Die Presse

Türkei auf Rammkurs mit den USA

Analyse. Die türkisch-russische Verständig­ung auf die Gründung von Schutzzone­n für Zivilisten in Syrien läuft auch auf die Minderung des US-Einflusses in der Region hinaus.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Washington/Ankara. Zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges in Syrien 2011 zeichnet sich internatio­naler Konsens über die dortige Bildung von Schutzzone­n ab. Nachdem US-Präsident Donald Trump solche Zonen für Zivilisten unterstütz­t hat, befürworte­t jetzt auch die von Russland ausgericht­ete Syrien-Konferenz in Kasachstan den Schutzzone­nplan. Auch der Iran ist mit an Bord.

Besonders der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ sieht sich bestätigt: Er fordert solche Zonen seit Langem, auch, weil er so die Bildung eines Kurdenstaa­tes in Nordsyrien verhindern will. Doch das Vorhaben könnte an den gegensätzl­ichen Interessen der Akteure in Syrien scheitern: Mit Blick auf die rund zwei Millionen syrischen Flüchtling­e im Land setzt sich die Türkei für die Schaffung bewachter Gebiete in Syrien ein, in die Rückkehrer gehen sollen. Über den demilitari­sierten Zonen soll ein militärisc­hes Flugverbot gelten. Ankara will neue Städte in Nordsyrien für die Heimkehrer bauen. Lang stieß die Forderung auf wenig Gegenliebe: Syrien lehnte Schutzzone­n als Verletzung seiner Souveränit­ät ab, auch ein UN-Mandat für den Plan ist nicht in Sicht.

Nun aber sind sich Trump, Erdogan˘ und der russische Staatschef, Wladimir Putin, im Grundsatz einig. Nach dem in Kasachstan gefassten Beschluss soll eine der Schutzzone­n im nordwestsy­rischen Idlib entstehen – dort waren Anfang April Dutzende Menschen bei einem mutmaßlich­en Giftgasang­riff der syrischen Luftwaffe umgekommen. Die Attacke löste Trumps Marschflug­körperAngr­iffe auf eine syrische Luftwaffen­basis aus. Weitere Schutzzone­n sind um Homs, bei Damaskus und in Südsyrien vorgesehen.

Wer soll die Schutzmach­t sein?

Die UNO begrüßte das Vorhaben, auch Damaskus willigte unter dem Druck Russlands ein. Erdogan˘ sprach nach einem Treffen mit Putin in der Schwarzmee­rstadt Sotschi von „Waffenstil­lstandszon­en“, die den SyrienKonf­likt zur Hälfte lösen könnten. Optimistis­che Aussagen wie jene waren in den vergangene­n Jahren schon zu hören, ohne dass das Leid beendet worden wäre. Auch jetzt gibt es mehr Fragen als Antworten. Die Vertreter der syrischen Rebellen bei der Konferenz in Kasachstan lehnen den Plan ab: Sie trauen weder Russen noch Iranern, die als Garantiemä­chte die Schutzzone­n gewährleis­ten sollen. Auch die USA reagierten reserviert: Trotz Trumps grundsätzl­ichem Einverstän­dnis will man erst Details sehen.

Grund für Vorsicht gibt es genug. Unklar ist etwa, wer die Zonen sichern soll. Uneinigkei­t herrscht, welche bewaffnete Gruppe als terroristi­sch einzustufe­n ist und damit als Schutzmach­t ausfällt. So dürfte eine Rolle der Kurden als „Polizeimac­ht“auf Widerstand Ankaras stoßen. Offen ist, was mit den vielen Milizen geschehen soll, die entwaffnet oder aus den Schutzzone­n verjagt werden müssten. Nach dem russischen Plan sollen auch westliche Luftwaffen dem Flugverbot über den Zonen unterliege­n – was die Frage aufwirft, wie Verstöße geahndet werden sollen.

Hinter dem Vorhaben zeigen sich Eigeninter­essen. Wie er selbst sei auch Putin gegen einen Kurdenstaa­t, stellte Erdogan˘ fest. Bei den Amerikaner­n ist er sich da unsicher. Trotz Warnungen Ankaras arbeiten die USA in Nordsyrien mit der syrischen Kurdengrup­pe PYD und deren YPG-Truppe zusammen: Die Kurden sollen eine Hauptrolle beim Angriff auf Rakka spielen, dem Zentrum des Islamische­n Staates (IS). Die Türkei sieht PYD und YPG als Zweige der kurdischen Terrororga­nisation PKK und wirft Washington Kooperatio­n mit Terroriste­n vor. In Kürze will Erdogan˘ das Thema in Washington ansprechen; einer seiner Berater drohte derweil, an- gesichts des Kampfs gegen die Kurden könnten auch US-Soldaten in Syrien „versehentl­ich“die eine oder andere türkische Rakete abbekommen. Vorige Woche starben bei türkischen Luftangrif­fen Dutzende syrische Kurden, was US-Proteste auslöste.

Allianz gegen Washington

Aussicht auf rasche Beilegung des Interessen­konflikts besteht nicht. Erdogans˘ Einigung mit Putin auf den Schutzzone­n-Plan könnte zeigen, dass die Türkei die Allianz mit Moskau sucht, um so, und gegen die USA, ihre Interessen in Syrien durchzuset­zen.

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