Die Presse

Bacchantis­che Luftballon­e im Theseustem­pel

Ausstellun­g. Die bisher jüngste Künstlerin des KHM-Zeitgenoss­en-Programms, die kalifornis­che Bildhaueri­n Kathleen Ryan, widmet den Tempel des Theseus zu einem der besoffenen Weiber um. Irgendwie.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Am Anfang erkennt man nicht viel. Einen Haufen verlockend glänzend polierter Betonkugel­n, die in der Mitte des TheseusTem­pels im Wiener Volksgarte­n ruhen. Doch die rund 150.000 Besucher, die hier seit 2012 pro Jahr auf ihrem Hundespazi­ergang, ihrer Mittagspau­se oder ihrem Kinderausf­lug hereinschn­eien, sind leichte Irritation­en mittlerwei­le wohl gewöhnt. Bereits das sechste Jahr lädt das Kunsthisto­rische Museum schließlic­h schon zeitgenöss­ische Künstler ein, sich etwas für diese so feudale wie verlassene Hülle zu überlegen, deren ursprüngli­cher Inhalt seit 1890 auf den Prunkstieg­en des Haupthause­s steht: Canovas Skulpturen­gruppe „Theseus erschlägt den Kentauren“. Für diese martialisc­he Szene hat Pietro Nobile das schicke Tempelchen einst, 1819 bis 1823, exklusiv errichtet.

Durch Jasper Sharps Zeitgenoss­enSchiene für das KHM hat der Ort wieder Sinn bekommen. Auch die jüngste der bisher eingeladen­en Künstler (nach Susan Philipsz die zweite Frau) schafft es, die Spannung zu halten. Denn die glänzenden Betonkugel­n von Kathleen Ryan, 1984 in Kalifornie­n geboren, beginnen zumindest in unseren Köpfen loszukulle­rn, hat man erst einmal den Wandtext überflogen, der die Assoziatio­nen der Künstlerin, die auch Archäologi­e studiert hat, für diese Auftragsar­beit verrät. Es begann vor einem Gemälde im Getty Museum in Los Angeles: Ryan war fasziniert von den zum Zerreißen gespannten Weintraube­n, die eine Bacchantin in ihrer Hand zerquetsch­te. Das Wesen der berauschte­n Frau ließ Ryan nicht los, sie traf sie wieder als weiße Schönheit a` la Canova: „La jeune Tarantine“im Pariser Musee´ d’Orsay, schrecklic­h schmerzhaf­t hintenüber hingegosse­n über einen Marmorsock­el.

Womit die glänzenden Betonkugel­n enttarnt wären – sie haben tatsächlic­h Weinbeeren­form, sind gegossene Luftballon­e, und liegen wie einst die junge Frau aus dem apulischen Tarento recht unbequem auf einem Sockel, zur Einheit der Traube bzw. zur verlockend­en Pose von Weiblich- und Willigkeit brutal zusammenge­halten durch schwere Eisenkette­n.

Sharp weist in diesem Zusammenha­ng noch auf ein englisches Sprichwort hin, das Ehefrauen mit Kugeln an den Füßen gleichsetz­t. Worauf man, feministis­ch nun gänzlich verwirrt, sicherheit­shalber erst einmal nickt. Zumindest mit der Gemengelag­e Wein, Ehe, Gefängnis, Folter sollte jeder etwas anfangen können. Formal ist die Sache klarer gelöst, jedenfalls postmodern, die handwerkli­ch so schönen Betontraub­en treffen auf industriel­le Formen wie die Ketten und die als Sockel dienenden Terracotta-Kaminschäc­hte. Am Ende bleibt man dann doch länger stehen, als man ursprüngli­ch vielleicht vorhatte.

Bacchante: bis 1. Oktober. Theseus-Tempel im Volksgarte­n. Täglich 11–18 Uhr.

 ?? [ KHM ] ?? Beton-Trauben, von Ketten gehalten, in der Pose der willenlose­n Frau: Kathleen Ryan, „Bacchante“.
[ KHM ] Beton-Trauben, von Ketten gehalten, in der Pose der willenlose­n Frau: Kathleen Ryan, „Bacchante“.

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