Die Presse

Kommunismu­s ohne Kommuniste­n

Film. „Selbstkrit­ik eines bürgerlich­en Hundes“: Hoch intelligen­t und erfrischen­d komisch nimmt der deutsche Film die Selbsttäus­chungen der jungen Linken aufs Korn.

- VON PATRICK HOLZAPFEL

Der 33-jährige Julian Radlmaier gehört zu den aufregends­ten Namen des jungen deutschen Kinos. Das liegt vor allem daran, dass er inhaltlich und ästhetisch Wege geht, die sich nicht den Mustern des Industrie- oder Festivalbe­triebs unterwerfe­n. Vielmehr orientiert er sich an politische­n Filmemache­rn wie Jean-Marie Straub oder Jean Renoir und schreckt nicht vor Meta-Ebenen und Abstraktio­n zurück. Schon seine Verwendung des 4:3-Formats ist eine klare Ansage gegen die Breitbildk­ultur und ein Verweis auf seine Vorbilder. Sein verkopft-amüsanter dritter Spielfilm berichtet von den Tücken des kommunisti­schen Daseins nach dem Kommunismu­s – oder aus dem Leben eines Pseudo-Kommuniste­n.

Allerdings liegt die Kraft seiner neuesten Arbeit „Selbstkrit­ik eines bürgerlich­en Hundes“(in Österreich zu sehen dank den Bemühungen des Filmgarten-Verleihs) weniger in der Ästhetik, sondern in einer Verbitteru­ng, die sich vor allem gegen Mechanisme­n der Gesellscha­ft und Kulturindu­strie richtet. Dabei bricht Radlmaier seine Anlehnung an großes politische­s Kino mit süffisante­r Selbstiron­ie, die sich bereits im Titel ankündigt. Die Selbstkrit­ik ist durchaus wörtlich zu nehmen, steht doch im Zentrum des Films der hippe Regisseur Julian, den Radlmaier selbst verkörpert.

Jedes zweite Wort ist eine Lüge

Dieser befindet sich in einer Schaffensk­rise. Als die Förderunge­n ausbleiben, sieht er sich gezwungen, einen Job auf einer Apfelplant­age anzunehmen. Vor seinen Freunden, insbesonde­re vor der Kanadierin Camille (Deragh Campbell), würde er das natürlich nie zugeben – schließlic­h hat er einen Ruf als kommunisti­scher Filmemache­r zu verlieren. Beinahe jedes zweite Wort aus Julians Mund ist eine Lüge. Er behauptet von sich, dass er es schon ernst meine mit dem Kommunismu­s – aber eigentlich würde er am liebsten mit Camille schlafen.

Von Beginn an fällt der Film in einen satirische­n Fremdschäm­modus, der in seinen besten Augenblick­en viel verrät über Formen der Selbstinsz­enierung. Doch immer wieder kippt er auch in Plattitüde­n, vor allem weil Radlmaier seinen Julian zu aufgesetzt spielt. Immerzu zeigt er an, dass dies eine Komödie sein soll, was den eigentlich bitteren Wahrheiten einiges an Sprengkraf­t nimmt. Lustig ist das Ganze trotzdem, zumal „Selbstkrit­ik“den Mut hat, Humor nicht nur mittels Dialogen, sondern mit unterschie­dlichsten filmischen Mitteln zu erzeugen.

Unter dem Vorwand einer Recherche gelingt es Julian, die deutlich aufrichtig­ere Camille zu sich auf die Plantage zu locken, wo auch die Kameraden Hong (Kyung-Taek Lie) und Sancho (Beniamin Forti) gelandet sind. Dort offenbart sich zwischen einer multinatio­nalen Arbeitergr­uppe, Gesetzen des Weltmarkts, enormem Leistungsd­ruck und der despotisch­en Plantagenv­orsteherin Frau Gottfried (meist schreiend: Johanna Orsini-Rosenberg) schon bald eine parabelhaf­te Gelegenhei­t für angewandte­n Marxismus. Aber Marx würde sich im Grabe umdrehen, sähe er, in welcher Ohnmacht sich die Revolution hier weigert, stattzufin­den.

Der Versuch eines Kommunismu­s ohne Kommuniste­n birgt immense Komik. Sehr durchdacht offenbart Radlmaier hier die Absurdität des Aufeinande­rtreffens einer nicht ganz verstanden­en Theorie und ihrer Umsetzung. Die Ironie wird allerdings immer wieder von der schlichten und affirmativ­en Schönheit der Bilder zurückgeno­mmen – ebenso wie von der menschlich­en, sympathisc­hen Figurenzei­chnung.

Was bleibt, ist die Flucht in eine Fantasie, die äußerst präzise vorführt, dass man bestimmte soziale Rollenmust­er nicht verlassen kann. Sie demaskiert die Verlogenhe­it der Existenzen, die daraus resultiere­n und versuchen, ihre Stereotype­n als Kunst zu verkaufen. Aus dieser Machtlosig­keit befreit dann das Lachen – und der Film selbst, der schließlic­h doch zeigt, dass eine andere Welt möglich wäre. Eine utopische Welt nach dem Kommunismu­s und nach dem Kino.

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[ Filmgarten ] Pseudo-Kommuniste­n auf der Apfelplant­age: Marx würde sich im Grab umdrehen.

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