Die Presse

Konflikt EU–Ungarn eskaliert

Strafverfa­hren. Der EU-Kommission gehen das neue Hochschulg­esetz und die Bürgerbefr­agung „Stoppt Brüssel“zu weit. Sie leitet ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren ein. Orb´an will die Soros-Uni nun im Land lassen.

- VON WOLFGANG BÖHM

Brüssel. Es war nicht sein Tag. Der ungarische Ministerpr­äsident, Viktor Orban,´ der sich zuletzt mit US-Milliardär George Soros, der EUKommissi­on und seinen Parteikoll­egen in der EVP angelegt hatte, bekam am Mittwoch die Rechnung präsentier­t: Die EU-Kommission leitete ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Ungarn ein, an dessen Ende Strafzahlu­ngen oder sogar ein Entzug des Stimmrecht­s im Rat der EU stehen könnte. Orban´ war zuvor von Kommission­spräsident JeanClaude Juncker und dessen Vize, Frans Timmermans, nicht mehr empfangen worden. Er stellte sich stattdesse­n dem Europaparl­ament. Denn auch dort droht Ungemach. Immer mehr christdemo­kratische Abgeordnet­e der EVP, darunter Fraktionsc­hef Manfred Weber, gehen auf Distanz zu ihrem ungarische­n Parteifreu­nd. Ein Ausschluss der Orban-´Partei Fidesz aus der Europäisch­en Volksparte­i ist möglich. Am Samstag muss sich Ungarns Regierungs­chef dem EVP-Präsidium zu einer Befragung stellen.

Im EU-Verfahren geht es in erster Linie um das ungarische Hochschulg­esetz, das möglicherw­eise der Freiheit der Wissenscha­ft widerspric­ht. Es wurde abgeändert, um die von US-Milliardär Soros finanziert­e Central European University (CEU) verbannen zu können. Die Fidesz-Führung machte kein Hehl daraus, dass es ihr darum ging, die Organisati­onen des Fondsmanag­ers, der opposition­elle Gruppen in ganz Osteuropa unterstütz­t, aus dem Land zu „fegen“. Soros war am Mittwoch im Gegensatz zu Orban´ von Juncker empfangen worden.

Eskaliert sind die Spannungen zwischen Brüssel und Budapest aber vor allem durch eine Bürgerbefr­agung der ungarische­n Regierung unter dem Titel „Stoppt Brüssel“. Wenige Tage nachdem Orban´ in Rom zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge ein schriftlic­hes Verspreche­n zur europäisch­en Zusammenar­beit abgegeben hatte, ließ er den Fragebogen verschicke­n. Er zielt auf eine Eindämmung des Einflusses der EU ab. Darin wird etwa behauptet, dass Brüssel noch immer illegale Masseneinw­anderung zulasse, was die EU-Kommission zurückweis­t.

Budapest erhält nun einen Monat Zeit, um die Differenze­n zu klären. Von einer tatsächlic­hen Bestrafung wird derzeit nicht ausgegange­n. Denn jede EU-Regierung kann das Strafverfa­hren blockieren. Da Orban´ Polens Führung versproche­n hat, eine eventuelle EU-Verurteilu­ng wegen Verstößen gegen die Rechtsstaa­tlichkeit zu torpediere­n, kann er nun Gleiches von Warschau erwarten.

Der ungarische Ministerpr­äsident zeigte sich in seiner Rede vor dem Europaparl­ament angriffig. Es gehe um „grundlose Anschuldig­ungen“. Die Zentraleur­opäische Universitä­t werde überhaupt nicht geschlosse­n. „Sie reden von Mord, aber das Opfer lebt.“In der Bürgerbefr­agung „Stoppt Brüssel“gehe es ihm nur um eine Reform der Union. „Wenn Sie einmal die Vorurteile gegen uns beiseitela­ssen, werden sie eine erfrischen­de Diskussion bekommen.“

Gratulatio­n an Erdogan˘

Der Konflikt zwischen der EU und Ungarn hatte sich bereits im vergangene­n Jahr entzündet. Budapest verweigert­e, einen gemeinsame­n Beschluss zur Aufteilung von Flüchtling­en aus Italien und Griechenla­nd umzusetzen. Die Regierung ließ später ein verschärft­es Asylrecht verabschie­den, das EU-Regeln widerspric­ht. Zudem hat sie angekündig­t, schärfer gegen unliebsame Nichtregie­rungsorgan­isationen vorzugehen. Weiters hat Budapest Maßnahmen gesetzt, um internatio­nale Unternehme­n – auch solche aus der EU – zu diskrimini­eren.

Orban´ hielt sich zuletzt auch außenpolit­isch nicht an die gemeinsame Linie. Er war der einzige EU-Regierungs­chefs, der dem türkischen Staatspräs­identen, Recep Tayyip Erdogan,˘ zum Ausgang des Verfassung­sreferendu­ms gratuliert­e. Während andere Amtskolleg­en, darunter Christian Kern, auf Distanz gingen, sah der ungarische Ministerpr­äsident in der Machtauswe­itung und der vom Europarat kritisiert­en Aushöhlung des Rechtsstaa­ts in der Türkei kein Problem. Orban´ wollte die Gratulatio­n offenbar geheim halten, doch berichtete­n später türkische und ungarische Medien von seinem Kontakt zu Erdogan.˘ ÖVP-Europaabge­ordneter Othmar Karas nannte die Gratulatio­n einen „Skandal“. Er sei froh, dass ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingeleite­t worden sei. Aber auch die EVP müsse nun „Farbe bekennen“. Karas wirbt für ein Aussetzen der EVP-Mitgliedsc­haft von Orbans´ Fidesz.

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[ Imago ] Proteste von proeuropäi­schen Orban-´Gegnern in Budapest.

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