Charles der Große
Porträt. Er ist der berühmteste der französischen Präsidenten: Charles de Gaulle. Held der R´esistance, Nervensäge und Begründer der Fünften Republik, die heute noch besteht.
De Gaulle – Frankreichs \edeutendster Präsident im Porträt.
Dass der Gaullist Francois¸ Fillon sich auf Charles de Gaulle beruft, war keine allzu große Überraschung. Aber auch Emmanuel Macron hat es getan: De Gaulle habe 1958 ebenfalls nicht auf die traditionellen Parteien gesetzt, um an die Macht zu kommen, sagte der parteiunabhängige Favorit für die Präsidentenwahl.
Und selbst seine Stichwahlkonkurrentin, Marine Le Pen, tat es im Wahlkampf: Sie lobte etwa die „aktive Wirtschaftspolitik“de Gaulles. Dabei war der Front National eigentlich eine antigaullistische Partei, in der anfangs auch Sympathisanten des Vichy-Regimes Unterschlupf gefunden hatten.
Doch de Gaulles Konzept eines „Europa der Vaterländer“ist mittlerweile fixer Bestandteil des Sprachgebrauchs rechtspopulistischer Parteien. Auch zuwanderungspolitisch war er äußerst restriktiv. Als es darum ging, die Harkis, die algerischen Hilfstruppen der Franzosen im Algerien-Krieg, aufzunehmen, da sie nach der Unabhängigkeit die Rache ihrer algerischen Landsleute zu fürchten hatten, sagte de Gaulle Nein. Er wollte keine größeren muslimischen Gruppen in Frankreich haben, da er der Meinung war, dass dies das Wesen des Landes verändern könnte – demografisch und kulturell.
Charles de Gaulle wurde 1890 in Lille geboren, in eine Familie von niederem Landadel: Diese war katholisch, konservativ, antirevolutionär, aber auch intellektuell, ein Großvater war Historiker, eine Großmutter Schriftstellerin, der Vater Gründer einer Privatschule. Charles de Gaulle selbst blieb sein Leben lang vom Habitus her ein Mann des 19. Jahrhunderts. Wiewohl durchaus feinsinnig, auch mit poetischer Ader, die dann auch in seinen Reden und Schriften durchschlug, sollte er sein Leben fürs Erste dem Militärischen widmen. Er diente im Ersten Weltkrieg, wurde mehrfach verwundet, war in Gefangenschaft, brachte es danach bis zum General und schlug auch noch einige Schlachten im Zweiten Weltkrieg.
Und – Ironie der Geschichte: Sein militärisches Handwerk hatte de Gaulle ausgerechnet bei Marschall Philippe Petain´ gelernt und verfeinert, dem „Helden von Verdun“im Ersten Weltkrieg, der dann im Zweiten Weltkrieg die NS-Marionettenregierung von Vichy in Frankreich anführen sollte.
Als Petain´ die Franzosen angesichts der militärischen Übermacht der Deutschen dazu aufrief, ihren Widerstand aufzugeben, trat am Tag darauf, dem 18. Juni 1940, ein bis dahin in der Öffentlichkeit kaum bekannter General in London vor ein Mikrofon der BBC, das ihm die britische Regierung zur Verfü- gung gestellt hatte: „An alle Franzosen“, wandte sich dieser Mann, „nichts ist verloren“. Diese Ansprachen sollten sich in der Folge unzählige Male wiederholen.
Es war Charles de Gaulle, der sich mit Unterstützung der Vorgängerregierung nach England durchgeschlagen hatte und dort nun für sich in Anspruch nahm, die Resistance´ anzuführen. In seiner Heimat wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt, sein alter Mentor Marschall Petain´ gab aber zu verstehen, dass er das nicht umzusetzen gedenke. Dafür rettete ihm de Gaulle dann nach Ende des Krieges den Kopf.
„Gen´eral´ micro“im Exil
„Gen´eral´ micro“nannten sie ihn, den Kopf der Resistance´ im Londoner Exil. Skeptisch beäugt von Winston Churchill, dem der hagere, fast zwei Meter große, eitle und sendungsbewusste Franzose immer ein wenig suspekt blieb. Die beiden verband eine Art Hassliebe. „Wenn Sie mir im Weg stehen, liquidiere ich Sie“, soll Churchill einmal zu de Gaulle gesagt haben. Auch dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt ging de Gaulle furchtbar auf die Nerven, vor allem dessen Gehabe als neue Jeanne d’Arc. „Primadonna“nannten Churchill und Roosevelt de Gaulle untereinander und wollten ihn nicht nur einmal loswerden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs behagte de Gaulle dann das fortbestehende Naheverhältnis zwischen Briten und Amerikanern gar nicht, sodass er durchsetzte, dass Frankreich aus der Nato wieder austrat und Großbritannien der EU, damals EWG, nicht beitreten konnte. De Gaulle wandte sich lieber der Bundesrepublik Deutschland unter Konrad Adenauer zu, die beiden verband bald eine Männerfreundschaft.
Militärisch hat de Gaulle im Vergleich zu Winston Churchill relativ wenig zur Nieder- lage Nazi-Deutschlands beigetragen. Aber seine Durchhalteparolen via Radio waren moralisch wichtig, um den Widerstandsgeist der Franzosen aufrechtzuerhalten. Letztlich durfte er dann als Befreier in Paris einziehen, nachdem die Amerikaner und Briten den Weg freigemacht hatten.
Dass Dankbarkeit keine politische Kategorie ist, musste dann wie Churchill in Großbritannien auch de Gaulle in Frankreich erfahren. Da er sich mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen konnte, musste er 1946 als Präsident zurücktreten. De Gaulle hatte ein tiefes Misstrauen gegenüber den Parteien, die er auch für die Kapitulation gegenüber NaziDeutschland mitverantwortlich machte. De Gaulle wollte die Rechte des Präsidenten stärken.
Doch vorerst musste er sich auf sein Landgut in Colombey-les-Deux-E´glises zurückziehen. Erst 1958 sollte wieder der Ruf nach ihm ertönen. In den zwölf Jahren Vierter Republik hatte Frankreich bis dahin 24 Regierungen verbraucht, hinzu kamen nun noch die Wirren des Algerien-Kriegs. Als bekannt wurde, dass Regierungschef Pierre Pflimlin Verhandlungen mit den algerischen Unabhängigkeitskämpfern aufnehmen will, drohten die französischen Generäle in Algerien mit einem Staatsstreich. Wieder war Charles de Gaulle der Retter in der Not. Zu seinen Bedingungen. Die Verfassung wurde geändert, der Präsident mit jenen Rechten ausgestattet, die er heute hat. Die Bevölkerung segnete das in einer Volksabstimmung ab. Die Fünfte Republik wurde ausgerufen.
De Gaulle flog nach Algier und rief den jubelnden Algerien-Franzosen zu: „Ich habe Sie verstanden!“Vier Jahre später entließ er Algerien dann doch in die Unabhängigkeit. Ihm, dem rechten Haudegen, haben sie das nachgesehen. Ein Linker hätte das nicht so einfach über die Bühne gebracht.
Feindbild der neuen Linken
Dennoch wurde dann gerade Charles de Gaulle zum Feindbild der Linken des Mai ’68. Die Studenten demonstrierten gegen den Präsidenten, zusätzlich lähmte eine Streikwelle das Land. Der Held der Resistance´ war zur Symbolfigur der Reaktion geworden. De Gaulle rief Neuwahlen aus. Und gewann sie überlegen. Das konservative Frankreich hatte der neuen Linken noch einmal gezeigt, wer der Herr im Haus ist.
1969 setzte de Gaulle dann ein Referendum über eine Regionalreform an. Doch diese wurde abgelehnt. Charles de Gaulle hatte seinen Zenit endgültig überschritten und trat zurück. 1970 starb er.
„Der theatralische de Gaulle blieb, wenn es darauf ankam, Demokrat, wenn auch in einem formalen, primitiven Sinn. Anders als Churchill war er kein Mann der gelebten Demokratie, der erregten demokratischen Debatte“, schreibt der Publizist Geert Mak. „Er suchte das Mandat des Volkes, und wenn er es hatte, betrachtete er es als Freibrief, nach eigenem Gutdünken zu handeln.“