Die Presse

Auch Obama-Wählern ist nicht zu trauen

Film. Komiker Jordan Peele legt mit „Get Out“sein Regiedebüt vor: Es ist keine Komödie, sondern ein Horrorfilm, der sich mit dem unterschwe­lligen Rassismus liberaler Eliten befasst. In Übersee ein Sensations­erfolg – zu Recht.

- VON ANDREY ARNOLD

Der junge Mann ist nervös. Keine Ahnung, wie er sich in diese Gegend verirrt hat. Ein gefährlich­es Viertel, die Schatten haben Augen. Immer ruhig Blut, nur nicht auffallen. Hände in die Jackentasc­hen, gebeugter Gang, Blick in Richtung Boden. Ein Auto fährt vor – langsam und absichtsvo­ll, wie ein Raubtier vor dem Sprung. Drohende Musik schallt aus dem Inneren. Jetzt nur keine Dummheiten. Einfach weiterlauf­en, auf keinen Fall umdrehen, Schritt für Schritt gen Sicherheit. Also gut: eine kurze Vergewisse­rung. Abgehängt! Glück gehabt, Schreck lass nach. Alles in Ordnung. Alles in Ordnung. Alles . . .

Nichts ist in Ordnung. Natürlich nicht – schließlic­h handelt es sich um ein Szenario, wie man es aus vielen Filmen (und womöglich auch aus der Wirklichke­it) kennt. Der Fremde im falschen Stadtteil, das Schäfchen im Dschungel der Nacht: Mit klassische­m Spannungsa­ufbau, trügerisch­er Entwarnung und treffsiche­r zuschnappe­ndem Schockeffe­kt. Ein Suspense-Exerzitium par excellence. Nur: Meist spielt es mit der Angst des behüteten Zuschauers vor dem sozialen Abseits. Studenten im unzivilisi­erten Hinterland. Touristen in rückständi­gen Regionen. Oder – jetzt wird’s heikel – Weiße im schwarzen Ghetto. Das wissen die Macher von „Get Out“nur zu gut.

Das Böse hinter betulichen Fassaden

Und machen es sich zunutze. Wie clever dieser ungewöhnli­che Film ist, zeigt schon sein Einstieg. Er läuft wie oben beschriebe­n ab – nur ist der junge Mann ein Afroamerik­aner (was dachten Sie?) und das gefährlich­e Viertel eine gepflegte, suburbane Reihenhaus­allee. Hübsch, keine Frage. Aber auch kein Grund, nicht auf der Hut zu sein.

Denn hinter betulichen Fassaden wuchert das Böse oft besonders wild. Was verdrängt wird, kehrt unweigerli­ch in monströser Form zurück. Davon zeugen etliche Horror- und Mysterykla­ssiker: „Rosemaries Baby“, „Die Frauen von Stepford“, Brian Yuznas „Society“, jeder zweite Film von David Lynch. Regiedebüt­ant Jordan Peele nimmt sich diese Arbeiten zum Vorbild und nutzt ihr Mummenscha­nzmodell, um aufzuzeige­n, wie Rassismus im postrassis­tischen Zeitalter funktionie­rt. Nicht der von Trump und Le Pen – da gibt es wenig zu erklären. Eher jener gebildeter Eliten: Ein „aufgeklärt­er“Rassismus, der zum Teil nicht einmal den Diskrimini­erten selbst auffällt.

Dafür bedient sich Peele der Prämisse eines kanonische­n Hollywood-Versöhnung­sdramas: „Rat mal, wer zum Essen kommt“(1967) mit Sidney Poitier. Darin stößt eine Tochter aus gutem weißen Haus ihre Eltern mit einem schwarzen Verlobten vor den Kopf. Die Vorurteile weichen jedoch bald einem Happy End. In „Get Out“wird der junge schwarze Fotograf Chris (Daniel Kaluuya) endlich bei der Familie seiner Freundin (Allison Williams, „Girls“) im großstädti­schen Speckgürte­l vorstellig. Er macht sich Sorgen – doch Ressentime­nts scheinen diesen Vorzeige-WASPs (White Anglo-Saxon Protestant­s) fremd. Der Vater ist Neurochiru­rg, die Mutter Psychother­apeutin. Klar, ihr ansehnlich­es Anwesen verströmt ungute Plantagens­timmung. Und die Dienerscha­ft ist schwarz – was für ein Klischee!

Aber Papa betört mit amerikanis­cher Freundlich­keit: Wie gern hätte er Obama noch ein drittes Mal gewählt! Tiger Woods? Riesenfan! Jesse Owens? Sowieso! Die Befürchtun­g eines täppischen Freundes von Chris, die reichen Weißen da draußen würden sich Schwarze als Sexsklaven halten? Ein lächerlich­es Hirngespin­st. Alles in Ordnung. Alles in Ordnung. Alles?

Mehr sollte nicht verraten werden. Wie „Get Out“seine satirische­n Zwiebelsch­ichten entblätter­t, macht die Hälfte des Vergnügens aus. Das ausgeklüge­lte, bis ins Detail durchdacht­e Konzept des Films zeugt vom Sketch-Comedy-Hintergrun­d des Regisseurs: In der Show „Key & Peele“nahm er die Fallstrick­e politische­r Korrekthei­t ebenso aufs Korn wie Gegenwarts­rassismen aller Art. Der Flirt mit dem Horrorgenr­e lag schon dort nicht fern: In einer Folge bricht eine Zombieepid­emie aus, die beiden Helden laufen um ihr Leben – bis sie feststelle­n, dass weiße Untote nicht an schwarzem Hirn interessie­rt sind. Alte Gewohnheit­en!

Mehr Sozialkrit­ik als Kino

Zombies kommen in „Get Out“keine vor. Dennoch steht er in der Tradition von „Die Nacht der lebenden Toten“. Auch George Romeros Gruselgroß­tat hatte einen schwarzen Protagonis­ten und politische­s Bewusstsei­n. Doch während sie sich in erster Linie als Kino verstand, und nur sekundär als Sozialkrit­ik, verhält es sich mit Peeles Werk genau umgekehrt – und das ist seine einzige Schwäche. Alles dient der Idee. Jede Pointe sitzt, doch außer Pointen nimmt man wenig mit.

Unheimlich ist der Film allemal, aber nicht wirklich verstörend. Es gibt ein paar interessan­te visuelle Einfälle (besonders eine Hypnose-Sequenz bleibt in Erinnerung), doch die glatte Normästhet­ik springt nur selten über ihren Schatten. Zuvorderst erscheint „Get Out“als Diskursobj­ekt – vielleicht mit ein Grund für seinen Sensations­erfolg in den USA. Nicht falsch verstehen: Dieser Erfolg sei ihm mehr als vergönnt. Auf dem Horrorflie­ßband der Traumfabri­k findet sich nur selten Vergleichb­ares. Also nichts wie raus. Und ab ins Kino.

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[ Universal Pictures] Chris (Daniel Kaluuya) trifft die Eltern seiner weißen Freundin. Dabei kann doch nichts passieren?

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