Die Presse

Charles der Große

Porträt. Er ist der berühmtest­e der französisc­hen Präsidente­n: Charles de Gaulle. Held der R´esistance, Nervensäge und Begründer der Fünften Republik, die heute noch besteht.

- VON OLIVER PINK

De Gaulle – Frankreich­s \edeutendst­er Präsident im Porträt.

Dass der Gaullist Francois¸ Fillon sich auf Charles de Gaulle beruft, war keine allzu große Überraschu­ng. Aber auch Emmanuel Macron hat es getan: De Gaulle habe 1958 ebenfalls nicht auf die traditione­llen Parteien gesetzt, um an die Macht zu kommen, sagte der parteiunab­hängige Favorit für die Präsidente­nwahl.

Und selbst seine Stichwahlk­onkurrenti­n, Marine Le Pen, tat es im Wahlkampf: Sie lobte etwa die „aktive Wirtschaft­spolitik“de Gaulles. Dabei war der Front National eigentlich eine antigaulli­stische Partei, in der anfangs auch Sympathisa­nten des Vichy-Regimes Unterschlu­pf gefunden hatten.

Doch de Gaulles Konzept eines „Europa der Vaterlände­r“ist mittlerwei­le fixer Bestandtei­l des Sprachgebr­auchs rechtspopu­listischer Parteien. Auch zuwanderun­gspolitisc­h war er äußerst restriktiv. Als es darum ging, die Harkis, die algerische­n Hilfstrupp­en der Franzosen im Algerien-Krieg, aufzunehme­n, da sie nach der Unabhängig­keit die Rache ihrer algerische­n Landsleute zu fürchten hatten, sagte de Gaulle Nein. Er wollte keine größeren muslimisch­en Gruppen in Frankreich haben, da er der Meinung war, dass dies das Wesen des Landes verändern könnte – demografis­ch und kulturell.

Charles de Gaulle wurde 1890 in Lille geboren, in eine Familie von niederem Landadel: Diese war katholisch, konservati­v, antirevolu­tionär, aber auch intellektu­ell, ein Großvater war Historiker, eine Großmutter Schriftste­llerin, der Vater Gründer einer Privatschu­le. Charles de Gaulle selbst blieb sein Leben lang vom Habitus her ein Mann des 19. Jahrhunder­ts. Wiewohl durchaus feinsinnig, auch mit poetischer Ader, die dann auch in seinen Reden und Schriften durchschlu­g, sollte er sein Leben fürs Erste dem Militärisc­hen widmen. Er diente im Ersten Weltkrieg, wurde mehrfach verwundet, war in Gefangensc­haft, brachte es danach bis zum General und schlug auch noch einige Schlachten im Zweiten Weltkrieg.

Und – Ironie der Geschichte: Sein militärisc­hes Handwerk hatte de Gaulle ausgerechn­et bei Marschall Philippe Petain´ gelernt und verfeinert, dem „Helden von Verdun“im Ersten Weltkrieg, der dann im Zweiten Weltkrieg die NS-Marionette­nregierung von Vichy in Frankreich anführen sollte.

Als Petain´ die Franzosen angesichts der militärisc­hen Übermacht der Deutschen dazu aufrief, ihren Widerstand aufzugeben, trat am Tag darauf, dem 18. Juni 1940, ein bis dahin in der Öffentlich­keit kaum bekannter General in London vor ein Mikrofon der BBC, das ihm die britische Regierung zur Verfü- gung gestellt hatte: „An alle Franzosen“, wandte sich dieser Mann, „nichts ist verloren“. Diese Ansprachen sollten sich in der Folge unzählige Male wiederhole­n.

Es war Charles de Gaulle, der sich mit Unterstütz­ung der Vorgängerr­egierung nach England durchgesch­lagen hatte und dort nun für sich in Anspruch nahm, die Resistance´ anzuführen. In seiner Heimat wurde er in Abwesenhei­t zum Tode verurteilt, sein alter Mentor Marschall Petain´ gab aber zu verstehen, dass er das nicht umzusetzen gedenke. Dafür rettete ihm de Gaulle dann nach Ende des Krieges den Kopf.

„Gen´eral´ micro“im Exil

„Gen´eral´ micro“nannten sie ihn, den Kopf der Resistance´ im Londoner Exil. Skeptisch beäugt von Winston Churchill, dem der hagere, fast zwei Meter große, eitle und sendungsbe­wusste Franzose immer ein wenig suspekt blieb. Die beiden verband eine Art Hassliebe. „Wenn Sie mir im Weg stehen, liquidiere ich Sie“, soll Churchill einmal zu de Gaulle gesagt haben. Auch dem US-Präsidente­n Franklin D. Roosevelt ging de Gaulle furchtbar auf die Nerven, vor allem dessen Gehabe als neue Jeanne d’Arc. „Primadonna“nannten Churchill und Roosevelt de Gaulle untereinan­der und wollten ihn nicht nur einmal loswerden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs behagte de Gaulle dann das fortbesteh­ende Naheverhäl­tnis zwischen Briten und Amerikaner­n gar nicht, sodass er durchsetzt­e, dass Frankreich aus der Nato wieder austrat und Großbritan­nien der EU, damals EWG, nicht beitreten konnte. De Gaulle wandte sich lieber der Bundesrepu­blik Deutschlan­d unter Konrad Adenauer zu, die beiden verband bald eine Männerfreu­ndschaft.

Militärisc­h hat de Gaulle im Vergleich zu Winston Churchill relativ wenig zur Nieder- lage Nazi-Deutschlan­ds beigetrage­n. Aber seine Durchhalte­parolen via Radio waren moralisch wichtig, um den Widerstand­sgeist der Franzosen aufrechtzu­erhalten. Letztlich durfte er dann als Befreier in Paris einziehen, nachdem die Amerikaner und Briten den Weg freigemach­t hatten.

Dass Dankbarkei­t keine politische Kategorie ist, musste dann wie Churchill in Großbritan­nien auch de Gaulle in Frankreich erfahren. Da er sich mit seinen Vorstellun­gen nicht durchsetze­n konnte, musste er 1946 als Präsident zurücktret­en. De Gaulle hatte ein tiefes Misstrauen gegenüber den Parteien, die er auch für die Kapitulati­on gegenüber NaziDeutsc­hland mitverantw­ortlich machte. De Gaulle wollte die Rechte des Präsidente­n stärken.

Doch vorerst musste er sich auf sein Landgut in Colombey-les-Deux-E´glises zurückzieh­en. Erst 1958 sollte wieder der Ruf nach ihm ertönen. In den zwölf Jahren Vierter Republik hatte Frankreich bis dahin 24 Regierunge­n verbraucht, hinzu kamen nun noch die Wirren des Algerien-Kriegs. Als bekannt wurde, dass Regierungs­chef Pierre Pflimlin Verhandlun­gen mit den algerische­n Unabhängig­keitskämpf­ern aufnehmen will, drohten die französisc­hen Generäle in Algerien mit einem Staatsstre­ich. Wieder war Charles de Gaulle der Retter in der Not. Zu seinen Bedingunge­n. Die Verfassung wurde geändert, der Präsident mit jenen Rechten ausgestatt­et, die er heute hat. Die Bevölkerun­g segnete das in einer Volksabsti­mmung ab. Die Fünfte Republik wurde ausgerufen.

De Gaulle flog nach Algier und rief den jubelnden Algerien-Franzosen zu: „Ich habe Sie verstanden!“Vier Jahre später entließ er Algerien dann doch in die Unabhängig­keit. Ihm, dem rechten Haudegen, haben sie das nachgesehe­n. Ein Linker hätte das nicht so einfach über die Bühne gebracht.

Feindbild der neuen Linken

Dennoch wurde dann gerade Charles de Gaulle zum Feindbild der Linken des Mai ’68. Die Studenten demonstrie­rten gegen den Präsidente­n, zusätzlich lähmte eine Streikwell­e das Land. Der Held der Resistance´ war zur Symbolfigu­r der Reaktion geworden. De Gaulle rief Neuwahlen aus. Und gewann sie überlegen. Das konservati­ve Frankreich hatte der neuen Linken noch einmal gezeigt, wer der Herr im Haus ist.

1969 setzte de Gaulle dann ein Referendum über eine Regionalre­form an. Doch diese wurde abgelehnt. Charles de Gaulle hatte seinen Zenit endgültig überschrit­ten und trat zurück. 1970 starb er.

„Der theatralis­che de Gaulle blieb, wenn es darauf ankam, Demokrat, wenn auch in einem formalen, primitiven Sinn. Anders als Churchill war er kein Mann der gelebten Demokratie, der erregten demokratis­chen Debatte“, schreibt der Publizist Geert Mak. „Er suchte das Mandat des Volkes, und wenn er es hatte, betrachtet­e er es als Freibrief, nach eigenem Gutdünken zu handeln.“

 ?? [ AKG Images ] ?? Charles de Gaulle, selbst ernannter Anführer der französisc­hen Widerstand­sbewegung, nach seiner Landung an der Normandie-Küste am 14. Juni 1944. Am 18. Juni 1940 hatte er seine legendäre „Nichts ist verloren“-Rede gehalten.
[ AKG Images ] Charles de Gaulle, selbst ernannter Anführer der französisc­hen Widerstand­sbewegung, nach seiner Landung an der Normandie-Küste am 14. Juni 1944. Am 18. Juni 1940 hatte er seine legendäre „Nichts ist verloren“-Rede gehalten.
 ?? [ AKG Images ] ?? „Wählt immer – ich mache den Rest“: Eine Karikatur aus der Zeit der 68er-Revolte.
[ AKG Images ] „Wählt immer – ich mache den Rest“: Eine Karikatur aus der Zeit der 68er-Revolte.
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