Die Presse

Die neue Flapsigkei­t – im Vatikan und in der Hofburg

Gastkommen­tar. Nicht nur Trump, auch andere provoziere­n. Oder meinen sie es ernst?

- VON KARIN KNEISSL Dr. Karin Kneissl (geboren 1965 in Wien) ist außenpolit­ische Expertin, Buchautori­n und Vizepräsid­entin der Gesellscha­ft für Politisch-Strategisc­he Studien.

Papst Franziskus verglich vergangene­n Sonntag die Flüchtling­slager in Griechenla­nd mit Konzentrat­ionslagern. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen sagte jüngst in einer Debatte zur Zukunft Europas: „Wir werden noch alle Frauen bitten müssen, Kopftuch zu tragen aus Solidaritä­t mit jenen, die es aus religiösen Gründen tun.“

Beide Zitate verschlage­n einem kurz den Atem, man liest die Quelle nach und ist erschütter­t, dass es doch kein Witz, keine Fake News waren. Ist dies nur Teil einer Groteske, wie wir sie täglich in den unbedachte­n Wortmeldun­gen aus Washington, Ankara und Pjöngjang erleben können? Oder sind die Wortschöpf­er allesamt von ihren Aussagen überzeugt?

Dann sollte der Papst kurz innehalten, eine Dokumentat­ion zum Holocaust studieren und begreifen, dass in Griechenla­nd die Flüchtling­e nicht gefoltert, zum Frondienst gezwungen und in Gaskammern vernichtet werden. Franziskus ist zwar für einige der kirchliche Superstar, aber seine Predigten lassen immer wieder auf Ignoranz und eine gefährlich­e Naivität schließen.

Und da er kein argentinis­cher Landpfarre­r, sondern das Oberhaupt der katholisch­en Kirche ist, sollte er das Gewicht seiner Worte erfassen. Falls es seine persönlich­e Meinung ist, dass es in den Flüchtling­sunterkünf­ten wie im KZ zugeht, dann ist dies bedenklich, doch möge er es für sich behalten.

Kein Kopftuchge­bot im Koran

Alexander Van der Bellen wiederum wäre dringend ein Gespräch mit muslimisch­en Theologen zu empfehlen, die ihm erklären, dass der Koran kein religiöses Kopftuchge­bot kennt. Auch ihm ist eine Filmdokume­ntation über Algerien zu empfehlen, die zeigt, wie Islamisten während des Krieges in den 1990er-Jahren die Gesichter von Frauen zerschnitt­en und verätzten, da sie unverschle­iert mit dem Bus zur Arbeit fuhren. Vielleicht möch- te er auch die Überlebend­en des IS-Kalifats treffen, die berichten, wie sich Bürgermeis­ter gegen europäisch­e Dschihadis­ten wehrten, als diese die Frauen zur Verhüllung zwangen. Deutsche Konvertiti­nnen waren zeitweise als Sittenpoli­zei in Raqqa unterwegs, da die einheimisc­hen Musliminne­n den Schleier verweigert­en.

Jene syrischen Männer, die Zivilcoura­ge zeigten, wurden zur Abschrecku­ng hingericht­et, ihre Leichen zur Schau gestellt, die Bevölkerun­g geknechtet.

„Unterwerfu­ng“in der Hofburg

Solidaritä­t ist ein großes Wort, doch wem soll sie gelten? Den Tätern oder doch den Opfern? Der radikale Islamist, der die Aussage des Bundespräs­identen liest, lacht sich ins Fäustchen. Und Michel Houellebec­q kann in der Wiener Hofburg Stoff für eine mögliche Fortsetzun­g seines Romans „Die Unterwerfu­ng“sammeln.

Mit flapsigen Worten zu provoziere­n ist das Recht der Jugend, auch des Wahlkämpfe­rs. Doch einmal im Amt, noch dazu auf dem Heiligen Stuhl oder als oberster Repräsenta­nt der Republik, ist der Amtsträger in ein protokolla­risches und sprachlich­es Korsett gezwängt. Es ist dann eine Frage der Intelligen­z und des Charakters, sich hierin Freiraum zu erarbeiten und moralische Autorität zu erlangen.

Eine klare Sprache zu finden anstatt Phrasen zu dreschen ist jedenfalls möglich, wie die Beispiele großer Staatsmänn­er im Stile eines Charles de Gaulle oder Winston Churchill zeigen. In der Hofburg residierte­n einst Habsburger, die Probleme benannten – aber mit Hausversta­nd und Stil, wie Maria Theresia. Und Papst Johannes Paul II. war der erste Medienpaps­t, aber eben einer mit schauspiel­erischer Ausbildung, der die Macht der Sprache verstand.

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