Woran es in Italien krankt
Alitalia. Die Mitarbeiter der ehemaligen Staatsairline Italiens stimmen gegen Reformen. Ein Konkurs dürfte nun unausweichlich sein. Die Fluglinie steht exemplarisch für die Situation in dem Land.
Wien. Es ist eine Entscheidung, die nüchtern betrachtet an Irrsinn grenzt: Um den Abbau von 1600 Mitarbeitern zu verhindern, stimmten die 12.000 Angestellten der ehemaligen italienischen Staatsairline Alitalia am späten Montagabend gegen das Sparpaket, das als einzige Rettung für die wirtschaftlich schwer angeschlagene Fluglinie gilt. Dies, obwohl Italiens Premier, Paolo Gentiloni, schon im Vorfeld klargemacht hatte, dass die Alternative zum Rettungsplan der Konkurs sei. Selbst Gewerkschafter, die den Plan ausverhandelt hatten, sprachen in der Folge von „Selbstmord“.
Der Vorgang weckt Erinnerungen an den vergangenen Dezember, als ein Verfassungsreferendum, das die italienische Politstruktur aufbrechen und das Land reformierbarer machen sollte, ebenfalls von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurde. Alitalia steht exemplarisch für die Misere des gesamten Landes, das trotz jahrelanger Reformbemühungen nach wie vor in vielen entscheidenden Punkten Probleme hat, mit dem Rest Europas mitzuhalten.
Produktivität
Zuletzt kann Italiens Wirtschaft zwar wieder ein jährliches Plus von rund einem Prozent vorweisen. Seit Beginn der Krise ist das BIP jedoch um zehn Prozent gefallen und liegt heute auf dem Niveau von 1997. Die „chronisch schwache Produktivität“der italienischen Wirtschaft sei nach wie vor das Hauptproblem der viertgrößten Volkswirt- schaft Europas, schreibt die OECD in ihrem jüngsten Bericht über Italien. So wie die Alitalia sind auch in vielen anderen Branchen italienische Hersteller schlicht zu teuer für ihre erbrachten Leistungen. Die Bürokratie ist zu groß und das regulatorische Umfeld zu eng, damit sich junge, innovative Industrien entwickeln können, so die OECD weiter. Zudem war Italien über Jahrzehnte daran gewöhnt, dies durch eine Abwertung der Lira ausgleichen zu können. Wie stark dieser Effekt einst war, zeigt ein Blick zur Rezession von 1992/93. Damals stiegen die Exporte in der Erholungsphase innerhalb von eineinhalb Jahren um 20 Prozent an. Zum Vergleich: Seit Anfang 2015 erhöhten sich Italiens Exporte nur um knapp vier Prozent.
Arbeitsmarkt
Eng verknüpft mit der schwachen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist die hohe Arbeitslosigkeit. Zuletzt sank die Quote zwar leicht auf zwölf Prozent, sie liegt damit aber immer noch weit über dem OECD-Schnitt von knapp über sechs Prozent. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist mit fast 40 Prozent ein Problem. Und selbst wenn es neue Jobs gibt, sind diese in der Regel nur befristet. Der ehemalige Premier Matteo Renzi wollte dies mit einer Reform im Jahr 2015 verändern, es wurden Ausnahmen bei den Sozialversicherungsbeiträgen eingeführt. Zeitweise stieg die Zahl der unbefristeten Verträge unter den neuen Jobs von 26 auf 36 Prozent. 2016 wurden diese Ausnahmen zum Teil jedoch wieder zurückgenommen.
Bankensystem
Es ist das Damoklesschwert über der gesamten italienischen Wirtschaft. Die italienischen Banken haben Kredite im Ausmaß von 360 Milliarden Euro in ihren Büchern stehen, die laut der Definition der EZB notleidend sind. Kommt es hier zu Ausfällen auf breiterer Front, etwa in Form eines neuerlichen Abtauchens in die Rezession, wären staatliche Hilfen im Ausmaß von geschätzten 50 Milliarden notwendig. Für das mit 132 Prozent des BIPs verschuldete Land eine nur schwer zu stemmende Aufgabe.
Reformwille
Reformen umzusetzen ist überall schwierig, in Italien jedoch besonders. Die Gewerkschaften sind streikfreudig, der starke Senat blockiert vieles. Letzteres hätte durch die Verfassungsreform geändert werden sollen – sie wurde vom Volk abgelehnt. Erst wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, gibt es Fortschritte. Dann sogar auch mehr, als man erwarten würde. So verabschiedete die Technokratenregierung von Mario Monti 2011 eine radikale Pensionsreform, um den Staatsbankrott abzuwenden. Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter stieg schlagartig von 60 auf 66 Jahre. Die staatlichen Ausgaben werden künftig sogar sinken. Signifikant spürbar wird das allerdings erst ab 2040.