„EU soll Abschiebungen abwickeln“
Asylpolitik. Ungarns Justizminister, Trocs´´anyi, will „europäische Lösung“für die Rückführung von Flüchtlingen und erklärt im „Presse“-Gespräch, warum Ungarn gegen die Umverteilung klagt.
Budapest. Ungarns Justizminister, Laszl´o´ Trocs´anyi,´ bezeichnet die Abschiebepraxis als eines der größten Probleme der Flüchtlingspolitik. Wenn abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden sollen „ist das meistens nicht möglich“. Er schlägt daher einen europäischen Abschiebungsmechanismus vor. Die Grenzschutzagentur Frontex solle sich darum kümmern, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. Zwar unterstützt Frontex schon jetzt Mitgliedstaaten, die das wünschen, bei Abschiebungen mit fast 700 spezialisierten Beamten. Trocs´anyi´ möchte diesen noch relativ neuen Mechanismus allerdings bereits ausweiten und Abschiebungen europaweit komplett über die EU-Agentur abwickeln lassen.
„Man müsste Frontex dafür mit neuen Kompetenzen und finanziellen Mitteln ausstatten, um Flüge zu organisieren und jene Migranten, die nicht schutzwürdig sind, in deren Herkunftsländer zurückzubringen“, sagt der Minister. Speziell für kleinere Länder wäre es „effektiver, wenn Frontex als Organisation der EU mit den Herkunftsländern über die Rücknahme verhandelt, als wenn etwa Ungarn mit den Afghanen die Verbindung aufnehmen muss“.
Ungarn tritt nach wie vor für eine sehr restriktive Flüchtlingspolitik ein und hat deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage gegen eine Mehrheitsentscheidung im Rat der EUInnenminister vom September 2015 eingereicht, wonach alle EUMitglieder nach festen Quoten mehr als 100.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien übernehmen müssen. Das Verfahren beginnt am 10. Mai.
„Verteilung funktioniert nicht“
Obwohl die Debatte um Flüchtlingsquoten seit einiger Zeit abebbt, ist Trocs´anyi´ der Ansicht, dass dieses Thema noch lang nicht erledigt ist. „Die EU-Kommission drängt weiter darauf, und ihr kürzlich erschienener elfter Bericht zur Umverteilung betont erneut, dass das die beste Lösung ist und beschleunigt werden muss“, sagt er. Dabei zeige der Bericht, dass die Sache nicht funktioniere: „In fast zwei Jahren ist es gerade einmal gelungen, 14 Prozent der zur Umverteilung vorgesehenen Flüchtlinge aus Griechenland umzusiedeln, und 18 Prozent jener aus Griechenland.“Dennoch ist Trocs´anyi´ der Meinung, dass der Druck wieder zunehmen wird, eine allgemeine Quotenregelung durchzusetzen: „Wenn erst die Wahlen in Deutschland und Frankreich vorbei sind, wird das Thema wieder in den Vordergrund rücken.“Ungarn hält ein solches Vorgehen nach wie vor für falsch.
„Wir haben in zehn Punkten zusammengefasst, warum wir die Entscheidung für rechtswidrig halten“, erklärt Trocs´anyi´ Ungarns Klage vor dem EuGH. Ein Einwand sei, dass die Quotenregelung nur zwei Sorten von Ländern vorsieht: solche, die „entlastet“werden müssen, denen also Flüchtlinge abgenommen werden, und solche, die „belastet“werden, also welche aufnehmen sollen. „Es fehlen konzeptuell C-Länder, die zwar keine Entlastung wollen, aber sowieso von der Flüchtlingskrise so belastet sind, dass man ihnen nicht noch zusätzliche Lasten aufbürden sollte“, argumentiert Trocs´anyi.´ Ein Urteil erwartet er „im Sommer oder im Herbst“.
Ungarn nimmt Flüchtlinge
Er wiederholt die Budapester Grundsatzkritik am Quotenkonzept: „Erstens sendet es ein falsches Signal aus: ,Kommt ruhig nach Europa, wir kümmern uns dann um die Verteilung.‘ Zweitens ist es nicht effektiv. Diese Menschen wollen in ganz bestimmte Länder gelangen, nicht in Länder wie Rumänien oder Ungarn. Drittens ist da die Frage der Souveränität. Wie die Gesellschaft zusammengesetzt sein soll, diese Entscheidung muss in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verbleiben.“
Ungarn achte dennoch die Menschenrechte: „Die Genfer Flüchtlingskonvention und das Unionsrecht muss man einhalten“, betont der Minister. „Tatsächlichen Asylbedürftigen muss man Schutz gewähren. Und wir machen das auch. In den ersten drei Monaten dieses Jahres haben wir 93 Menschen Asyl gewährt, alle aus Syrien.“
Sollte Ungarn das Verfahren gegen die EU-Kommission verlieren, so wird es Trocs´anyi´ zufolge das Urteil akzeptieren. „Dann ist das rechtlich bindend“, sagt er. Allerdings will man im Fall einer Niederlage wohl auf Zeit spielen: „Die Umverteilung ist ein Mechanismus, dessen Details zahlreiche Fragen aufwerfen. Um diese zu klären, werden wir mit der Kommission lang verhandeln müssen.“
„Tatsächlichen Asylbedürftigen muss man Schutz gewähren. Und wir tun das auch.“ Laszl´o´ Trocs´anyi,´ Ungarns Justizminister