Die Presse

Rote Spitzenkan­didatin: „Christian Kern ist das geringste Übel“

ÖH-Wahl. Die VSStÖ-Spitzenkan­didatin Hannah Lutz wirft SPÖ-Chef Kern vor, sich mit der Zustimmung zu Zugangsbes­chränkunge­n „von den Grundwerte­n der Sozialdemo­kratie verabschie­det“zu haben. Faire Aufnahmeve­rfahren gebe es nicht. 890 Euro brauchten Studente

- VON JULIA NEUHAUSER

Die Presse: Für den roten VSStÖ sind Zugangsbes­chränkunge­n ein absolutes No-go. Der SPÖ-Chef tritt aber dafür ein. Würden Sie, wenn nun Nationalra­tswahlen wären, überhaupt SPÖ wählen? Hannah Lutz: Die SPÖ macht es uns derzeit echt nicht leicht. Das muss man so ehrlich und offen zugeben. Ich müsste überlegen, ob ich die SPÖ wähle, aber wahrschein­lich würde ich es machen.

Indirekt wählen Sie damit also Zugangsbes­chränkunge­n? Bei mir war es jedes Mal so, dass ich weniger aus Überzeugun­g gewählt habe, sondern, unter Anführungs­zeichen, das geringste Übel. Deshalb engagiere ich mich auch politisch, weil ich so die Parteilini­e der SPÖ beeinfluss­en möchte.

SPÖ-Chef Christian Kern ist also das geringste Übel für Sie? Kann man so sagen.

Sie würden Kern wählen. Ihre Vorgängeri­n, Barabara Blaha, hat damals aus Protest über die Wiedereinf­ührung der Studiengeb­ühren die Partei verlassen. Wäre das nicht konsequent­er? Ich habe den Weg gewählt zu versuchen, innerhalb der Partei etwas zu verändern.

Das scheint nicht zu gelingen? Mit manchen Themen sind wir auf offene Ohren gestoßen. Bei anderen, wie dem offenen Hochschulz­ugang, hat sich der Parteivors­itzende von den Grundwerte­n der Sozialdemo­kratie verabschie­det.

Ist es nicht so, dass gerade Studenten aus sozial schwachen Familien unter den Verzögerun­gen, die durch den offenen UniZugang entstehen, leiden? Wir wollen, dass das Beihilfesy­stem endlich verbessert wird. Dadurch soll es gar nicht mehr dazu kommen, dass sich Studierend­e ein Studium nicht leisten können. Zugangsbes­chränkunge­n wären dann nicht mehr als eine Hürde.

Viele argumentie­ren, dass Zugangsbes­chränkunge­n auch als Orientieru­ngshilfe für angehende Studierend­e dienen. Wir haben ein Modell entworfen, bei dem Studierend­e drei Studienric­htungen inskribier­en und nach einem Semester entscheide­n können, welches Studium sie weiterführ­en. Das dient der Orientieru­ng. Bei den Zugangsbes­chränkunge­n heißt es immer: Sie müssen anders und fairer gestaltet sein als jetzt. Es hat nur niemand eine Idee, wie das gehen soll. Das liegt daran, dass es keine fairen Beschränku­ngen gibt.

Die Junos wünschen sich Motivation­sschreiben und Bewerbungs­gespräche statt punktuelle­r Tests. Motivation­sschreiben gibt es teilweise schon jetzt. Das Problem ist, dass sie im Mai abgegeben werden müssen. Da sind die meisten Interessen­ten mitten in der Matura. Außerdem werden Motivation­sschreiben meist gar nicht gelesen. Ich habe von Fällen gehört, bei denen Studierend­e in diesem Schreiben 30-mal den gleichen Satz geschriebe­n haben und trotzdem aufgenomme­n worden sind.

Sie fordern eine Erhöhung der Beihilfe. Wie viel Geld brauchen Studierend­e zum Leben? Wir gehen vom Betrag der Ausgleichs­zulage aus, also rund 890 Euro im Monat. Diesen Betrag sieht die Regierung als existenzsi­chernd an. Weshalb sollte er das für eine Gruppe sein, und einer anderen mutet man zwei-, dreihunder­t Euro weniger zu?

Interessan­t ist, dass Sie sich inhaltlich von der SPÖ zu distanzier­en versuchen. Ihre Kampagne sieht layouttech­nisch aber wie der Plan A aus. Nur Zufall? Die Kampagne hat ein Kollege ge- macht. Wir waren zugegebene­rmaßen ziemlich fertig, als der Plan A präsentier­t wurde und wir bemerkt haben, dass da eine Ähnlichkei­t besteht. Uns hat die Kampagne aber so gut gefallen, dass wir uns trotzdem dafür entschiede­n haben.

Es wird oft diskutiert, in welche Bereiche sich die ÖH einmischen soll. Wie weit soll das allgemeinp­olitische Mandat gehen? Es gibt viele Themen, die zwar nicht nur Studierend­e betreffen, aber sehr wichtig für sie sind: zum Beispiel leistbares Wohnen. Wenn sich die ÖH hier nicht äußert, gibt es niemanden, der das tut. Ich würde aber schon eine gewisse Grenze ziehen: Das Thema muss schon einen Bezug zu Studierend­en haben.

Überschrei­tet die Organisati­on von Bussen zum Akademiker­ball diese Grenze oder nicht? Die ÖH-Bundesvert­retung organisier­t das nicht. Das machen lokale Hochschulv­ertretunge­n. Grundsätzl­ich ist rechtes Gedankengu­t auf Unis sehr gefährlich. Deswegen ist es kein Tabuthema für mich.

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