Konzerthaus: Bartoks´ Violakonzert als Höhepunkt
Das London Symphony Orchestra mit einem entfesselten Antoine Tamestit.
Zuweilen zerfallen Abende in zwei ungleiche Hälften. Etwa dieser Auftritt des London Symphony Orchestra im Großen Saal des Wiener Konzerthauses. Gekommen war das prominenteste der Londoner Orchester, das dabei zeigte, dass es von seinen einstigen Glanzzeiten, die es unter Previn, Davis und Abbado erlebte, um einiges entfernt ist. Es dirigierte der Kölner Gürzenich-Kapellmeister Francois-¸Xavier Roth: Alles andere als ein Pultstar, erinnert er in seiner unprätentiösen Sachlichkeit an Pierre Boulez. Sein Interesse gilt der Struktur eines Werks, weniger dem Klang. Daran ließ er schon in seiner auf größte Transparenz zielenden Darstellung von Debussys „Prelude´ a` l’apr`es-midi d’un faune“keinen Zweifel. Der Charme, auch der irisierende Glanz dieser Musik blieb meist auf der Strecke.
Die Welt Bartoks´ liegt dem aus Paris stammenden Dirigenten mehr. Diesfalls dem unvollendet hinterlassenen, von Tibor Serly vollendeten einzigen Violakonzert. Musiziert man es so durchsichtig, ergeben sich die thematischen Zusammenhänge der Abschnitte von selbst. Noch dazu, wenn man ein Gespür für Bartoks´ Rhythmen hat – und Roth hat es, allerdings hatte er auch das Privileg, einen außerordentlichen Solisten zu begleiten: Antoine Tamestit, Meisterschüler von Tabea Zimmermann, längst einer der führenden Vertreter seines Instruments.
Bewundernswert, wie er diese technisch schwierige, musikalisch komplexe Partitur verinnerlicht hat. Er berücksichtigte jedes Detail, zeigte ein weites dynamisches Spektrum, ließ sich selbst von den vertracktesten Passagen nie aus der Ruhe bringen. Was auch deswegen nicht nötig war, weil ihm Dirigent und Orchester einen Klangteppich vom Feinsten legten. Für den Applaus bedankte er sich wieder mit Bartok,´ mit einem der 44 Duos für zwei Violinen (in einer Version für Violine und Viola), der Konzertmeister der Londoner war da ein idealer Partner.
Bruckner: Wenig romantisch
Dass Roths Interesse vorrangig alter und neuer Musik, kaum der Romantik gilt, zeigte Bruckners vierte Symphonie. Dass sie den Beinamen „Romantische“trägt, machte Roths Interpretation nicht hörbar, dazu kamen Irritationen bei den Bläsern, unterschiedlich kantabler Streicherklang und zu ausführliche Tempi. So klar und scharf er die Konturen herausmeißeln ließ, so wenig Gefühl zeigte er für die melodischen Bögen, erfüllte sie selten mit Spannung. Das Trio des Scherzos wiederum nahm Züge eines harmlosen Albumblatts an.