Die Presse

Hinweis bei lästiger Anbiederun­g: „Du kannst ruhig Sie zu mir sagen!“

Egal, ob Ikea, Airbnb oder Google Nobelpreis­träger, Einfaltspi­nsel oder mich zum Adressaten haben: Sie duzen diese. Das ist einfach nur erbärmlich stillos.

- VON RUDOLF TASCHNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Google ist mit mir per Du! Der hochmögend­e Konzern mit einem Marktwert von mehr als 150 Milliarden Dollar, vor dessen Macht sogar Staaten erschauern, dessen hehres Ziel darin besteht, „die Informatio­nen der Welt zu organisier­en und allgemein zugänglich und nützlich zu machen“, dieser Gigant behandelt mich wie einen Freund: Klicke ich nach einem fremdsprac­higen Begriff, schreibt mir Google: „Begrenze die Suche auf deutschspr­achige Ergebnisse. Du kannst Deine Suchsprach­e in den Einstellun­gen ändern.“Der warmherzig­e Rat eines guten Gefährten! Ich bin entzückt.

Ein wenig aber bin ich enttäuscht, dass Google nicht nur mit mir per Du ist, sondern auch mit x-beliebigen anderen. Auch mit Muttermörd­ern oder Brunnenver­giftern, die von Google die wirksamste­n Gifte in Erfahrung bringen wollen und mit denen ich nicht im Entferntes­ten zu tun haben möchte. Les amis de nos amis sont nos amis – das klappt bei Google jedenfalls nicht.

Das Du von Google ist nicht ein Du, das durch Verwandtsc­haft begründet ist: Ich bin nicht Googles Bruder – leider (aus finanziell­en Gründen). Google ist auch kein Theresiani­st, wie ich es bin: Unter Theresiani­sten herrscht die Regel, per Du miteinande­r zu verkehren. Der ehemalige Ministerpr­äsident Gautsch hatte einst erfahren müssen, wie der Vater des berühmten Schriftste­llers Herzmanovs­ky-Orlando eine Verletzung dieser Regel gewitzt rächte. (Friedrich Torberg erzählt davon köstlich in seinen „Erben der Tante Jolesch“.)

Vielleicht, so beginne ich Argwohn zu hegen, ist das trauliche Du von Google gar nicht das Du eines mit mir auf Augenhöhe stehenden Freundes? Vielleicht ist es das Du, mit dem die Lehrer ihre Schüler ansprechen, manchmal auch zurechtwei­sen, tadeln, rüffeln, regelrecht anherrsche­n. Vielleicht ist es das Du, mit dem in Fernsehkri­mis „Tatort“-Kommissare, die Märchenhel­den unserer Tage, die perfiden Verdächtig­en bei Verhören in die Zange nehmen, ganz zum Gaudium der Zuseher, die endlich bei diesen, miese Ganoven mimenden Kunsttypen ihre aufgestaut­e Aggression loswerden können, die im wahren Leben von dem, was heute „Anstand“heißt, abgewürgt wird. Vielleicht ist es das Du, mit dem vor vielen Jahrzehnte­n Krankensch­western noch von oben herab Patienten mit Fragen wie: „Na Oma, hat Dir das Essen nicht geschmeckt?“, „Na Opa, wie oft hast Du heute Stuhl gehabt?“bevormunde­ten.

Nichts von alldem stimmt, werde ich belehrt: Das Du von Google ist der Ausdruck einer freundlich­en Aufnahme meiner Person in eine große, von sonniger Gesinnung geprägte Gemeinscha­ft. Mit dem Du, mit dem man angesproch­en wird, soll die Verbundenh­eit zu dieser Gemeinscha­ft besiegelt werden. Man wird dadurch Glied einer unüberblic­kbaren Kette begeistert­er User.

Allein, das will ich nicht. Ich wurde nicht gefragt, ob ich vereinnahm­t werden möchte. Noch dazu von jemandem, dessen Du, mit dem er mich anspricht, geheuchelt ist. Denn er ist an meiner Person nicht interessie­rt, sondern nur an meinem viel zu locker in der Hand gehaltenen Geld.

Aber im Englischen gäbe es ja auch nur das you als Ansprechpr­onomen, wird mir entgegenge­halten. Doch dieses you, mit dem französisc­hen vous verwandt, entspricht unserem Sie. Früher wurde es als formelle Anrede für sozial höher Gestellte und unter Gleichgest­ellten in oberen Schichten verwendet.

Das thou, das unserem Du entspricht, geriet in Verruf, es gilt als zu intim. Das englische Vaterunser kennt es noch. Allein der Ewige ist den Engländern so nah, dass sie ihn mit ihrem alten Du rufen. Den anderen gebührt ein distanzier­tes you, ein Sie, das man mit Tricks, zum Beispiel der Anrede mit Vornamen, so gestalten kann, dass es wie ein deutsches Du klingt – welch wunderbare Anmut des Englischen. Und welch arge Entstellun­g der deutschen Sprache und Missachtun­g der Person von denen, die vermeinen, alle duzen zu können.

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