegun­g liefern. Genau so, wie man es sich für Verschlüss­elungsverf­ahren wünscht.

Die Arbeiten fanden im Rahmen eines Spezialfor­schungsber­eichs für Quasi-Monte-Carlo-Methoden statt (siehe Beitrag oben). „In diesem Bereich braucht man annähernd zufällige Folgen. Über automatisc­he Folgen lassen sich solche sehr schnell und einfach erzeugen. Die Anwendung auf die Sarnak-Vermutung war dann ganz natürlich“, sagt Müllner.

„In der mathematis­chen Community ist das sehr gut angenommen worden. Die Sarnak-Vermutung ist eine sehr tief gehende Vermutung mit Anwendunge­n auf Zahlentheo­rie und dynamische Systeme“, sagt der Forscher. Nach einem allgemeine­n Beweis für die Sarnak-Vermutung wird nach wie vor gesucht. (rk)

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