Ach, Katerina Maslowa, nimm das Kopftuch ab!
Soll man solidarisch sein, liberal oder ironisch, wenn es um Kleidungsstücke geht, die Leute machen? Ihre Töchter bevorzugten bereits die neckische Pillbox oder ein total verhüllendes Ding für Ascot.
Als mich in dieser kurzen Woche auf dem Weg in die schicke Josefstadt zu einem gutbürgerlichen Drama ein gnadenloser Platzregen erwischte, der meinen besten Anzug fast ruinierte, hätte ich mir eines gewünscht, um zumindest die teure Perücke mit dem modischen Sidecut zu schützen. Doch wenige Tage zuvor war ich von höchster amtlicher Stelle belehrt worden: Ein Kopftuch hat man nicht bloß funktionell, sondern höchstens ironisch, liberal oder, falls es denn irgendwann so weit kommen müsse, ganz solidarisch zu tragen.
Diese zwanglose Bekleidungsvorschrift, zu der es sicherlich noch weit vor der nächsten Verwaltungsreform ein unverbindliches Referendum ge- ben wird, hat die Herrenbekleidungsabteilung im „Gegengift“nervös gemacht. Wir glauben zwar zu wissen, wann man einen Cut tragen darf, wie man einen Frack anzieht und wo man einen Stresemann trägt, aber in der Kopftuchfrage sind wir so nackt wie Brigitte Bardot in den nachgedrehten Szenen von „Die Verachtung“.
Die feminine Textilie ging uns bisher am – Haaransatz vorbei. Und die Großmütter sind längst tot, die auf dem Feld, in der Küche oder Fabrik hart arbeitend ein schützendes Tuch getragen haben. Ihr Geheimnis, warum sie das taten, nahmen sie mit ins Grab. Ihre Töchter bevorzugten bereits die neckische Pillbox oder ein total verhüllendes Ding für Ascot. Es gab ihnen vielleicht das schützende Gefühl, eine wie Jacqueline Kennedy zu sein. Heute sind auch das schon alte Hüte.
Ganz unbedeckt müssen wir uns also an die schönere Literatur wenden, um zu erfahren, was das Wesen dieses Accessoires sei. Wir haben sie nicht gezählt, all diese Frauengestalten von Aitmatow bis Zola, die Kopftücher tragen. Aber den ungehörigen Blicken der Männer sind sie trotzdem ausgesetzt. Etwa jene Erntearbeiterinnen, die in Brochs „Die Schlafwandler“von den Herren begutachtet werden: „Herr v. Pasenow sah einer jeden unters Kopftuch, und als ihr Gänsemarsch vorüber war, sagte er: ,Stramme Mädchen.‘ ,Polinnen?‘, fragte Betrand.“Ich fürchte, Verhüllung ist in Romanen oft ein Symbol der Verfügbarkeit. Wenn in Tolstois „Auferstehung“die Maslowa ihrem einstigen Verführer, dem Fürsten Nechljudow, in Gefängnisjacke und mit Kopftuch begegnet, wünscht man sich aus Solidarität mit allen Unterdrückten, dass sie es abnimmt, ihre wallenden schwarzen Haare schüttelt und dem Typen frei heraus die Meinung sagt.