Sieg eines Extremisten als GAU für die EU
Frankreich-Wahl. Sollte Le Pen oder M´elenchon die Präsidentenwahl gewinnen, wäre die Achse Paris–Berlin an ihrem Ende, vielleicht sogar die gesamte EU.
Wien/Paris. Wie würde die Europäische Union ohne Frankreich aussehen? Lange Zeit war das eine rein akademische Frage, doch seit die Umfragen für die bevorstehende Präsidentenwahl Marine Le Pen vom rechten und Jean-Luc Melenchon´ vom linken Rand des politischen Spektrums gute Chancen auf den Einzug in die Stichwahl am 7. Mai geben, ist die Nervosität deutlich gestiegen. „Die Wahl ist die eigentliche Schicksalswahl Europas“, sagte der Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff. Eine EU ohne Großbritannien sei zwar denkbar. „Ein Austritt Frankreichs aber, wie ihn Le Pen und Melenchon´ fordern, würde die EU sprengen.“
Während die Differenz in der Verzinsung deutscher und französischer Staatsanleihen auf den höchsten Stand seit gut vier Jahren Jahren geklettert ist, warnen immer mehr französische Unternehmen lautstark vor dem Einzug eines Populisten in den E´lyse´e-Palast. Mehr als 200 Firmenchefs appellierten in einem in der Tageszeitung „Le Monde“veröffentlichten Text an die französischen Wähler, nicht auf jene Kandidaten reinzufallen, die „Illusionen und falsche Versprechen“verkaufen.
Die Chefin des rechtspopulistischen Front National Le Pen und der linkspopulistische ehemalige Trotzkist Melenchon,´ der der Partei Das aufständische Frankreich (La France insoumise, FI) vorsteht, greifen den wirtschaftspolitischen Status quo zwar von unterschiedlichen Seiten an, ihre Diagnosen und Reformvorschläge überschneiden sich allerdings recht deutlich: Beide Kandidaten sehen in der EU ein Übel, beide stellen Frankreichs Mitgliedschaft in der Eurozone infrage, und beide versprechen ihren Wählern die Rückkehr zu den vermeintlich goldenen Zeiten des Wirtschaftswachstums, der Vollbeschäftigung und einer staatlichen Rundumsozialversorgung.
Aus Brüsseler Perspektive betrachtet, wäre der Wahlsieg von Le Pen oder Melen-´ chon aufgrund ihrer prinzipiellen europafeindlichen Einstellung der größte anzunehmende Unfall. Ihre Drohungen, Frankreich aus der EU zu führen, müssen aber aus mindestens drei Gründen relativiert werden: Erstens handelt es sich dabei um Wahlkampfslogans, deren Zweck die maximale Mobilisierung von Protestwählern ist. Zweitens ist der französische Staatschef zwar mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet, aber nicht allmächtig. Nur wenige Wochen nach der Stichwahl wird das französische Parlament gewählt – und ohne eine Mehrheit in der Assemblee´ wären sowohl Le Pen als auch Me-´ lenchon zur Kohabitation mit den Parteien der politischen Mitte gezwungen. Der dritte und wichtigste Grund: Alle Stimmungsmessungen zeigen auf, dass die Mehrheit der Franzosen keineswegs aus der EU und der Eurozone austreten will.
Ende für Achse Paris–Berlin
Ein Wahlsieg der Populisten hätte nichtsdestoweniger schwerwiegende Konsequenzen für die EU. Die Achse Paris–Berlin wäre damit wohl endgültig gebrochen und die künftige Entscheidungsfindung in den EU-Institutionen erschwert. Während Melenchon´ vermutlich versuchen würde, sich zum Anführer eines südeuropäischen Blocks aufzuschwin- gen, um den Einfluss der EU-Nettozahler im Allgemeinen und Deutschlands im Speziellen auf die Wirtschaftspolitik der Union zurückzudrängen, wäre Le Pens naheliegendstes Schlachtfeld die Innen- und Sicherheitspolitik. Das erste Opfer eines Wahlsiegs der FNChefin wäre wohl die Schengenzone – um Frankreich vor vermeintlich gefährlichen Immigranten zu schützen, will sie Grenzkontrollen wiedereinführen, was im Gegensatz zur Wiedereinführung des Francs in der Bevölkerung durchaus Anklang findet. Le Pens eigentliches Ziel ist allerdings die Personenfreizügigkeit: Sie will französische Arbeitnehmer vor Konkurrenz aus dem EU-Ausland schützen und den heimischen Markt maximal abschotten – was einen grundsätzlichen Konflikt um die vier Freiheiten des EU-Binnenmarkts unvermeidbar macht.
Auch in der EU-Außenpolitik könnte die französische Präsidentenwahl eine Neuorientierung herbeiführen: Von den vier Kandidaten, die die größten Chancen auf den Einzug in die Stichwahl haben, gilt nur Zentrumspolitiker Emmanuel Macron als Garant einer Fortsetzung der bisherigen RusslandPolitik. Le Pen, Melenchon´ und auch der konservative Kandidat Francois¸ Fillon streben indes eine Verbesserung der Beziehungen zu Moskau an und stellen die im Zuge des Ukraine-Konflikts verhängten Sanktionen gegen Russland infrage.