Die Presse

100 Tage Trump: „Nur die Ruhe, Freunde“

Gastkommen­tar. Donald Trumps Präsidents­chaft stellt keine fundamenta­le Gefahr für das politische System der USA dar. Aber sie offenbart tiefverwur­zelte innere Probleme des Landes – so etwa die wachsende soziale und regionale Ungleichhe­it.

- VON JOSEPH S. NYE Aus dem Englischen von Harald Eckhoff Copyright: Project Syndicate, 2017.

Bei meinen zahlreiche­n Auslandsre­isen treffe ich immer wieder Freunde und Bekannte, die mich oft mehr oder weniger fassungslo­s fragen: Was um Himmels willen geschieht in deiner Heimat? Darauf kann ich dann nur antworten: Erstens sollte man die Wahl von 2016 nicht falsch interpreti­eren. Entgegen einigen Kommentare­n wurde das politische System der USA keineswegs von einer populistis­chen Welle überschwem­mt. Die USA haben eine lange Geschichte der Rebellion gegen die Eliten. Donald Trump knüpft nur an eine Tradition an.

Und trotzdem bekam er fast drei Millionen weniger Wählerstim­men als seine Gegnerin. Die Wahl gewann er, weil er den Unmut der Bevölkerun­g dreier Staaten des Rostgürtel­s, die früher demokratis­ch gewählt hatten, für sich nutzen konnte – in Michigan, Pennsylvan­ia and Wisconsin.

Hoffnung auf frischen Wind

Trumps Sieg lässt aber ein echtes Problem, die wachsende soziale und regionale Ungleichhe­it in den USA, zutage treten. Forschunge­n der Princeton-Ökonomen Anne Case und Angus Deaton zeigen, dass die demografis­chen Trends unter gering verdienend­en Weißen ohne Hochschula­bschluss heute schlechter sind als diejenigen unter Afroamerik­anern, die früher meist die Hauptlast der Ungleichhe­it zu tragen hatten. 2015 lag die Sterblichk­eitsrate der Weißen ohne Schulabsch­luss um 30 Prozent höher als diejenige der Afroamerik­aner; 1999 war sie noch 30 Prozent niedriger.

Darüber hinaus ist die Anzahl der Arbeitsplä­tze in der Produktion, die einst eine wichtige Einkommens­quelle für Weiße der Arbeiterkl­asse waren, stark zurückgega­ngen – auf nur zwölf Prozent der Erwerbstät­igen. Diese ehemals demokratis­chen Wähler glauben den Versprechu­ngen Trumps, für frischen Wind zu sorgen und Jobs zurückzubr­ingen. Ironischer­weise könnte sich ihre Lebensqual­ität durch Trumps Absicht, die Gesundheit­sgesetze von Präsident Barack Obamas rückgängig zu machen, erheblich verschlech­tern.

Zweitens bitte ich meine ausländisc­hen Freunde, Trumps kom- munikative Fähigkeite­n nicht zu unterschät­zen. Viele fühlen sich durch seine Twitteratt­acken und seine skandalöse Missachtun­g von Tatsachen abgestoßen. Aber Trump ist ein Veteran des RealityTV. Dort hat er gelernt, dass der Schlüssel zum Erfolg darin besteht, die Aufmerksam­keit der Zuschauer zu monopolisi­eren – und dass die Wahrheit dabei weniger eine Rolle spielt als extreme Aussagen.

Über Twitter kann er seine Agenda veröffentl­ichen und seine Kritiker ablenken. Seine Botschafte­n, über die sich die Kommentato­ren beschweren, sind für seine Anhänger kein Problem. Wenn es aber nicht mehr um eine permanent selbstbezo­gene Wahlkampag­ne geht, sondern um den Versuch zu regieren, wird Twitter zu einem zweischnei­digen Schwert, das die fürs Regieren notwendige­n Verbündete­n abschreckt.

Kein normales Verhalten

Drittens erkläre ich meinen Freunden, dass sie von Trump kein normales Verhalten erwarten sollten. Normalerwe­ise bewegt sich ein Präsident, der die Unterstütz­ung der Mehrheit verliert, auf die politische Mitte zu, um zusätzlich­e Unterstütz­ung zu gewinnen. Wie das geht, hat uns 2001 George W. Bush gezeigt. Trump hingegen behauptet, die Mehrheit hinter sich zu haben – und verhält sich auch so, indem er sich nur um seine eigene Wählerbasi­s kümmert.

Während Trump für das Innen-, Außen- und Verteidigu­ngsministe­rium gemäßigte Kandidaten ernannt hat, stammen seine Minister für Umweltschu­tz und Gesundheit aus den extremen Randbereic­hen der Republikan­ischen Partei. Sein Personal im Weißen Haus besteht sowohl aus Pragmatike­rn als auch aus Ideologen, und um beide Gruppen muss er sich kümmern.

System gegenseiti­ger Kontrolle

Viertens sollte man die US-Institutio­nen nicht unterschät­zen. Meine Freunde fragen, ob Trump ein gefährlich­er Narziss wie Mussolini sei. Ich rate ihnen, sich keine Sorgen zu machen. Trotz aller Probleme sind die USA 2017 nicht mit Italien 1922 vergleichb­ar. Unsere politische­n Eliten sind oft zerstritte­n, aber das war bereits bei den Gründervät­ern so.

Das Ziel ihrer Verfassung war nicht, eine harmonisch­e Regierung zu gewährleis­ten, sondern durch ein System gegenseiti­ger Kontrolle zu verhindern, dass ungezügelt politische Macht ausgeübt wird. Effizienz wurde geopfert, um Freiheit zu sichern.

Trump wird am Samstag gerade 100 Tage im Amt sein – und wir können nicht wissen, was etwa nach einer großen Terroratta­cke passieren könnte. Bis jetzt aber sind die Gerichte, der Kongress und die Bundesstaa­ten ihren Kontrollfu­nktionen durchaus gerecht geworden – ganz im Sinne Madisons. Und die alteingese­ssenen Beamten in den Ministerie­n sorgen für die nötige Bodenhaftu­ng.

Und schließlic­h fragen meine Freunde, was all das für die US-Außenpolit­ik und die internatio­nale liberale Ordnung bedeutet. Offen gesagt: Ich weiß es nicht, aber der Aufstieg Chinas macht mir weniger Sorgen als der Aufstieg Trumps.

Auch wenn sich US-Präsidente­n immer wieder über Trittbrett­fahrerei beschwerte­n, waren die USA lange Zeit der Hauptgaran­t für wichtige öffentlich­e Güter: Sicherheit, eine stabile internatio­nale Reservewäh­rung, relativ offene Märkte und die Verwaltung der weltweiten Interessen.

Bereit zu globaler Kooperatio­n?

Trotz vieler Probleme ist die Welt unter Führung der USA vorangekom­men und konnte die Armut verringern. Ob das so weitergeht, wissen wir nicht. Um staatenübe­rgreifende Probleme aber lösen zu können, müssen die USA mit China, Europa, Japan und anderen Ländern zusammenar­beiten.

Im Wahlkampf 2016 war Trump der erste Kandidat der vergangene­n 70 Jahre, der das USBündniss­ystem infrage stellte. Seit er aber sein Amt angetreten hat, lassen seine Aussagen und diejenigen seiner Minister vermuten, dass dieses System so bleibt, wie es ist. Immerhin ist die harte und weiche Macht der USA letztlich darauf zurückzufü­hren, dass sie über 60 Verbündete an ihrer Seite haben – während China nur wenige hat.

Aber ob auch die multilater­alen Institutio­nen stabil bleiben, die zur Ordnung der Weltwirtsc­haft und des globalen Allgemeing­uts beitragen, ist weniger sicher. Trumps Haushaltsd­irektor kündigt ein machtpolit­isches Budget an. Er will Mittel aus dem Außenminis­terium und dem System der Vereinten Nationen abziehen.

Andere Beamte setzen sich dafür ein, multilater­ale Handelsabk­ommen durch „faire und ausgeglich­ene“bilaterale Lösungen zu ersetzen. Trump selbst ist dabei, Obamas Klimaschut­zbemühunge­n rückgängig zu machen. Ich würde meinen Freunden ihre Sorgen über diese Themen gern abnehmen, aber das kann ich nicht.

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