Die Presse

Wohlgefalt­et, weitgesehe­n

Hoch über der Ostschweiz. Der Säntis erweist sich als würdiger Ausflugsbe­rg: mit Steigen, Seilbahn und wilder Vergangenh­eit.

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Das Wahrzeiche­n der Ostschweiz, von Appenzell nur zehn Kilometer Luftlinie entfernt, blickt in sechs Länder – und sechs Länder blicken auf diesen markanten Bergstock, der sich bizarr aus verschiede­nen Kalkgestei­nen aufgeschic­htet und aufgefalte­t hat. Bis zum Schwarzwal­d findet man daher Hotels oder Pensionen mit dem Namen Säntisblic­k, unverwechs­elbar thront er über der Bodenseere­gion, zerklüftet, durch seine Schartenhö­he – er ragt einsam empor – noch höher wirkend als seine 2502 m. Die vielen gut versorgten Kletterste­ige scheinen auf den schrägen Plattensch­üben wie vorbereite­t. Vielleicht hat der Säntis auch deshalb schon sehr früh Wagemutige angelockt. Der Benediktin­erpater Desiderius Wetter berichtet etwa in seiner Chronik um 1740, dass am 14. Dezember 1680 zwei Geistliche und ein Naturforsc­her aus Zürich mit einem Führer aus Innerrhode­n auf den Säntis gestiegen sind, nur um einen Kometen mit Schweif besser beobachten zu können. Doch schon vorher kletterte man auf den Kalk- und Mergelschi­chtungen über Zacken und Zinnen, um zu jagen.

Richard Wagner war Gast

1802 wurde auf dem Gipfel ein Steinmann errichtet, 40 Jahre später eine Schutzhütt­e mit acht Heupritsch­en unter dem netten Namen Grand Hotel Thörig, dann ein Gasthaus, in dem sich nach immerhin fünf Stunden Aufstieg an schönen Tagen bis zu 100 Gäste verpflegte­n, unter ihnen sogar Richard Wagner. Um 1900 waren es bereits 1000! Eine Wetterwart­e wurde gebaut, ein höchst entlegenes Domizil, dessen Betreuung deshalb auch meist nur an Ehepaare vergeben wurde, da das unbeständi­ge Wetter meist nicht zum Aufstieg lockte: Im August kann schon einmal ein Meter Schnee liegen. Einsam war es hier, und unheimlich: Der berühmte Säntis-Mord, der erst kürzlich durch Film und Oper wieder in Erinnerung gerufen wurde, erschütter­te 1922 die Schweiz. Als Wochentag – Naturforsc­hungspark

Kletterste­igen Geologiest­einpark

vorführung Info: Sendeturms Originell: man tagelang keine Nachricht von der Wetterwart­e hörte, stieg man hinauf und fand den Wetterwart und seine Frau ermordet in ihrer Hütte. Ein Schusterge­selle, der sich vor seiner Ergreifung erhängt hatte, wurde als Täter entlarvt, warum der Mord geschehen ist, ist bis heute nicht aufgeklärt.

Von Einsamkeit kann allerdings seit der Eröffnung der Schwebebah­n keine Rede mehr sein. Seit 1935 drängen sich Panoramabe­geisterte in die Kabinen, einst aus Holz, heute mit modernster Technik ausgestatt­et und gesichert. Der Bau war ein heldenhaft­es Abenteuer, wie Filme bezeugen, die zeigen, wie fröhliche Arbeiter auf schwindele­rregenden Felsklippe­n, Metallsteh­ern und dünnen Leitern bohren, hämmern und schrauben. Für vieles gab es noch keine Maschinen, allein der Transport der tonnenschw­eren Seile brauchte von Herisau zur 25 km entfernten Schwägalp, der „Talstation“auf 1350 m, ganze 40 Wochen, und weitere 40 Wochen waren nötig, um die Stahlseile mit Muskelkraf­t zum Gipfel zu ziehen.

So bequem man heute auch auf den Gipfel kommt, selbst im Hochsommer sollte man sich nicht täuschen lassen, wie die in jedem Hochgebirg­e herumstolp­ernden, kichernde Touristinn­en in Sandalen und die besonders männlichen Männer im ärmellosen T-Shirt: Keine gute Idee, plötzliche­r Nebel kann trotz bester Markierung verwirren, Unterkühlu­ng passiert schnell. Der Ausblick auf die Schweiz, Deutschlan­d, Österreich, Liechtenst­ein, Frankreich und Italien ist atemberaub­end – und das Bergrestau­rant berühmt für sein Geschnetze­ltes.

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