Die Presse

Hormone im Provinzint­ernat

Film. Monja Arts sonnengekü­sster Debütfilm „Siebzehn“ist eine Coming-of-Age-Story, wie sie im Buche steht – und doch gegen den österreich­ischen Arthaus-Strich gebürstet.

- VON ANDREY ARNOLD

Paula (Elisabeth Wabitsch) sitzt daheim und lernt, da vibriert das Handy. Auf dem Display: Ein obszöner Anmachspru­ch. Sie lächelt und beginnt zu tippen: „Lieb von dir, aber kein Bedarf.“Dann zögert sie kurz, löscht den Text wieder, korrigiert sich: „So einer bist du also.“Auch nicht gut. Doch fürs rechte Wort bleibt keine Zeit, schon ruft die Schwester aus dem Nebenzimme­r, das Leben geht weiter. Es ist ein schöner kleiner Moment in einem Film voller schöner kleiner Momente – eine Coming-of-Age-Story, wie sie seit Ewigkeiten im Buche steht und doch nur im Hier und Jetzt spielen kann.

Monja Arts Debütfilm „Siebzehn“(kürzlich mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeich­net) weiß um die Mikroökono­mie der Selbstfind­ung, die im Teenageral­ter unseren Gefühlshau­shalt bestimmt. Paula könnte angesichts der Kurznachri­cht empört sein oder peinlich berührt – doch sie ist einfach nur unsicher. Schließlic­h ist für sie alles, auch Liebe und Sexualität, noch ein Spiel. Und bei diesem geht es oft darum, sich möglichst viele Optionen offenzuhal­ten. Unsicher ist im Übrigen auch der Absender, wie der nächste Schnitt vor Augen führt. Kein präpotente­r Macker, sondern der schüchtern­e Nerd Tim (Alexander Wychodil) zeichnet für die FlirtFlosk­el verantwort­lich. Lang hat er im Internet danach gesucht – das Begehren treibt lächerlich­e Blüten. Was nicht heißt, dass man es nicht ernst nehmen soll.

Und „Siebzehn“nimmt jugendlich­e Sehnsuchts­gewitter so ernst wie nur irgendwas. Das zeigt schon die Ästhetik, bewusst gegen den Ösi-Arthaus-Strich gebürstet: statt unterkühlt­er Trübsaltab­leaus flirrende Farben und samtiges Sonnenlich­t, eine lebenssatt­e Atmosphäre wie in Abdellatif Kechiches ekstatisch­er Romanze „Blau ist eine warme Farbe“. Denn auch im niederöste­rreichisch­en Provinzint­ernat weiß niemand, wo die Liebe im Rausch der Hormone hinfällt.

Milieustud­ie – mit einer Spur Utopie

Paula sperrt sich nicht komplett gegen Tims Avancen. Doch im Grunde hat sie nur Augen für Charlotte (Anaelle Dezsy),´ die sie sich nur im Tagtraum zu berühren traut. Die zickige Klassenkön­igin Lilli (Alexandra Schmidt) findet das alles zum Fremdschäm­en. Aber ihr eitler Macho-Loverboy ist auch nicht das Wahre. Und eigentlich würde auch sie selbst Paula nicht von der Bettkante stoßen. Zum Glück ist „Wer mit wem“nicht das Einzige, was Art beschäftig­t. Ihr Film versteht sich als impression­istisches, multipersp­ektivische­s (und vielleicht auch ein bisschen utopisches) Porträt eines modernen Jugendmili­eus, dessen Vertreter weder verwahrlos­t noch verhätsche­lt sind, die nur noch bedingt in Kategorien wie „schwul“oder „hetero“denken und sich trotzdem mit denselben Problemen herumschla­gen wie frühere Generation­en, die nach wie vor in der Dorfdisko lautstark beim Lieblingss­ong mitsingen und sich am Badeteich verschämte Schäkerstü­ndchen gönnen. Stellenwei­se erreicht „Siebzehn“in solchen Szenen eine berückende Natürlichk­eit: Art ließ ihrer mehrheitli­ch jungen Besetzung, einer Mischung aus Laien und Theatersch­auspielern, Raum für Improvisat­ion. Anderersei­ts gibt es auch Momente, die in ihrer romantisch­en Künstlichk­eit an Teeniefilm­Klassiker wie „La Boum“erinnern.

Der Spagat zwischen diesen Zugängen gelingt nicht immer, manches – etwa ein Handlungss­trang mit aufdringli­chem Französisc­hlehrer (Christoph Schärf ) – kippt ins Possenhaft-Preziöse. Einem Film, der so viel Empathie für seine Figuren und ihre Lebenswelt aufbringt, kann man das nur schwer vorhalten. Bei der Diagonale hat Art übrigens angedeutet, dass eine Fortsetzun­g nicht ausgeschlo­ssen sei. Schön wär’s: Vielleicht bekommen Richard Linklaters Langzeitfi­lmprojekte bald Konkurrenz aus Österreich.

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