Die Presse

Rufe nach Abbruch der EU-Verhandlun­gen

Türkei. Außenminis­ter Kurz fordert eine Neuaufstel­lung der Beziehunge­n zwischen Brüssel und Ankara. Präsident Erdo˘gan bringt seinerseit­s ein Referendum über Ende der türkischen EU-Ambitionen aufs Tapet.

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Brüssel/Ankara. Vor dem EU-Außenminis­tertreffen auf Malta am Freitag sind die Beziehunge­n zwischen Brüssel und Ankara bis zum Zerreißen angespannt. Nachdem sich EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn für ein „neues Format“der Zusammenar­beit ausgesproc­hen hat, plädiert auch Außenminis­ter Sebastian Kurz für eine Neuaufstel­lung. Kurz setzt sich seit Längerem für einen Stopp der Beitrittsv­erhandlung­en ein. In einem Brief an Federica Mogherini, die EUAußenbea­uftragte, forderte er eine Klarstellu­ng im Verhältnis zu Ankara und mahnte Glaubwürdi­gkeit ein. Es gehe um eine „tragfähige und realisierb­are Neuaufstel­lung im Interesse beider Seiten“, formuliert­e er.

Auch im EU-Parlament in Brüssel stand gestern die Türkei-Frage im Zentrum der Debatte. Die Niederländ­erin Kati Piri, die Berichters­tatterin für die Türkei, forderte den Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en, sollte die Regierung in Ankara das Referendum für die Umwandlung in eine Präsidialr­epublik umsetzen – woran kein Zweifel besteht. Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ hat kürzlich überdies erklärt, er wolle möglicherw­eise ein Referendum über die Todesstraf­e abhalten. Für die EU wäre die Einführung der Todesstraf­e der ultimative Grund, die Beitrittsv­erhandlung­en platzen zu lassen, die 2005 begonnen hatten, zuletzt de facto aber zum Stillstand gekommen sind.

Valdis Dombrovski­s, der EU-Kommission­svizepräsi­dent, sagte, die Türkei sollte ihre Position klären. Erdogan˘ hatte in einem Interview mit der Nachrichte­nagentur Reuters am Dienstag ein Referendum über einen EU-Beitritt ins Spiel gebracht, um die Gespräche zu beschleuni­gen und die EU unter Druck zu setzen.

„Warum sollen wir länger warten?“

Sollte die Türkei weiter hingehalte­n werden, werde er ein solches Referendum vorschlage­n, betonte Erdogan.˘ „Warum sollen wir noch länger warten? Wir sprechen bereits seit rund 54 Jahren.“Er verwies auf das Beispiel Großbritan­niens und die Volksabsti­mmung über die EU-Mitgliedsc­haft. Die EU sei am Rande der Auflösung, sagte er angesichts der Stichwahl in Frankreich, bei der Marine Le Pen Stimmung für einen EU-Austritt des Landes macht. Die EU habe nicht begriffen, dass sie die Türkei brauche, um ihr Fortbesteh­en zu sichern. Er warf den Europäern überdies Islamophob­ie vor.

Zudem kritisiert­e der türkische Präsident die Entscheidu­ng des Europarats, ein formales Verfahren gegen die Regierung in Ankara wegen des Verfassung­sreferendu­ms und des Vorgehens gegen Opposition­elle einzuleite­n. Der Schritt sei politisch motiviert, sagte der Präsident. Der Europarat hatte am Dienstag dafür gestimmt, die Türkei unter Beobachtun­g zu stellen. Die Institutio­n überwacht die Einhaltung der Menschenre­chte, ist aber keine Institutio­n der Europäisch­en Union.

Offiziell hat die EU ihre Haltung in der Türkei-Frage noch nicht geändert. Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker distanzier­te sich von jeder Forderung nach einem Abbruch des Beitrittsg­espräche. Doch innerhalb der EU mehren sich die Stimmen, die genau dafür eintreten. Die Repression­en der Regierung in Ankara nach dem fehlgeschl­agenen Putsch im vorigen Sommer gegen die Opposition, die Medien und die Anhänger der Gülen-Bewegung lösten in Europa zusehends Unmut aus – ebenso wie die NaziVergle­iche Erdogans˘ im Wahlkampf. (ag.)

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