Türkei auf Rammkurs mit den USA
Analyse. Die türkisch-russische Verständigung auf die Gründung von Schutzzonen für Zivilisten in Syrien läuft auch auf die Minderung des US-Einflusses in der Region hinaus.
Washington/Ankara. Zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges in Syrien 2011 zeichnet sich internationaler Konsens über die dortige Bildung von Schutzzonen ab. Nachdem US-Präsident Donald Trump solche Zonen für Zivilisten unterstützt hat, befürwortet jetzt auch die von Russland ausgerichtete Syrien-Konferenz in Kasachstan den Schutzzonenplan. Auch der Iran ist mit an Bord.
Besonders der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ sieht sich bestätigt: Er fordert solche Zonen seit Langem, auch, weil er so die Bildung eines Kurdenstaates in Nordsyrien verhindern will. Doch das Vorhaben könnte an den gegensätzlichen Interessen der Akteure in Syrien scheitern: Mit Blick auf die rund zwei Millionen syrischen Flüchtlinge im Land setzt sich die Türkei für die Schaffung bewachter Gebiete in Syrien ein, in die Rückkehrer gehen sollen. Über den demilitarisierten Zonen soll ein militärisches Flugverbot gelten. Ankara will neue Städte in Nordsyrien für die Heimkehrer bauen. Lang stieß die Forderung auf wenig Gegenliebe: Syrien lehnte Schutzzonen als Verletzung seiner Souveränität ab, auch ein UN-Mandat für den Plan ist nicht in Sicht.
Nun aber sind sich Trump, Erdogan˘ und der russische Staatschef, Wladimir Putin, im Grundsatz einig. Nach dem in Kasachstan gefassten Beschluss soll eine der Schutzzonen im nordwestsyrischen Idlib entstehen – dort waren Anfang April Dutzende Menschen bei einem mutmaßlichen Giftgasangriff der syrischen Luftwaffe umgekommen. Die Attacke löste Trumps MarschflugkörperAngriffe auf eine syrische Luftwaffenbasis aus. Weitere Schutzzonen sind um Homs, bei Damaskus und in Südsyrien vorgesehen.
Wer soll die Schutzmacht sein?
Die UNO begrüßte das Vorhaben, auch Damaskus willigte unter dem Druck Russlands ein. Erdogan˘ sprach nach einem Treffen mit Putin in der Schwarzmeerstadt Sotschi von „Waffenstillstandszonen“, die den SyrienKonflikt zur Hälfte lösen könnten. Optimistische Aussagen wie jene waren in den vergangenen Jahren schon zu hören, ohne dass das Leid beendet worden wäre. Auch jetzt gibt es mehr Fragen als Antworten. Die Vertreter der syrischen Rebellen bei der Konferenz in Kasachstan lehnen den Plan ab: Sie trauen weder Russen noch Iranern, die als Garantiemächte die Schutzzonen gewährleisten sollen. Auch die USA reagierten reserviert: Trotz Trumps grundsätzlichem Einverständnis will man erst Details sehen.
Grund für Vorsicht gibt es genug. Unklar ist etwa, wer die Zonen sichern soll. Uneinigkeit herrscht, welche bewaffnete Gruppe als terroristisch einzustufen ist und damit als Schutzmacht ausfällt. So dürfte eine Rolle der Kurden als „Polizeimacht“auf Widerstand Ankaras stoßen. Offen ist, was mit den vielen Milizen geschehen soll, die entwaffnet oder aus den Schutzzonen verjagt werden müssten. Nach dem russischen Plan sollen auch westliche Luftwaffen dem Flugverbot über den Zonen unterliegen – was die Frage aufwirft, wie Verstöße geahndet werden sollen.
Hinter dem Vorhaben zeigen sich Eigeninteressen. Wie er selbst sei auch Putin gegen einen Kurdenstaat, stellte Erdogan˘ fest. Bei den Amerikanern ist er sich da unsicher. Trotz Warnungen Ankaras arbeiten die USA in Nordsyrien mit der syrischen Kurdengruppe PYD und deren YPG-Truppe zusammen: Die Kurden sollen eine Hauptrolle beim Angriff auf Rakka spielen, dem Zentrum des Islamischen Staates (IS). Die Türkei sieht PYD und YPG als Zweige der kurdischen Terrororganisation PKK und wirft Washington Kooperation mit Terroristen vor. In Kürze will Erdogan˘ das Thema in Washington ansprechen; einer seiner Berater drohte derweil, an- gesichts des Kampfs gegen die Kurden könnten auch US-Soldaten in Syrien „versehentlich“die eine oder andere türkische Rakete abbekommen. Vorige Woche starben bei türkischen Luftangriffen Dutzende syrische Kurden, was US-Proteste auslöste.
Allianz gegen Washington
Aussicht auf rasche Beilegung des Interessenkonflikts besteht nicht. Erdogans˘ Einigung mit Putin auf den Schutzzonen-Plan könnte zeigen, dass die Türkei die Allianz mit Moskau sucht, um so, und gegen die USA, ihre Interessen in Syrien durchzusetzen.