Hormone im Provinzinternat
Film. Monja Arts sonnengeküsster Debütfilm „Siebzehn“ist eine Coming-of-Age-Story, wie sie im Buche steht – und doch gegen den österreichischen Arthaus-Strich gebürstet.
Paula (Elisabeth Wabitsch) sitzt daheim und lernt, da vibriert das Handy. Auf dem Display: Ein obszöner Anmachspruch. Sie lächelt und beginnt zu tippen: „Lieb von dir, aber kein Bedarf.“Dann zögert sie kurz, löscht den Text wieder, korrigiert sich: „So einer bist du also.“Auch nicht gut. Doch fürs rechte Wort bleibt keine Zeit, schon ruft die Schwester aus dem Nebenzimmer, das Leben geht weiter. Es ist ein schöner kleiner Moment in einem Film voller schöner kleiner Momente – eine Coming-of-Age-Story, wie sie seit Ewigkeiten im Buche steht und doch nur im Hier und Jetzt spielen kann.
Monja Arts Debütfilm „Siebzehn“(kürzlich mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet) weiß um die Mikroökonomie der Selbstfindung, die im Teenageralter unseren Gefühlshaushalt bestimmt. Paula könnte angesichts der Kurznachricht empört sein oder peinlich berührt – doch sie ist einfach nur unsicher. Schließlich ist für sie alles, auch Liebe und Sexualität, noch ein Spiel. Und bei diesem geht es oft darum, sich möglichst viele Optionen offenzuhalten. Unsicher ist im Übrigen auch der Absender, wie der nächste Schnitt vor Augen führt. Kein präpotenter Macker, sondern der schüchterne Nerd Tim (Alexander Wychodil) zeichnet für die FlirtFloskel verantwortlich. Lang hat er im Internet danach gesucht – das Begehren treibt lächerliche Blüten. Was nicht heißt, dass man es nicht ernst nehmen soll.
Und „Siebzehn“nimmt jugendliche Sehnsuchtsgewitter so ernst wie nur irgendwas. Das zeigt schon die Ästhetik, bewusst gegen den Ösi-Arthaus-Strich gebürstet: statt unterkühlter Trübsaltableaus flirrende Farben und samtiges Sonnenlicht, eine lebenssatte Atmosphäre wie in Abdellatif Kechiches ekstatischer Romanze „Blau ist eine warme Farbe“. Denn auch im niederösterreichischen Provinzinternat weiß niemand, wo die Liebe im Rausch der Hormone hinfällt.
Milieustudie – mit einer Spur Utopie
Paula sperrt sich nicht komplett gegen Tims Avancen. Doch im Grunde hat sie nur Augen für Charlotte (Anaelle Dezsy),´ die sie sich nur im Tagtraum zu berühren traut. Die zickige Klassenkönigin Lilli (Alexandra Schmidt) findet das alles zum Fremdschämen. Aber ihr eitler Macho-Loverboy ist auch nicht das Wahre. Und eigentlich würde auch sie selbst Paula nicht von der Bettkante stoßen. Zum Glück ist „Wer mit wem“nicht das Einzige, was Art beschäftigt. Ihr Film versteht sich als impressionistisches, multiperspektivisches (und vielleicht auch ein bisschen utopisches) Porträt eines modernen Jugendmilieus, dessen Vertreter weder verwahrlost noch verhätschelt sind, die nur noch bedingt in Kategorien wie „schwul“oder „hetero“denken und sich trotzdem mit denselben Problemen herumschlagen wie frühere Generationen, die nach wie vor in der Dorfdisko lautstark beim Lieblingssong mitsingen und sich am Badeteich verschämte Schäkerstündchen gönnen. Stellenweise erreicht „Siebzehn“in solchen Szenen eine berückende Natürlichkeit: Art ließ ihrer mehrheitlich jungen Besetzung, einer Mischung aus Laien und Theaterschauspielern, Raum für Improvisation. Andererseits gibt es auch Momente, die in ihrer romantischen Künstlichkeit an TeeniefilmKlassiker wie „La Boum“erinnern.
Der Spagat zwischen diesen Zugängen gelingt nicht immer, manches – etwa ein Handlungsstrang mit aufdringlichem Französischlehrer (Christoph Schärf ) – kippt ins Possenhaft-Preziöse. Einem Film, der so viel Empathie für seine Figuren und ihre Lebenswelt aufbringt, kann man das nur schwer vorhalten. Bei der Diagonale hat Art übrigens angedeutet, dass eine Fortsetzung nicht ausgeschlossen sei. Schön wär’s: Vielleicht bekommen Richard Linklaters Langzeitfilmprojekte bald Konkurrenz aus Österreich.