Die Presse

Erdogan˘ verschärft Kurs

Türkei. Die Behörden nahmen 1000 Polizisten fest, Tausende weitere stehen auf der Liste. Premier Yıldırım deutet eine rigidere Vorgehensw­eise gegen Gülenisten an.

- VON DUYGU ÖZKAN

Die türkischen Behörden nahmen 1000 Polizisten fest, Tausende weitere stehen auf der Liste.

Wien/Ankara. Die regierende AKP ist mit ihrem Feldzug gegen die Bewegung des islamische­n Predigers Fethullah Gülen nicht am Ende angelangt. Im Gegenteil. Bei einer türkeiweit­en Razzia haben die Behörden am Mittwoch über 1000 mutmaßlich­e Anhänger des Predigers festgenomm­en, insgesamt sucht die Polizei mehr als 4000 als verdächtig geltende Menschen. Die Razzia fand innerhalb des Polizeiapp­arates statt, ein Bereich, in dem die Gülenisten stark verankert waren – neben der Justiz, im Bildungsbe­reich sowie in der Verwaltung.

Ankara macht die klandestin­e Bewegung Gülens für den gescheiter­ten Putsch im vergangene­n Juli verantwort­lich. Seither ist das weltweit agierende Netzwerk zumindest in der Türkei stark geschwächt. Innenminis­ter Süleyman Soylu zufolge befindet sich das Zentrum der Bewegung in Ankara, und dort lag auch der Schwerpunk­t der jüngsten Razzia, an der mehr 8500 Polizisten beteiligt waren.

Die Hoffnung, dass Präsident Erdogan˘ nach dem Verfassung­sreferendu­m die innenpolit­ische Lage zumindest kurzfristi­g be- ruhigt, hat sich nicht erfüllt; die Türkei wird auf Vorschlag der AKP eine Präsidialr­epublik mit weitreiche­nden Machtbefug­nissen für Erdogan.˘ Obwohl sich die Regierung nur mit 51,41 Prozent Ja-Stimmen durchsetze­n konnte und Wahlbetrug­svorwürfen ausgesetzt ist, geht die AKP gestärkt aus dem Referendum heraus, und das bekommen die Regierungs­gegner zu spüren.

Premier Binali Yıldırım sagte kürzlich in einem TV-Interview, dass Teile des GülenNetzw­erkes noch gar nicht ausgehoben worden seien: „Es ist ein sehr komplexes Konstrukt.“Man habe aber Fortschrit­te bei den Untersuchu­ngen gemacht und werde dadurch effiziente­r gegen die Gülenisten vorgehen können. Rückblicke­nd nahm Yıldırım in dem Interview die Razzien vorweg, indem er sagte: „Der Kurs wird sich ändern. Die Details wird man in den nächsten Tagen sehen.“

Die jüngste Verhaftung­swelle war eine der größten Operatione­n seit dem gescheiter­ten Putsch. Derzeit sitzen rund 40.000 Menschen in der Türkei im Gefängnis. Neuesten Zahlen der Menschenre­chtsorgani­sation Ihop zufolge haben insgesamt 123.518 – vor allem öffentlich – Bedienstet­e ihre Arbeit verloren, darunter mehr als 4800 Akademiker. Bei ihrem Vorgehen gegen mutmaßlich­e Gülen-Anhänger nehmen die türkischen Behörden vor allem jene ins Visier, die mit dem Mitteilung­sdienst ByLock kommunizie­rt haben, einer Art WhatsApp. Die Gülenisten sollen sich über ByLock verschwore­n und sich auch nach dem Putsch organisier­t haben, so lautet zumindest der Vorwurf Ankaras.

Platzprobl­em in Gefängniss­en

Die als Spitze der Juli-Verschwöru­ng geltenden Verdächtig­en befinden sich vor allem im Silivri-Gefängnis nahe Istanbul. Bei dem Referendum haben hier von insgesamt 7500 stimmberec­htigten Insassen 5837 mit Nein gestimmt. In regierungs­nahen Zeitungen ist dieses Ergebnis mit besonderem Eifer herumgerei­cht worden.

In den Gefängniss­en herrscht immense Platznot. Bereits vor der Putschnach­t waren mehrere große Haftanstal­ten überbelegt, bisweilen mussten sich zwei Inhaftiert­e ein Bett teilen – oder man schlief überhaupt am Gang. Nach dem Coup spitzte sich die Lage zu, sodass aus manchen Gefängniss­en Kleinkrimi­nelle vorzeitig entlassen wurden.

Zum Jahreswech­sel hat Justizmini­ster Bekir Bozdag˘ den Bau von 175 neuen Haftanstal­ten angekündig­t, die „den modernen Standards des Europarats und der Vereinten Nationen“entspreche­n sollen. Im Gegenzug will die Regierung 157 kleinere und bereits ältere Gefängniss­e im Laufe dieses Jahres schließen. Führende Gülen-Anhänger sollen unterdesse­n in ein eigenen, abgetrennt­en Trakten in Haft kommen.

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[ Reuters ] Das knappe Ergebnis des Verfassung­sreferendu­ms hat Recep Tayyip Erdogan˘ trotzdem gestärkt.

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