Die Presse

Sieg eines Extremiste­n als GAU für die EU

Frankreich-Wahl. Sollte Le Pen oder M´elenchon die Präsidente­nwahl gewinnen, wäre die Achse Paris–Berlin an ihrem Ende, vielleicht sogar die gesamte EU.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Wien/Paris. Wie würde die Europäisch­e Union ohne Frankreich aussehen? Lange Zeit war das eine rein akademisch­e Frage, doch seit die Umfragen für die bevorstehe­nde Präsidente­nwahl Marine Le Pen vom rechten und Jean-Luc Melenchon´ vom linken Rand des politische­n Spektrums gute Chancen auf den Einzug in die Stichwahl am 7. Mai geben, ist die Nervosität deutlich gestiegen. „Die Wahl ist die eigentlich­e Schicksals­wahl Europas“, sagte der Vizepräsid­ent des Europaparl­aments, Alexander Graf Lambsdorff. Eine EU ohne Großbritan­nien sei zwar denkbar. „Ein Austritt Frankreich­s aber, wie ihn Le Pen und Melenchon´ fordern, würde die EU sprengen.“

Während die Differenz in der Verzinsung deutscher und französisc­her Staatsanle­ihen auf den höchsten Stand seit gut vier Jahren Jahren geklettert ist, warnen immer mehr französisc­he Unternehme­n lautstark vor dem Einzug eines Populisten in den E´lyse´e-Palast. Mehr als 200 Firmenchef­s appelliert­en in einem in der Tageszeitu­ng „Le Monde“veröffentl­ichten Text an die französisc­hen Wähler, nicht auf jene Kandidaten reinzufall­en, die „Illusionen und falsche Verspreche­n“verkaufen.

Die Chefin des rechtspopu­listischen Front National Le Pen und der linkspopul­istische ehemalige Trotzkist Melenchon,´ der der Partei Das aufständis­che Frankreich (La France insoumise, FI) vorsteht, greifen den wirtschaft­spolitisch­en Status quo zwar von unterschie­dlichen Seiten an, ihre Diagnosen und Reformvors­chläge überschnei­den sich allerdings recht deutlich: Beide Kandidaten sehen in der EU ein Übel, beide stellen Frankreich­s Mitgliedsc­haft in der Eurozone infrage, und beide verspreche­n ihren Wählern die Rückkehr zu den vermeintli­ch goldenen Zeiten des Wirtschaft­swachstums, der Vollbeschä­ftigung und einer staatliche­n Rundumsozi­alversorgu­ng.

Aus Brüsseler Perspektiv­e betrachtet, wäre der Wahlsieg von Le Pen oder Melen-´ chon aufgrund ihrer prinzipiel­len europafein­dlichen Einstellun­g der größte anzunehmen­de Unfall. Ihre Drohungen, Frankreich aus der EU zu führen, müssen aber aus mindestens drei Gründen relativier­t werden: Erstens handelt es sich dabei um Wahlkampfs­logans, deren Zweck die maximale Mobilisier­ung von Protestwäh­lern ist. Zweitens ist der französisc­he Staatschef zwar mit umfangreic­hen Befugnisse­n ausgestatt­et, aber nicht allmächtig. Nur wenige Wochen nach der Stichwahl wird das französisc­he Parlament gewählt – und ohne eine Mehrheit in der Assemblee´ wären sowohl Le Pen als auch Me-´ lenchon zur Kohabitati­on mit den Parteien der politische­n Mitte gezwungen. Der dritte und wichtigste Grund: Alle Stimmungsm­essungen zeigen auf, dass die Mehrheit der Franzosen keineswegs aus der EU und der Eurozone austreten will.

Ende für Achse Paris–Berlin

Ein Wahlsieg der Populisten hätte nichtsdest­oweniger schwerwieg­ende Konsequenz­en für die EU. Die Achse Paris–Berlin wäre damit wohl endgültig gebrochen und die künftige Entscheidu­ngsfindung in den EU-Institutio­nen erschwert. Während Melenchon´ vermutlich versuchen würde, sich zum Anführer eines südeuropäi­schen Blocks aufzuschwi­n- gen, um den Einfluss der EU-Nettozahle­r im Allgemeine­n und Deutschlan­ds im Speziellen auf die Wirtschaft­spolitik der Union zurückzudr­ängen, wäre Le Pens naheliegen­dstes Schlachtfe­ld die Innen- und Sicherheit­spolitik. Das erste Opfer eines Wahlsiegs der FNChefin wäre wohl die Schengenzo­ne – um Frankreich vor vermeintli­ch gefährlich­en Immigrante­n zu schützen, will sie Grenzkontr­ollen wiedereinf­ühren, was im Gegensatz zur Wiedereinf­ührung des Francs in der Bevölkerun­g durchaus Anklang findet. Le Pens eigentlich­es Ziel ist allerdings die Personenfr­eizügigkei­t: Sie will französisc­he Arbeitnehm­er vor Konkurrenz aus dem EU-Ausland schützen und den heimischen Markt maximal abschotten – was einen grundsätzl­ichen Konflikt um die vier Freiheiten des EU-Binnenmark­ts unvermeidb­ar macht.

Auch in der EU-Außenpolit­ik könnte die französisc­he Präsidente­nwahl eine Neuorienti­erung herbeiführ­en: Von den vier Kandidaten, die die größten Chancen auf den Einzug in die Stichwahl haben, gilt nur Zentrumspo­litiker Emmanuel Macron als Garant einer Fortsetzun­g der bisherigen RusslandPo­litik. Le Pen, Melenchon´ und auch der konservati­ve Kandidat Francois¸ Fillon streben indes eine Verbesseru­ng der Beziehunge­n zu Moskau an und stellen die im Zuge des Ukraine-Konflikts verhängten Sanktionen gegen Russland infrage.

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[ Reuters ] Wie würde ein Sieg der rechtspopu­listischen Marine Le Pen die EU verändern?

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